Frankreichs Zwei-Klassen-Gesellschaft

Ab dem 21. Juli gibt es in Frankreich zwei Klassen von Menschen. Geimpfte und Nicht-Geimpfte. Angesichts der Tatsache, dass bis zu 40 % der Franzosen die Covid-Impfung ablehnen, ist Ärger programmiert.

Nur wer geimpft ist, kann ab dem 21. Juli in Frankreich noch am Leben teilhaben. Foto: Prefeitura de Pelotas / Wikimedia Commons / PD Mark 1.0

(KL) – Vorweg gesagt, ist Frankreich nicht das einzige Land, das seinen Pflegekräften die Covid-Impfung zwangsweise verordnet. Die Maßnahme ist durchaus verständlich, angesichts des Umstands, dass die Krankenschwestern, Ärzte und Pfleger diejenigen sind, die permanenten Kontakt mit Infizierten haben. Doch anders als in anderen Ländern konnte es sich der französische Präsident bei seiner TV-Ansprache am Montag nicht verkneifen, diese Berufsstände zu stigmatisieren, denen noch vor Jahresfrist abends um 20 Uhr Beifall geklatscht wurde, als Dank dafür, dass eben diese Berufe mit unglaublichem Einsatz das Land vor Schlimmerem bewahrt hatten. Doch nicht nur die Pflegeberufe werden es nun schwer haben in Frankreich – alle Nichtgeimpften sind ab dem 21. Juli vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und ab Anfang August sind wieder die Cafés, Restaurants und Bars die Leidtragenden, denn der Besuch in solchen Gastronomien ist nur noch Geimpften, Getesteten und Genesenen gestattet. Die entsprechenden Kontrollen obliegen dann den Wirten. Dazu kündigt Macron auch an, dass ab diesem Zeitpunkt permanente und scharfe Kontrollen durch die Polizei stattfinden werden. Frage: Hätte man die Frage der Impfung nicht auch klären können, ohne Frankreich in einen Polizeistaat zu verwandeln?

Dass die französische Regierung Pflegepersonal impfen will, ist nachvollziehbar, doch wäre der richtige Weg gewesen, einen Modus Operandi mit diesen Berufsständen zu suchen und zu finden. Die Ankündigung, dass Pflegepersonal, das am 15. September nicht geimpft ist, seinen Beruf nicht mehr ausüben darf und nicht mehr bezahlt wird, ist nicht ungefährlich. Braucht Frankreich momentan mehr Pflegekräfte oder mehr Präsidenten? Was will Macron machen, wenn sich weiterhin ein großer Anteil der Pflegekräfte weigert, sich einen Impfstoff spritzen zu lassen, von dem man täglich Neues erfährt? Wer soll sich künftig in den Krankenhäusern und Pflegeheimen um die Menschen kümmern, wenn ab dem 15. September ein Teil dieses Personals nicht mehr zum Dienst antreten kann?

Rund 40 % der Franzosen sind momentan nicht bereit, sich impfen zu lassen. Das liegt unter anderem an einem massiven Vertrauensverlust in die Regierung, die praktisch während der gesamten bisherigen Pandemie gelogen hat, um eigene Versäumnisse zu bemänteln. Ob es nun die widersprüchlichen Aussagen zu den Gesichtsmasken waren, die unendlich langsam gestartete Impfkampagne, die Probleme in der Beschaffung und Logistik der Vakzine, die Liste der „Fake News“ der Regierung ist lang und führt unter anderem dazu, dass viele Franzosen keinerlei Vertrauen in diese Impfkampagne und die Regierung haben. Diese Zweifler werden nun hart für ihre Zweifel bestraft. Ab dem 21. Juli dürfen sie nicht mehr ins Kino, nicht ins Restaurant, nicht ins Theater, nicht mehr mit dem Zug fahren, nicht mehr fliegen, nicht mehr in Fernbussen fahren. Sie werden faktisch vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.

Gäbe es nur 5 oder 10 % Impfunwillige, könnte diese Maßnahme noch durchgehen. Aber es dreht sich um fast die Hälfte der Bevölkerung und damit reißt Macron einen Graben durch die französische Gesellschaft, der für ihn zum Pulverfass werden kann. Auch die Ankündigung, bis zu den Wahlen im nächsten Jahr auf jeden Fall noch seine Rentenreform durchpeitschen zu wollen, dürfte die Situation weiter verschärfen. Für die letzten Monate seiner Amtszeit schafft der französische Präsident eine Situation, die sich blitzartig in einer Orgie der Gewalt auf der Straße verwandeln kann. Rechnet man dazu die nur zeitweise unterbrochenen sozialen Konflikte mit den „Gelbwesten“, deren Reihen durch zahlreiche Menschen aufgestockt werden, die im Laufe der Pandemie in die Armut gerutscht sind, wird die Situation explosiv. Und dann kommt irgendwann der Punkt, an dem auch die hochgerüsteten Polizeikräfte diese Regierung nicht mehr vor der Wut der Bevölkerung werden schützen können.

Der Autor dieser Zeilen ist doppelt geimpft und damit nicht von den verkündeten Maßnahmen betroffen und steht sicher nicht im Verdacht, ein „Antivax“ zu sein. Und dennoch ist nachvollziehbar, dass es Menschen gibt, die große Zweifel an den Impfstoffen haben, deren Wirksamkeit und Langzeitwirkungen noch nicht erforscht werden konnten, was an der Dringlichkeit der Situation liegt. Diese Menschen vom sozialen Leben auszuschließen, das ist die falsche Taktik, zumal sie den Geimpften fälschlicherweise suggeriert, sie seien sicher. Doch das sind sie nicht, denn inzwischen wissen wir, dass die Vakzine keinesfalls vor Infektionen schützen und dass auch Geimpfte das Virus einfangen und an Dritte weitergeben können.

Die Impfung ist eine persönliche Entscheidung, die jeder und jede für sich treffen muss. Es fehlt allgemein an Transparenz, an gefestigter Information und die Tatsache, dass die Sozialen Netzwerke von Virologen und anderen selbsternannten Experten überquellen, deren Posts und Kommentare fast alle Stammtisch-Niveau haben, macht die Situation nicht besser.

Frankreich hat sich auf den Weg zu einer harten Auseinandersetzung zwischen Regierung und Bevölkerung gemacht. Die endlosen Lügen einer sichtlich überforderten Regierung haben dafür gesorgt, dass die Menschen dieser Regierung nicht mehr vertrauen. Diesem Misstrauen nun mit Gewalt zu begegnen, wird neue Gewalt erzeugen. In dem Armdrücken, das sich zwischen Pflegekräften und Regierung abzeichnet, kann es nur Verlierer geben. Und zuletzt die Frage, die sich vor allem die Regierung stellen sollte: Wie kommt es, dass vergleichbare Maßnahmen in anderen Ländern relativ problemlos durchsegeln?

3 Kommentare zu Frankreichs Zwei-Klassen-Gesellschaft

  1. Sie schreiben, dass Sie zweimal geimpft sind. Ich meine auch Artikel in Erinnerung zu haben, in denen Sie über Ihre Corona Erkrankung berichten. Wie geht das zusammen?

    Was den tollen Präsidenten angeht kein Kommentar. Die Qualität des politischen Personals in Corona Zeiten, speziell in FR und FB spricht Bände.

    • Ja, ich hatte Covid sehr früh, März 2020 bis April 2020 plus 2 Monate Rekonvaleszenz. Zu früh, um heute als “Genesener” zu gelten. Deshalb zwei Dosen. Nach reiflicher Überlegung und ohne grosse Begeisterung…

  2. Ok. Respekt.

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