Französisch-britische Hilflosigkeit vor dem Eurotunnel

Das ganze Elend der europäischen Flüchtlingspolitik zeigt sich am Eingang zum Eurotunnel unter dem Ärmelkanal, wo das Scheitern der europäischen Politik sichtbar wird.

Diesen Weg wollen Tausende Flüchtlinge nehmen - und haben keine Chance, es zu schaffen. Foto: Mortadelo2005 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.5

(KL) – Sie sind inzwischen Tausende und Abertausende Flüchtlinge, aus Afrika, aber auch aus Osteuropa, die unter unwürdigsten Bedingungen in und bei Calais leben und täglich auf eine Gelegenheit warten, sich irgendwie durch den Eurotunnel auf die britische Seite zu schlagen, wo sie sich eine bessere Behandlung erhoffen. In ihrer Hilf- und Ideenlosigkeit setzen die Zuständigen, in Großbritannien Premier David Cameron und in Frankreich Innenminister Bernard Cazeneuve auf die Instrumente, die Politikern eben in Krisenzeiten einfallen: Kriminalisierung, Gewalt, mehr Polizei und erhöhte Budgets für die Sicherheitskräfte. Dabei müssten sie eigentlich merken, dass diese Politik keine Lösung darstellt.

Die Situation ist inzwischen allen Beteiligten völlig aus der Hand geglitten. Tag für Tag versuchen Hunderte, manchmal auch Tausende Flüchtlinge, sich zum Eurotunnel durchzuschlagen, wo sie hoffen, entweder auf einen Güterzug aufspringen zu können oder sich in einen der LKWs schmuggeln zu können, um 50 Kilometer weiter in Folkestone ins gelobte Land Großbritannien zu kommen. Manche versuchen es täglich, manche sind so entkräftet, dass sie es nur alle paar Tage versuchen. Durchkommen kann praktisch keiner, denn die französische Polizei schließt den Tunnel von der französischen Seite hermetisch und im Rahmen eine britisch-französischen Abkommens ab, die Grenzanlagen ähneln inzwischen Fort Know, und außerdem ist diese Flucht extrem gefährlich. Alleine im Juli starben 10 Flüchtlinge beim Versuch, durch den Tunnel zu gelangen.

Die Polizei setzt bei den massenhaften Fluchtversuchen Tränengas und Hunde ein, David Cameron droht damit, Flüchtlinge, die es denn doch schaffen sollten, sofort ins Gefängnis zu stecken und während sich beide Staaten in Repressalien und Drohgebärden versuchen, wächst in und um Calais jeden Tag die Anzahl Flüchtlinge, die es doch versuchen wollen.

Die Arbeit der Vereine und Organisationen, die sich darum bemühen, den Flüchtlingen ein Minimum an Würde und Versorgung zu vermitteln, stehen auf verlorenem Posten. Ebenso die die Bevölkerung von Calais und den Dörfern Coquelles und Sangatte, wo sich die Grenzanlagen und die Einfahrt in den Tunnel befinden. Alle, auch die Polizei und die Grenzbeamten, sind schon lange an ihre Grenzen gestoßen, vor allem aber natürlich die Flüchtlinge, die gedacht hatten, mit ihrer Flucht vor Krieg, Verfolgung und Elend das Schlimmste hinter sich zu haben.

In und um Calais zeigen sich, ebenso wie im Mittelmeer, die Grenzen der europäischen und internationalen Solidarität. Es kann keine Lösung sein, Menschen, die gerade dem Tod entronnen sind, zu kriminalisieren und ohnehin traumatisierte Lebensläufe um ein weiteres Trauma zu ergänzen. Umgekehrt kann es nicht Aufgabe der Polizei sein, das politische Problem der Flüchtlingsfrage mit Gewalt zu lösen. Flüchtlinge mit Hunden und Schlagstöcken zu jagen, weil diese Menschen auf ein menschenwürdiges Leben hoffen, ist inhuman und Europas unwürdig. Gefragt ist in dieser Situation die Politik, doch die hat keine Lösungen. Der Versuch, europäische Aufnahmequoten einzuführen, ist jämmerlich gescheitert. Und plötzlich merken Frankreich und Großbritannien, wie sich Italien, Griechenland und Malta fühlen müssen, die Europa mit den aus Afrika anlandenden Flüchtingsströmen ebenso alleine lässt wie Frankreich und Großbritannien – alleine eine echte, europäische Flüchtlingspolitik kann diesen gordischen Knoten auflösen.

In der Zwischenzeit geht das Drama am Eurotunnel täglich weiter. So lange, bis jemand merkt, dass die Millionen, die in die Verstopfung der Unterwassergrenze zwischen Frankreich und Großbritannien gesteckt werden, vermutlich besser investiert wären, würde man für sie entsprechende Auffangstrukturen bauen und betreiben. Die Zeit spricht leider gegen alle – politische Lösungen müssen für dieses humanitäre Drama schnell gefunden werden. Sofort.

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