Französische Stadtguerilla

Frankreich kommt nicht zur Ruhe. Zwar sinkt die Unterstützung der „Gelbwesten“ von Wochenende zu Wochenende, doch diejenigen, die weiter demonstrieren, werden immer radikaler.

Wer Fahrzeuge der Vigipirate-Flotte angreift, die eingesetzt werden, um die Franzosen vor dem Terrorismus zu schützen, ist selbst ein Terrorist. Foto: ScS EJ

(KL) – Es war wie jedes Wochenende seit fast drei Monaten. Rechtsextreme und Linksextreme randalierten beim “Akt XIII” in Frankreichs Städten, brav begleitet von einigen „Gelbwesten“, deren Beteuerungen, dass sie mit diesen Schlägern aber überhaupt nichts zu tun haben, inzwischen nicht mehr glaubwürdig sind und obwohl die „Gelbwesten“ immer weniger werden, verursachen sie Wochenende für Wochenende immer größere Schäden.

Es gab einen Schwerverletzten am Samstag. Ein Demonstrant in gelb wollte eine Rauchgranate aufheben und in diesem Moment explodierte sie und riss ihm vier Finger ab und verursachte weitere Verletzungen. Das ist tragisch für den jungen Mann, ebenso, wie die vielen Verletzten auf beiden Seiten tragisch sind. Doch hätten die Polizeikräfte die Demonstranten die Nationalversammlung einfach stürmen lassen sollen? Hätte der Staat vor der Gewalt der Straße kapitulieren sollen, damit sich niemand wehtut?

Die Bewegung der „Gelbwesten“ frisst sich selber auf. Inzwischen gibt es nicht weniger als vier „Gelbwesten“-Gruppen, die Listen bei der Europawahl präsentieren wollen, die sich untereinander spinnefeind sind, es kommt in Städten wie Lyon zu Straßenschlachten zwischen links- und rechtsextremen Gruppierungen, die alle die gleiche Uniform tragen – gelbe Westen.

Währenddessen laufen im ganzen Land die „Großen nationalen Debatten“, die zum großen Teil von den „Gelbwesten“ boykottiert werden. Und plötzlich merkt auch der Letzte, dass die wochenlang skandierte Forderung, man wolle angehört werden, ziemlich leer war – denn sobald sie das Wort haben, haben die „Gelbwesten“ häufig gar nichts zu sagen, sondern zeigen lediglich Lust, am Wochenende die Innenstädte zu verwüsten.

Eine wirre Bewegung, durchsetzt mit extremistischen Kräften aller Couleur, die den Dialog verweigert, nicht in der Lage ist, klare Forderungen zu formulieren und noch weniger, über diese zu verhandeln, eine immer weiter steigende Gewalt – das ist der Stoff, aus dem totalitäre Systeme entstehen, wie man erst letzte Woche erkannte, als die Nationalversammlung für ein neues „Anti-Schläger-Gesetz“ stimmt, mit dem die Regierung faktisch in der Lage ist, jeden Protest gegen sie zu kriminalisieren.

In einer Phase, in der die Regierung mit den Franzosen darüber diskutiert, wie man das Land besser und gerechter aufstellen kann, ist die Verweigerung des Dialogs irritierend. Dem Staat bleibt gar nichts anderes übrig, als massiv gegen diese neue Stadtguerilla durchzugreifen, seine Polizeikräfte gegen die permanenten Angriffe von urbanen Terroristen zu schützen und dafür zu sorgen, dass die 99,9% der Franzosen, die nicht randalierend durch die Städte ziehen, nicht weiter gefährdet werden.

Wie rückläufig diese größenwahnsinnige Bewegung ist, sah man am Wochenende in Straßburg. 80 gelbe Gestalten zogen lärmend durch die Innenstadt, behaupteten dabei, sie seien „das Volk“ und erklärten die geringe Zahl der Demonstranten damit, dass die Riesendemonstration des Elsass an diesem Wochenende in Mulhouse stattfinden würde. In Mulhouse waren es gerade mal 800 Demonstranten, die randalierten und die Auseinandersetzung mit der Polizei suchten. Womit die „Gelbwesten“ im Promillebereich der Bevölkerung angekommen sind und die Behauptung „Wir sind das Volk!“ ist inzwischen, sagen wir mal, etwas weniger glaubwürdig. Und auch in Paris, wo die Führer der „Gelbwesten“ Wochenende für Wochenende von „einer Million Demonstranten auf den Champs-Elysées“ träumen, kamen gerade mal 4000 Demonstranten zur Gewaltorgie am Wochenende.

Obwohl sich diese Bewegung mittlerweile vor allem der Lächerlichkeit preisgibt, wäre die Regierung gut beraten, den laufenden Dialog-Prozess konsequent durchzuziehen und vor allem, danach konkrete Maßnahmen im Sozialbereich zu ergreifen. Dass die „Gelbwesten“ nicht in der Lage oder Willens sind, sich an diesem sozialen Dialog zu beteiligen, wird den sozialen Fortschritt nicht aufhalten. Dieser wird dann eben ohne die „Gelbwesten“ stattfinden, die vermutlich noch Monate lange ihre Phantasien eines gewaltsamen Umsturzes weiter träumen werden, ohne, dass man sie noch weiter ernst nehmen kann.

Die Mär von den friedlichen Demonstranten, die unglückliche Opfer eines diktatorischen Staats und einer unerträglichen Polizeigewalt sind, glaubt inzwischen niemand mehr. Wer nach 12 gewalttätigen Demonstrationen auch auf der 13. brav hinter Gewalttätern hinterher dackelt, diesen Beifall klatscht und die gleiche Uniform trägt, der kann sich nicht mehr glaubhaft von der regelmäßig wiederkehrenden Gewalt distanzieren. Wer sich bei „Akt 13“ am Wochenende von den neuerlichen Gewaltexzessen überrascht zeigt, ist entweder ein Lügner oder ein Idiot – wer heute zu einem solchen „Akt“ fährt, ausgerüstet für den Straßenkampf, der weiß ganz genau was er tut und hat mit „friedlichen Demonstranten“ nichts zu tun.

Mit ihrem Gejammer, dass sie in einem Polizeistaat und einer Diktatur leben, erreichen die „Gelbwesten“ nur, dass sich der Staat irgendwann tatsächlich wie eine Diktatur und ein Polizeistaat verhalten muss, da er es nicht zulassen kann, dass 0,01 % der Bevölkerung Woche für Woche die 99,9 % der nicht gewaltbereiten Franzosen terrorisieren und dabei enorme Schäden anrichten.

Die Weigerung der „Gelbwesten“ sich zu organisieren, das Fehlen charismatischer Führungspersönlichkeiten, deren IQ ihre Schuhgröße übersteigt, die Unfähigkeit zum Dialog, das fast widerstandslose Akzeptieren der Übernahme dieses Bewegung durch alle möglichen staatsfeindlichen Extremisten, all das wird dafür sorgen, dass sich die „Gelbwesten“ selbst für den Umbau der französischen Gesellschaft disqualifizieren. Dafür, dass sie diesen Umbauprozess eingeleitet haben, muss man ihnen dankbar sein. Dafür, dass sie jedes Wochenende Frankreich mit Gewaltorgien überziehen, allerdings nicht. Die „Schwarmintelligenz“ der „Gelbwesten“ ist nicht viel größer als diejenige anderer als diejenige in anderen Ländern. Dort, wo diese „Schwarmintelligenz“ Menschen wie Trump, Erdogan, Orbàn, Bolsonaro und andere an die Macht trägt. Es ist Zeit, dass dieser Alptraum endet.

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