Frieden wie in alten Zeiten

Am Mittwoch sprach der scheidende Präsident von Kolumbien Juan Manuel Santos vorm Europaparlament. In gut zwei Wochen entscheidet sich im zweiten Wahlgang, wer sein Nachfolger im Amt wird – und ob seine Politik zur Befriedung des Bürgerkriegs fortgesetzt wird.

Für uns ist Frieden "normal" - für Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos und sein Land leider noch nicht. Foto: Ministerio TIC Colombia / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(Von Michael Magercord) – Wie aus der Zeit gefallen wirkte dieser Mann. Dabei ist er ein Mann unserer Zeit. Ein Politiker, ein Präsident – und Nobelpreisträger für Frieden von 2016. Und genau davon sprach er auch. Vom Frieden. Wie wenig der eine Selbstverständlichkeit ist, doch wie unausweichlich er eigentlich sei.

Juan Miguel Santos war es, der in Kolumbien das Friedensabkommen mit der Rebellengruppe FARC ausgehandelt hatte, die schließlich vor zwei Jahren ihre Waffen niederlegte und nun als politische Partei agiert. Kolumbien erlebte seither zwei Wahlgänge, für das Parlament im März und die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 27. Mai. Es waren die ersten Wahlkämpfe in dem Land, die ohne Gewalt verliefen, und die ersten, wie Noch-Präsident Santos befriedigt feststellt, in denen auch über Themen gestritten wurden, die anderswo ganz normal sind: Steuern und Renten – und nicht nur über den Krieg.

Schmerzlich sei der Versöhnungsprozess in dieser schwierigen „Postkonfliktphase“, soviel Leid wurde so vielen Menschen zugefügt. Doch in einer Welt, in der Menschen lieber zu kämpfen scheinen, als friedlich miteinander zu leben, leistet Kolumbien einen Beitrag zur Menschheitsgeschichte. Aus dem 55-Millionen Einwohner zählenden Land ist nun ein Laboratorium für das Umstiegsmodell von Krieg auf Frieden geworden mit seinem System einer Übergangsjustiz, mit der man Konfliktlösungen finden müsse, die allen gerecht werden, und in dem der große Frage nach der Auflösung für einen der größten Widersprüche der Moderne nachgegangen wird: wie finden wir heraus aus dem Dilemma zwischen Frieden und Gerechtigkeit.

Was aufs erste Hören verstört – sollte nicht die Gerechtigkeit die Grundlage von Frieden sein? –, erschließt sich, wenn man bedenkt, welche Ungerechtigkeiten, Gewalt und Not in den Kämpfen, die im Namen irgendeiner festen Vorstellung von irdischer Gerechtigkeit geführt werden, angerichtet wurden und werden. Frieden ist das Wichtigste, nach ihm streben alle Menschen, sagt der Friedensnobelpreisträger und zeigt sich zuversichtlich, dass das Bedürfnis eines jeden einzelnen Menschen nach Frieden elementar ist. Und man mag hinzufügen: auch lebenswirklicher, als jedes ideelle Gerechtigkeitsidol, das im Namen einer letztlich nicht existierenden Menschheit verbreitet wird.

Ja, das schon wirkt ziemlich unzeitgemäß, und wenn er dann noch seinen Glauben Ausdruck verleiht, Frieden sei deshalb letztlich eine Unausweichlichkeit, dann wähnt man sich fast in eine Kirche versetzt: ist der Mann jetzt weltfremd wie ein Gottesmann? Oder man fühlt sich um Jahrzehnte zurückversetzt, irgendwann in den Anfang der 90er Jahre, als sogar Politiker so etwas noch sagen konnten ohne als naiv zu gelten. Wir befinden uns aber im Jahr 2018, Krieg, Flucht und soziale Spaltung wohin man schaut.

Und es doch nur das Europaparlament, wo er da spricht. Tags zuvor sprach da noch der Staatschef von Guinea über genau das, Flucht, Elend und globale Kluft, und in den kurzen Pressestatements von Alpha Condé, der letztes Jahr turnusgemäß auch Vorsitzender der Afrikanischen Union war, und Parlamentschef Tajani wurde klar, dass die Beziehung zwischen Afrika und Europa sich fast nur noch auf die Frage der Migration beschränkt – als Drohkulisse und Verhandlungsmasse für die einen, als Schreckgespenst und Investitionsgrund für die anderen. Und direkt nach dem Auftritt von Santos offenbarte der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel vor ein paar Journalisten einmal mehr die mittlerweile übliche Politikerratlosigkeit: man müsse den Wählerwillen eines Mitgliedsstaates immer hochachten, selbst wenn er Rechtspopulisten an die Macht brächte.

Wovon aber sprach der Friedensmann aus dem fernen Kolumbien vor den Abgeordneten? Von Politikern, die endlich verstehen müssten: „Es gibt nur ein Volk auf Erden, dieses Volk hießt ‚Welt’.“ Und von Europa, diesem Kontinent, wo nicht zuletzt durch die EU, die wie er, den Friedensnobelpreis trage, „die Einheit in Vielfalt wahr geworden ist“. Und von den Europäern, die den Friedensprozess in Kolumbien immer unterstützt hätten und nun mitwirken werden, ihn durch wirtschaftlichen Austausch abzusichern: „Danke, großzügiges europäisches Volk!“

Wie gesagt, es handelt sich bei Juan Manuel Santos um einen staatslenkenden Politiker aus dem Jahre 2018. Aber es ist einer, der bald keiner mehr sein wird. Der Präsident scheidet aus dem Amt, am 17. Juni wird in der zweiten Wahlrunde ein Nachfolger bestimmt. Vorne lag im ersten Wahlgang der Gegner des Friedensabkommen Ivan Duque. Würde er siegen, wäre der Friedensprozess erst einmal auf Eis gelegt und das Dilemma zwischen Frieden und Gerechtigkeit bestünde weiter.

In Straßburg schien es anfangs, dass der Nobelpreisträger Santos auch im Parlamentssaal ein Rufer in der Wüste bleiben wird, so wenige Abgeordnete hatten sich eingefunden. Erst zum Schlussapplaus füllte sich der Saal. Denn seiner Rede folgte die mittägliche Abstimmungssitzung, bei der der Abgeordnete anwesend sein muss, will er sein Tagesgeld von 304 Euro nicht verlieren. Soviel muss es dem großzügigen europäischen Volk wohl leider wert sein, damit seine Vertreter dem unzeitgemäßen Friedensapostel wenigstens einen würdevollen Abschied zu bereiten.

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