Friedensgesänge

130 Sängerinnen und Sänger werden zum Gedenken an 100 Jahre Ende des Ersten Weltkriegs aufgeboten. Die Singakademie Ortenau führt zusammen mit Sängern und Musikern aus vielen Teilen Europas die monumentale “Sea Symphony” von Vaughan Williams auf.

Großes Konzert für Frieden und Freundschaft mit der Singakademie Ortenau. Foto: Organisatoren

(Von Michael Magercord) – An den Krieg, der vor einhundert Jahren endete, wird derzeit allenthalben erinnert. Aber wie soll man dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts gedenken? Militärisches Gebaren erscheint eher unpassend angesichts der Tatsache, dass es gerade der militärische Geist war, der seinerzeit alle Kriegsparteien erfasst hatte, der die tiefe Ursache für die außergewöhnliche Massenbrutalität dieses Krieges war.

Der holländische Schriftsteller Geert Mak hatte vor über zehn Jahren in seinem Epos “In Europa. Eine Reise durch das 20. Jahrhundert” seinen Eindruck vom Mont Cassel im französischen Departement Nord beschrieben. Die 176 Meter über Null gelegene Anhöhe erscheint in der flachen Küstenlandschaft wie ein Bergriese. Von ihrem Gipfel bietet sich ein weiter Blick in die Ebene hinein, bis zur Nordseeküste hinüber nach Belgien.

Der französische Generalsstab hatte dort bis 1915 sein Hauptquartier eingerichtet. Der Mont Cassel wurde der Feldherrnhügel für den General Ferdinand Foch. Ein idealer Ort, nur wenige Kilometer nördlich befanden sich nämlich die “Flanders fields”, die Frontlinie mit Systemen aus Schützengräben, die von Deutschland aus als Westfront bezeichnet wurde. An diesem Frontabschnitt nahm der unerbittliche Stellungskrieg seinen Anfang, der schließlich in Materialschlachten und den Gaskrieg mündete.

Geert Mak beschlich bei seinem Besuch des Mont Cassel das Gefühl, dass genau dieser erhobene Blick es war, der es den Militärs seiner Zeit erleichterte, auch die Menschen dort unten als bloßes Material zu betrachten. Dieser Militärzynismus erst ließ diesen Krieg zusammen mit der Effektivität der industriellen Produktion der Waffentechnik so mörderisch werden. Die Zyniker in Generalsuniform beider Seiten scheuten sich nicht, immer wieder ganze Heerscharen junger Männer zu verheizen, um die Frontlinie um ein paar hundert Meter zu verschieben, was letztlich völlig bedeutungslos für den Kriegsverlauf war.

Dieser Krieg endete letztlich nicht wegen großer strategischer Geniestreiche der Generale, sondern wegen der blanken Ermüdung von Material und Menschen. Ein echter Friede wurde nicht daraus, den Friedensschluss von Versailles, an den wir uns im nächsten Jahr erinnern sollten, war keiner. Allzu sehr lag ihm eine Siegermentalität zugrunde, die die Schuld ausschließlich dem Verlierer zuwies.

Sicher, wenn man als Kriegsgrund das großsprecherische Gehabe, die undiplomatische Volten und die bis zur Tolpatschigkeit rücksichtslosen Aktionen der wilhelminischen Regierung zugrunde legt, konnte man seinerzeit die deutsche Seite als Hauptschuldigen betrachten. Doch aus heutiger Sicht muss man anerkennen, dass das damalige geistige Klima diesen Krieg erst möglich machte. Es sollte uns immer noch erschrecken, wie leicht die Menschen bereit waren, sich für Krieg begeistern zu lassen. Und fasst man aus diesem Erschrecken heraus den Maßstab der Schuld nun weiter, haben sich alle schuldig gemacht, die im August 1914 ins Kriegsgeheul ausbrachen. Und das waren nicht wenige, und zwar auf allen Seiten.

Der Geschichtswissenschaftler Joachim Radkau bezeichnete schon 1998 die Vorkriegszeit als “Zeitalter der Nervosität”. Es war die Epoche der Industrialisierung, eines nie da gewesenen Bevölkerungszuwachses, und in den wuchernden Städten verstummte das Wummern und Hämmern der Baustellen nicht mehr. “Überall Unsicherheit, überall Angst, Angst, Angst”, überschrieb der Historiker die Befindlichkeit der Epoche. Und trotz aller Umwälzungen herrschten allenthalben noch gesellschaftliche Verhältnisse aus der Zeiten des Feudalismus. Der Spielraum zum sozialen Aufstieg war gering – so sehnten sich nicht wenige nach einer wahren Bewährung und sie meinten, sie nur auf dem “Feld der Ehre” zu finden. Darin unterschieden sich die Nationen, die diesen Krieg zumindest an der Westfront teilnahmen, nicht.

Wüsste man nicht bereits, wie der folgende Frieden geendet hatte, und schwante uns nicht, dass sich das damalige Klima ganz schnell wieder um sich greifen könnte, dürfte man nun zum Gedenken des Kriegsende einfach nur jubilieren und singen. Und vielleicht ist Gesang und Musik ja wirklich das beste Mittel zum geistigen Klimaschutz, einen Großversuch ist es allemal wert.

Den unternimmt die Singakademie Ortenau mit dem “Großen Konzert für Frieden und Freundschaft” an diesem Wochenende im Elsass. Aufgeführt wird die monumentale “Sea Symphony” von Ralph Vaughan Williams. Im Ersten Weltkrieg war der Komponist britischer Soldat. Allerdings gehörte er zu jenen, denen auch ohne die Kriegserfahrung an die nationenübergreifende Werte glaubte. Ausdruck ist seine erste Symphonie nach Texten von Walt Whitman aus dem Jahre 1910, die eher eine gewaltige Kantate für Solisten, Chor und Orchester ist. Und zwar so gewaltig, dass sich die Singakademie mit dem Straßburger Collegium Vocale Strasbourg-Ortenau, dem Londoner Llyod‘s Choir sowie dem Orchester Musiciens Sans Frontières Alsace-Ortenau  zusammenschloss – ganz im grenzübergreifenden Sinne des Gedenkens an das Ende des Ersten Weltkrieges.

Großes Konzert für Frieden und Freundschaft
Aufführungen im Elsass:
Straßburg: SA 17.11.2018, 19.00 Uhr, Église St-Paul
Colmar: SO 18.11.2018, 17.00 Uhr, Église St-Matthieu in Colmar.
(in Colmar ist der Eintritt frei)

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