Für die „Gelbwesten“ beginnt die entscheidende Phase

Während sich Teile der „Gelbwesten“ immer weiter radikalisieren, versuchen andere, endlich Struktur in ihre Organisation und Forderungen zu bringen.

Wenn die "Gelbwesten" wirklich den sozialen Fortschritt wollen, müssen solche Szenen wie am Samstag in Strassburg sofort aufhören. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – „Akt IX“ war etwas anders als die bisherigen „Akte“ (so bezeichnen die „Gelbwesten“ ihre Aktionstage, die bislang regelmäßig in Gewaltorgien endeten. Das war zwar auch am Abend von „Akt IX“ der Fall, doch tagsüber sah man in verschiedenen Städten Frankreichs auch andere „Gelbwesten“. Nämlich diejenigen, die verstanden haben, dass es langfristig nicht viel bringt, jedes Wochenende das Land in Schutt und Asche zu legen. Die Frage, ob sich die „vernünftigen Gelbwesten“ gegen die „Gewalt-Gelbwesten“ durchsetzen werden, ist allerdings offen.

Frankreichs „Gelbwesten“ haben jede Menge Probleme. Ihre Bewegung ist von Neonazis, Antisemiten, identitären Ausländerhassern und anderen Extremisten unterwandert (wobei die Linksextremen mittlerweile fast ausnahmslos die Positionen der Rechtsextremen übernommen haben). Diese haben keinerlei Interesse an einem Dialog mit der Regierung, sie haben keinerlei Interesse an echtem sozialen Fortschritt und tun alles, um das Feuer der Revolte und der Gewalt weiter am Brennen zu halten. Der Grund dafür ist einfach – je länger die Destabilisierung Frankreichs andauert, desto eher werden sie sich als „die Lösung“ präsentieren können.

Am Samstag gab es einen Lichtblick. In vielen Städten gab es erstmals einen Ordnungsdienst der „Gelbwesten“, der es tatsächlich tagsüber mehrfach schaffte, größere Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Ordnungskräften zu verhindern. Dass es dennoch zu Auseinandersetzungen kam, ist vielleicht der Unerfahrenheit dieser Ordnungsdienste zuzuschreiben und auch dem Umstand, dass es schwierig ist, diejenigen „Gelbwesten“ in Zaum zu halten, die lediglich jeden Samstag kommen, um sich mit der Polizei zu prügeln. Denn nach wie vor tragen diese Schläger die gleiche „Uniform“ – eine Weste in gelb.

Die „Akte“ teilen sich also immer mehr in jeweils zwei Abschnitte auf. Tagsüber wird demonstriert, wobei auch am Samstag erstmals Flugblätter verteilt wurden, auf denen „Gelbwesten“ erklärten, was sie mit dem „Referendum auf Bürgerinitiative – RIC“) beabsichtigen. Die Einrichtung dieser Form einer „Populärdiktatur“ liegt damit auf dem Tisch, ist konkret ausformuliert und damit diskussionsfähig. Diese Forderung ist zwar in Frankreich absolut nicht mehrheitsfähig, aber sie ist ein Diskussionspunkt, der durchaus in einem Parteiprogramm einer von den „Gelbwesten“ zu gründenden Partei stehen könnte.

Man erkennt also den Willen eines Teils der „Gelbwesten“, dann doch in einen konstruktiven Austausch mit den Franzosen und in geringerem Maß, auch mit der Regierung zu treten. Noch ist der „vernünftige“ Teil der „Gelbwesten“ allerdings noch relativ unorganisiert und er wird immer mehr mit dem Bild zu kämpfen haben, das die gewalttätigen „Gelbwesten“ abends auf ihren Verwüstungszügen durch die Städte hinterlassen, wo sie Nazi-Parolen grölen, antisemitische Zeichen machen und Steine und Brandsätze auf die Ordnungskräfte werfen.

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob es die „Gelbwesten“ schaffen, die kriminellen und hoch extremistischen Kräfte aus ihren Reihen zu verbannen. Ob sie das schaffen, ist alles andere als klar. Denn nachdem diese Bewegung zwei Monate lang genau diesen Gewalttätern ein Umfeld zum hemmungslosen Austoben ihrer Gewaltphantasien geboten haben, wird es nun nicht einfach werden, diesen Gewalttätern zu erklären, dass man nichts mit ihnen zu tun haben will. Dies wird besonders dadurch erschwert, dass sich vor allem rechtsextreme Kräfte gemütlich in den Schaltzentralen der „Gelbwesten“ eingerichtet und die Debatte weg von sozialen Forderungen hin zu einer Art organisiertem Staatsstreich bewegt haben.

Am Samstag gingen 1,5 % der Franzosen auf die Straße, um mit einer gelben Weste zu demonstrieren. Das sind zwar rund 80.000 Demonstranten, allerdings mit Sicherheit nicht „das Volk“ – dem gehen nämlich inzwischen die seit Monaten andauernden Bürgerkriegsszenen mächtig auf die Nerven.

Vieles hängt nun von der großen, nationalen Debatte ab, die Präsident Macron am heutigen Montag mit einem „Brief an die Franzosen“ starten will. Man wird sehen, ob Macron in den letzten Wochen verstanden hat, was gerade in Frankreich vor sich geht und ob der ein Format anbietet, das über die Alibi-Konsultationen hinausgeht, die letztes Jahr von der Europäischen Kommission in den europäischen Ländern organisiert worden waren.

Damit Frankreich befriedet werden kann, müssen nun beide Seiten deutlich mehr Intelligenz an den Tag legen als in den letzten zwei Monaten der Unruhen. Emmanuel Macron muss zeigen, dass er seine Bürgerinnen und Bürger zu verstehen gelernt hat und die „Gelbwesten“ müssen zeigen, dass sie mehr drauf haben, als das Land, sein Image und seine Städte mit Gewalt zu ruinieren. Wenn man die Zeichen von beiden Seiten sieht, sind allerdings noch große Zweifel angebracht, ob Regierung und Bevölkerung dieser Herausforderung gewachsen sind.

Doch eines ist klar – damit ein gesellschaftlicher Dialog stattfinden kann, muss die Gewalt der Straße sofort aufhören. Die Ordnungskräfte haben gar keine andere Wahl, als bei einem Anhalten dieser zerstörerischen Gewalt noch schärfer durchzugreifen, um die Demokratie in Frankreich zu schützen. Und es wird ebenfalls Zeit, dass die „Gelbwesten“ anfangen, die Neonazis, Gewalttäter, Antisemiten und urbanen Terroristen zu isolieren und aus ihrer Bewegung zu entfernen. Man wird sehen, ob dies ein frommer Wunsch oder eine Option ist. Ansonsten wird Frankreich auf Jahre hinaus in einer Welle der Gewalt ertrinken, deren Auswirkungen auf Image, politisches Standing und die französische Wirtschaft eine Katastrophe wäre. Die bisher angerichteten Schäden sind mehr als genug.

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