Gebietsreform – eigentlich ist die Diskussion jetzt vorbei

In der Vermittlungskommission zwischen Parlament und Senat brauchte man ganze sieben Minuten um festzustellen, dass es keine Kompromisse geben kann - der Countdown läuft für die Region Elsass.

Oben rechts, in grün, die Konfiguration der neuen Großregion Ostfrankreichs. So sieht's aus. Foto: www.gouvernement.fr

(KL) – Gestern traf sich die „Commission mixte paritaire“, die aus jeweils sieben Abgeordneten der französischen Nationalversammlung und sieben Senatoren besteht. Ihre Aufgabe war es, darüber zu beraten, ob ein Kompromiss zwischen dem (bereits in zwei Lesungen abgestimmten) Vorschlag der territorialen Neuordnung der Regierung (mit 13 Regionen, darunter die berühmte „Allochardie“) und dem Vorschlag des Senats (mit 15 Regionen, darunter eine Region Elsass) geben kann. Doch die Zahl „7“ war gestern ausschlaggebend. Nach gerade mal 7 Minuten kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass es keinen Kompromiss geben wird.

Damit rückt das Ende der Region Elsass unaufhaltsam näher. Am 8. Dezember wird der Gesetzentwurf zur Neuordnung der Regionen zur dritten und letzten Lesung erneut in die Nationalversammlung gebracht und niemand zweifelt ernsthaft daran, dass die Regierungsmehrheit ihren eigenen Vorschlag durchwinken wird. Da tröstet es die Elsässer wenig, dass die Hauptstadt der neuen, ungeliebten Region „Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne“ Straßburg sein soll. Denn die Elsässer wollten kein Trostpflaster, sondern ihre Eigenständigkeit.

Jetzt, wo es offensichtlich zu spät ist, regt sich im Elsass Widerstand. Beschränkte man sich zuvor darauf, sich gegenseitig in breitem Elsässer Dialekt zu bestätigen, dass Paris spinnt und allerhöchstens eine Region Elsass-Lothringen in Frage kommt, wird nun in öffentlichen Foren diskutiert, welche Formen des Widerstands zur „Rettung der elsässischen Identität“ angebracht wären. Der „Widerstand“ wäre vermutlich gar nicht nötig gewesen, hätten die elsässischen Politiker rechtzeitig eine vernünftige Informationskampagne über die Vorteile einer Region Elsass für Frankreich durchgeführt. Aber dazu langte es nicht ganz, die elsässischen Lokalfürsten zogen es vor, sich gegenüber dem elsässischen Stammtisch zu positionieren, statt mit Paris und den Nachbarregionen zu sprechen.

Und jetzt, da es zu spät ist, erwacht bei einigen Elsässern so etwas wie eine „bretonische“ Seele. Man möchte kämpfen. Und argumentiert tapfer weiter mit den falschen Argumenten. Das diffus vorgetragene „Ihr tötet die elsässische Identität“ wäre mittlerweile fast komisch, wäre der ganze Vorgang nicht so ernst.

Dabei müssen sich die Elsässer keine Sorgen um den Erhalt ihrer Identität und Kultur machen. Wir in Baden wissen das. Immerhin wurde unsere Region auch schon einmal „zwangsverheiratet“ – mit dem ungeliebten Württemberg. Doch auch in der Konstellation Baden-Württemberg ging die badische Kultur und Identität nicht etwa verloren, sondern prägte sich noch viel deutlicher aus als zuvor. Niemand in Baden begann plötzlich Schwäbisch zu sprechen, auf den Speisekarten wurden Brägele nicht durch Spätzle ersetzt und der badische Dialekt wurde ebenso wenig verboten wie die Weinfeste, die Hocks und der SC Freiburg. Insofern können wir die elsässischen Freunde nur beruhigen – eine regionale Identität hängt wirklich nicht von ihrem administrativen Status ab, im Gegenteil.

Doch was gerade im Elsass hochkocht, sind nicht etwa begründete Sorgen um die eigene kulturelle Identität, sondern die schlichte Angst davor, dass sich etwas ändern könnte. Nach dem Floriansprinzip ist man durchaus für eine Reform hin zu einer effizienteren Verwaltungsstruktur, nur eben am liebsten bei den anderen und nicht bei einem selbst. Dann gibt es noch, und die Vertreter dieser Gruppe hört man am lautesten, die Revisionisten. Eine gefährliche Schar Ewiggestriger, die sich für das Elsass am liebsten die vollständige Autonomie oder gar einen Anschluss an Baden-Württemberg wünschen würden. Diese Leute sind für das Elsass schädlicher als die geplante Gebietsreform, denn diesen Leuten geht es darum, das Rad der Geschichte zurück zu drehen und der leidvollen Geschichte der Region ein weiteres Kapitel hinzuzufügen.

Nur – die Würfel sind gefallen. Geplante Aktionen wie die Blockade der Passstraßen über die Vogesen und andere militante Aktionen werden das Elsass noch weiter zurückwerfen und den Verdacht, den die mehr als ungeschickte Kampagne für ein „Elsass frei!“ in Paris und ganz Frankreich genährt hat, weiter verstärken. Das Elsass fängt nun ganz langsam an zu verstehen, dass die Chance auf ein größeres Gewicht der Region Elsass am 7. April 2013 leichtfertig verspielt wurde. Und jetzt ist es zu spät. Und in 25 Jahren wird man im Elsass herzhaft über die Befürchtungen lachen, die man im Jahr 2014 hatte – auch mit den neuen Partnerregionen wird das Elsass nicht untergehen. Was man dann 2039 auch im Elsass bemerken wird. Hoplà!

4 Kommentare zu Gebietsreform – eigentlich ist die Diskussion jetzt vorbei

  1. Es ist erstaunlich, dass in diesem Artikel der Wille der breiten Mehrheit der elssäsisschen Bevölkerung nicht mal berücksichtigt wird, demokratich über Ihre eigene Zukunft zu gestalten. Kein einziges Wort über die verschiedene Demonstrationen durch das Land gegen die Fusion einer Grossregion, als diese schon angenommen wäre. Die Reaktion ist nicht nur gegen irgendeine kleine Gebietsreform. Die Leuten wehren sich gegen eine unvorbereitete, willkürliche und zentralstaatliche Entscheidung, die über keinerlei wirtschaftlichen oder raumplanichen Gedanke beruht, oder zumindesten nie öffentlich dargestellt wurde. Der Widerstand fängt erst an.

    Antoine BEYER

    • Lieber Antoine, jetzt sind wir ausnahmsweise mal nicht der gleichen Meinung. Zum Einen hatten die Elsässer am 7. April 2013 die Möglichkeit, demokratisch ihre eigene Zukunft zu gestalten, haben diese Möglichkeit aber leichtfertig verdaddelt. Zum anderen ging es bei den Demonstrationen nicht um eine demokratisch orientierte Gesellschaftskritik gegen die jakobinische Staatsorganisation, sondern in erster Linie um ein verstaubtes, autonomistisches Gehabe mit Parolen wie “Elsass frei” oder “Elsass erwache”, das logischerweise in Paris und anderswo große Sorgen ausgelöst hat. Wie bereits mehrfach auf Eurojournalist(e) geschrieben, haben die Elsässer eine geradezu jämmerliche Kampagne mit den falschen Argumenten für eine Region Elsass geführt.
      Außerdem habe ich in der gesamten Debatte keinerlei Kritik am “undemokratischen Ablauf” gehört – so war und ist ein Großteil der Elsässer durchaus bereit, als “kleine Reform” eine Region Elsass-Lothringen zu akzeptieren, die ja in genau dem gleichen Format (also zentralstaatlich) organisiert würde. Wie soll denn eine solche landesweite Reform anders organisiert werden? Wo soll eine solche Entscheidung getroffen werden, wenn nicht in Paris?
      Das Ganze klingt immer mehr nach dem Sankt-Florian-Prinzip – Reform ja, aber bitteschön bei den anderen und nicht bei uns. Ich weiß natürlich, dass Dir Raumplanung, urbane Entwicklung und die deutsch-französische Zusammenarbeit ganz persönlich am Herzen liegen – aber sei ehrlich: Diese Argumente hat man in der Debatte im Elsass nicht gehört. Dafür aber eben diese autonomistischen Sprüche, Beleidigungen und dümmlichen Parolen. Ich bin überzeugt, dass das Elsass, wie so oft, die Chance verpasst hat, mit einer guten Informationskampagne, mit Argumenten (die es reichlich für eine Region Elsass gab und gibt) und weniger autonomistischem Pathos eine andere Entscheidung herbeizuführen.
      Und wenn das Elsass eine so starke gemeinsame Identität hat, die sich über Haut-Rhin und Bas-Rhin hinzieht, dann verrate mir mal, warum die Elsässer es mehrheitlich am 7. April 2013 nicht für nötig hielten, für eine gemeinsame Verwaltung wählen zu gehen – dass die Gebietsreform geplant war, wusste man damals schon. Soooo wichtig war es dann anscheinend doch nicht…
      Beste Grüße
      Kai

      • Lieber Kai,
        Deine Vorstellung klingt als ob die Elsässer die heutige Situation verdient hätten. Man kann sich fragen warum am 7. April das Referendum im Sinne einer regionalen Einheit schiefging. Es ist klar dass die Wahlkampagne falsch eingestezt wurde und grosse Bevölkerungschichten nicht interessiert hat, obwohl die grosse Mehrheit für eine Gebietseiningung wäre, sobald es zu mehr (finanzielle) Effizienz bringen würde. Dieses Argument wurde schlecht dargestellt wenn überhaupt diskutiert, das muss man zugeben. Aber was haben die 55% der Wähler des Haut-Rhins beansprucht : die geographische Nähe Ihrer politischen Vertretung, da schon die wirtschaflichen Entscheidungen immer ferner getroffen werden. Mit der Wahl wurde zumindesten wurde die Frage demokratisch behandelt.
        Dieselben Argumente sollten dann auch für die Fusion der Grossregion gelten.
        1. Eine klare Darstellung des besseren Effizienz der Alca (Elsass/Lothringen/Champagne/Ardenne) : ist mir nicht bekannt
        2. Eine demokratische Zustimmung : keien Rede Davon, ganz im Gegenteil
        3. Die Garantie der Nähe der politischen Vertretung : wird im Gegenteil zun eine Entfernung und eine politisierung der Debatten führen
        Für mich, wie für viele aderen, sind diese Punkte nicht vorhanden, und die Lösung noch schlechter als zuvor. Es liegt dann mir schwer, was du schreibts wenn du behauptest dann die Elsässer hätten eine kollektive Bestrafung verdient hätten ! Im Gegenteil : die Leuten wollen etwas zu sagen haben, jetzt und in der Zukunft. Diese Grossregion werden die Zentralstaat im kleineren Rahmen nachahmen. Davon fürchten sich alle. Der Jakobiner Staat ist nicht nur in Paris, aber auch in den Köpfen. Nicht von oben soll die Lösung kommen, mit noch mehr Hierarchie und Verwaltung, sonder von unten mit dem Bund der lokalexistierede Sozialkräfte.
        Mit der Wahlergebnisse des 7. April wollte eingen im Haut-Rhin das alte System noch bewähren. Es war damals keine Rede von einer Verwaltungsumwältzung. Hätte man damals die beiden Lösungen den Wählern angeboten, du weiss ganz genau wie ich, dass die überwiegende Mehrheit sich für das Zusammenlegen Haut-Rhin/ Bas-Rhin entschienden hätten. Eine Elsass-Lothringen Lösung wäre noch möglich gewesen, wie die Lokalen Sozialisten es verteidigt haben. Man kann sich doch wundern, dass einfach die Champagne, die doch zur Pariser Region gehört mitten drin übernacht ins Spiel kommt. Dazu sollte man doch Kritik erheben. Ist es nicht eine willkürliche Entscheidung von der Regierung. Was haben die Bevölkerung und Ihre dirkete Vertretung dazu zu sagen. Wie kann man eigentlich diese unlogische Lösung einfach hinnehmen, besonders als Journalist, ohne eine Kritik auszuüben, nur weil einige für alle Enschieden haben ? Damit ist es nur von der geographischen Teilung die Rede : nicht über die Machtverteilung, was mit den Departemens, die wegverscwinden sollten und die wieder auftauchen, was will der Zentralstaat diesen Region für Gelder zusichern ? Das alles wurde nie auf den Tisch gebracht. Die Reform ist eine völlige Improvisation !
        Die Bevölkerung ist gegen diese Fusion, die lokalen Abgeordneten auch. Der Senat, der französichen Bundesrat, hat sich auch für andere Regionsteilung ausgesprochen. Keinerlei der Vorschläge wurden wahrgenommen. Keine Sicherung der elsässischen Identität wurde gesprochen (zB zweisprachrige Unterricht). Da muss man sich die Debatte in der Nationalversammlung anhören : alles wurde einfach von der Regierung und deren politische Mehrheit unter den Tisch gewischt. Die Republik sei ein und unteibar (République une et indivisible), ein Spruch aus der Zeit der “grossen Revolution” und det Terror als ob das Vaterland in Ihrem Bestehen bedoht wäre. Die Vielfalt der französchen regionalen (nationalen) Identitäten dürfen nicht mal erwähnt werden sonst bedoht der Vorwurf von Majestätsbeleidigung !
        “Elsass frei” ist ein Spruch gegen die Zentralregierung und deren Missbehandlung einer Identität, die Tief in den Elsässer verwurzelt ist, für eine mögliche lokale Entscheidung gegen die Willkür der Staatsgewalt, sei sie wie früher die deutsch oder heute die französiche.

        • Lieber Antoine, das stimmt so nicht. Ich habe nicht gesagt, dass sie die Elsässer das verdient haben, sondern dass sie die Situation zu verantworten haben. Das ist nicht das Gleiche.
          Deinen Ansatz zu mehr Subsidiarität in Frankreich finde ich natürlich unterstützenswert, allerdings habe ich das Gefühl, dass dieses Argument jetzt einfach zu spät kommt.

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