Gedenkfeier in Moskau: Der Kalte Krieg wird immer kälter

Angela Merkel hat eine symbolträchtige Entscheidung getroffen - sie wird nicht zur 70-Jahr-Feier des Sieges der Alliierten über Nazi-Deutschland nach Moskau reisen.

Ob es tatsächlich eine gute Idee ist, die 70-Jahr-Feier des Sieges über Nazideutschland in Moskau zu boykottieren? Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Dass die Bundeskanzlerin wenig Lust verspürt, am 9. Mai an einer Militärparade in Moskau teilzunehmen, das kann man verstehen. Doch was einem vielleicht persönlich gegen den Strich geht, sollte in den Überlegungen, wie es in Europa weitergeht, keine Rolle spielen. Denn dieser Jahrestag ist zu wichtig, als dass man ihn schmollend zuhause verbringen sollte.

Gerade als deutsche Bundeskanzlerin müsste Angela Merkel der Welt ein deutliches Zeichen geben – nicht nur, dass Deutschland seine Nazi-Vergangenheit überwunden hat (angesichts der Vorkommnisse um die “Pegida” stellt man sich außerhalb Deutschlands durchaus die Frage, ob es nun schon wieder losgeht…), sondern auch dafür, dass man weiterhin alles versuchen will, zwischen den beiden großen Blöcken, die sich zähnefletschend in Europa gegenüber stehen, diplomatische und pazifistische Lösungen zu suchen. Das schmollende Wegbleiben am 9. Mai dagegen ist nur ein Zeichen dafür, dass der “Kalte Krieg 2.0” die nächste Eskalationsstufe erreicht.

Aus dem Umfeld der Kanzlerin verlautete, dass eine Teilnahme Merkels ein “Affront gegen die ukrainische Regierung” gewesen wäre – warum eigentlich? Wie kann das Gedenken an das Ende der schlimmsten kriegerischen Katastrophe der Menschheit ein Affront gegen irgend jemanden sein? Um Russland solche Botschaften zukommen zu lassen, gäbe es andere Möglichkeiten, zu denen man sich dann aber wieder nicht traut, konsequent zu handeln.

So könnte man beispielsweise die Fußball-WM 2018 boykottieren (und die 2022 in Katar gleich dazu), oder dafür sorgen, dass das Formel 1-Rennen in Sotchi nicht mit europäischen Fahrern und Rennställen stattfindet, doch der Boykott der 70-Jahr-Feier des Endes des Nazi-Terrors in Europa ist von allen denkbaren Gelegenheiten zum Boykott die schlechteste.

Im Gegenteil – genau diese Gelegenheit sollte Angela Merkel nutzen, um in Moskau, auf dem Roten Platz, vor der geballten Militärmacht Russlands, eine Botschaft des Friedens auszusenden, in allererster Linie an das russische Volk, das genauso von der heimischen Propaganda geblendet wird wie wir von der unseren. Das Wegbleiben der Kanzlerin kann so in Russland genau so interpretiert werden, wie es die russische Propaganda will – diese vermittelt ja gerade ihrem Volk, dass Russland sich erneut gegen vorrückende Faschisten zur Wehr setzen müsse.

Jeden einzelnen Tag wird gerade Steinchen für Steinchen auf die neue, unsichtbare Mauer zwischen Russland und Europa geschichtet. Und zwar von allen Beteiligten. Symbolträchtige Gesten, gegenseitige Vorwürfe, Lügen, Aggressionen, Übergriffe, Drohgebärden – und alle Seiten machen begeistert mit. Jetzt also auch die Bundeskanzlerin, die immerhin noch gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Hollande eine Initiative gestartet hatte, die zum Abkommen “Minsk II” geführt hatte, das zwar mehr als brüchig ist, aber dennoch einige Menschenleben retten konnte.

Angesichts der Tatsache, dass die Europäische Union in diesem Konflikt vollständig unsichtbar ist, kommt dem deutsch-französischen Tandem eine ganz besondere Rolle zu – nämlich diejenige, die Stimme der Vernunft zu geben. Vielleicht überlegt es sich Angela Merkel ja noch einmal. Und wenn sie keine Lust hat, was man, wie eingangs gesagt, durchaus verstehen kann, dann soll sie Hollande bitten, sie zu begleiten. Wenn sich Europa vollständig aus diesem Konflikt heraushält, dann bleiben nur noch die NATO und Russland übrig – und keiner dieser beiden wird auch nur einen vernünftigen Schritt in Richtung des anderen machen.

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