Geht Selenskyi jetzt „All-In“?

Der Ukraine-Krieg eskaliert immer weiter und es ist klar, dass es nicht zu einer diplomatischen Lösung kommen wird. Aber wer hat militärisch die besseren Karten?

Es wird Zeit, dass Selenskyi etwas Neues einfällt - die permanente Wiederholung längst abgewiesener Forderungen bringt die Ukraine einem Ende des Kriegs nicht näher. Foto: President of Ukraine / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Glaubt der Westen tatsächlich, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland und die russischen Verbündeten militärisch gewinnen kann? Zwar jubelt man heute in Kiew und den westlichen Hauptstädten über die letzten ukrainischen Angriffe auf Wladiwostok, Irkutsk und die strategisch wichtige Krim-Brücke, doch könnte dieser Jubel bald abebben, wenn sich die russische Führung entschließt, entsprechend zu antworten. Doch das westliche Angeben über eine vermeintliche militärische Stärke könnte sehr teuer werden. Nicht etwa für die westlichen Führer und Selenskyi, sondern für die vielen Ukrainer, die für diese politischen und militärischen Aktionen mit dem Leben bezahlen werden. Dass die Ukrainer selbst zur Frage der weiteren Eskalation des Kriegs nicht befragt werden, stellt zumindest das europäische Narrativ in Frage, nach dem in der Ukraine „die Demokratie und die westlichen Werte“ verteidigt werden.

Die Fakten rund um diesen Krieg werden immer deutlicher. Russland will keinen Frieden und hat mehrstufige Bedingungen für einen Waffenstillstand, Friedensverhandlungen und einen Frieden gestellt. Diese Forderungen sind für die Ukraine nicht annehmbar. Umgekehrt fällt auch Selenskyi nichts Neues ein, als die gleichen Slogans immer wieder zu wiederholen – er fordert einen bedingungslosen Waffenstillstand, einen „gerechten und dauerhaften“ Frieden und den Abzug der russischen Truppen. Beide Seiten werden nicht von ihren Forderungen abrücken und daher ist klar, dass dieser Krieg auf unbestimmte Dauer weitergehen wird, weiter Menschenleben kosten und Zerstörungen unglaublichen Ausmaßes verursachen wird.

Dass nun ukrainische Angriffe auf Ziele 7000 km von der ukrainisch-russischen Grenze geflogen werden, mag in Kiew einen kurzen Freudentaumel auslösen und dafür sorgen, dass man sich für einen kurzen Moment der Illusion hingibt, die Ukraine könne Russland militärisch besiegen. Diesem Irrglauben waren zuvor auch schon Napoleon I. und Adolf Hitler aufgesessen. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass Russland nicht alleine dasteht, sondern von den BRICS+-Staaten unterstützt werden, die nicht nur rund die Hälfte der Weltbevölkerung darstellen, sondern auch ein BIP aufweisen, das heute bereits über dem der G7-Staaten liegt. Insofern pokert Selenskyi jetzt sehr hoch, in der Hoffnung, dass wenn die Russen zurückschlagen, die NATO schon den III. Weltkrieg für die Ukraine gewinnen wird. Dass die NATO dazu gar nicht in der Lage ist, scheint keine Rolle zu spielen.

Auch nach mehr als drei Jahren machen alle Akteure immer auf die gleiche Weise weiter. Russland greift an und verbreitet seine Propaganda, die Ukraine verbreitet ebenfalls täglich die seit drei Jahren unveränderte Propaganda und demnächst werden wohl auch die USA aus diesem Krieg aussteigen. Dass die Europäer nicht müde werden, sich stark zu reden und mit dem Säbel zu rasseln, bringt uns einer Lösung auch nicht näher.

Und so nähern wir uns einer Situation, die Selenskyi seit zwei Jahren anvisiert – den Einsatz von NATO-Truppen in der Ukraine, sprich, dem III. Weltkrieg. Dafür geht er jetzt „All-In“, in der Hoffnung, dass die NATO für ihn diesen Krieg gewinnt, den die Ukraine selbst nicht gewinnen kann. Nach drei Jahren sollte man eigentlich verstanden haben, dass die bisherige „Strategie“ keinen Erfolg hat – Geld und Waffen in die Ukraine zu pumpen bringt die Ukraine einem „Sieg“ nicht näher, sondern verlängert den Krieg, was den Profiteuren dieses Kriegs, also der Rüstungsindustrie, den Finanzmärkten und denjenigen Unternehmen, die sich beim Wiederaufbau der Ukraine die Taschen füllen werden, sehr entgegen kommt.

Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg ist der amerikanische Präsident Donald Trump krachend gescheitert. Jeder erinnert sich an seine vollmundigen Sprüche, nach denen er diesen Krieg „innerhalb von 24 Stunden“ beenden wollte. Doch die Realität zeigt, dass die USA nicht die Spur einer Chance haben, diesen Krieg zu stoppen, ja, dass sie nicht einmal in der Lage sind, einen zeitlich begrenzten Waffenstillstand durchzusetzen. Dass Trump nun trotzig ankündigt, diesem Krieg den Rücken kehren zu wollen, ist das Eingeständnis des völligen Versagens dieses Präsidenten, der in den anderen Themen, die er auf seiner Agenda hat, auch nicht erfolgreicher ist. Das allerdings hält zahlreiche europäische Führer nicht davon ab, billige Kopien des „Trumpismus“ auch in ihren Ländern auf den Weg zu bringen, wie Italien oder Deutschland in der Asylpolitik.

Weder die USA, noch die Europäer, die alles andere als einig in der Ukraine-Frage sind, werden in der Lage sein, diesen Krieg zu stoppen. Dass die Ukraine für eine Beendigung der Kampfhandlungen der russischen Seite mehr anbieten muss als die Forderung nach einem „gerechten und dauerhaften“ Frieden, ist klar, doch es passiert nicht. Dass die durchaus heftigen Nadelstiche der Ukrainer bis nach Sibirien den Verlauf des Kriegs nur noch weiter verschärfen werden, liegt auf der Hand, denn die Annahme, dass Putin tatenlos zusehen wird, wie der Krieg nach ganz Russland getragen wird, ist realitätsfremd.

Die Lage für die Ukrainer wird täglich dramatischer und die Eskalation des Kriegs wird von allen Seiten nach Kräften betrieben. Und uns Europäern fällt nichts anderes ein, als weiterhin den Krieg für beide Seiten zu finanzieren (wobei das Handelsvolumen mit Russland größer ist als die Hilfen an die Ukraine…) und uns weiterhin selbst zu erzählen, dass wir die Mittel hätten, Russland entscheidend auf die Knie zu zwingen. Doch diese Mittel haben wir nicht und auch, wenn inzwischen die ganze Welt auf „Kriegswirtschaft“ umstellt, sollte man sich irgendwann darüber klar werden, mit wem man es zu tun hat – mit der Hälfte der Weltbevölkerung und dem größten Wirtschaftsverbund der Welt.

Die Europäer, und das wird immer deutlicher, sind wie der „Scheinriese“ in Michael Endes „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“. Dieser Scheinriese sieht aus der Entfernung tatsächlich riesig aus, doch je mehr man sich ihm nähert, desto kleiner wird er. Es wird Zeit, dass man sich im Westen und in der Ukraine neue Ansätze überlegt, denn alle bislang gemachten „Vorschläge“ sind für Russland ebenso unannehmbar wie die russischen Forderungen für die Ukraine. So lange sich keine der beiden Seiten bewegt, werden weiter unschuldige Menschen sterben und das Risiko, dass am Ende die Ukraine vollständig vernichtet wird, steigt von Tag zu Tag.

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