Generation der Versager (3)

Wir haben gewählt, nun sind die auserwählten Politiker dran. Und ja, die Parlamentarier werden Gesetze, Verordnungen, Resolutionen verabschieden. Und ja, wenn es ums Klima geht, ist eines gewiss: Das reicht alles nicht, was auch immer da beschlossen wird. In Anbetracht der großen Aufgabe wird die Politik versagen – oder sind nicht wir es, die ihr den Weg erst bereiten müssen, wir die Versager?

Arm, aber nicht zahnlos. Lasst uns arm werden - weniger Konsum = weniger Zerstörung. Bandarole auf der Klimademo in Straßburg am 16. März 2019. Foto: MM / EJ / CC-BY-SA 4.0int

(Von Michael Magercord) – Der innere Widerspruch in Kurzform: Die Herstellung und Verbreitung dieses Artikels über den Klimawandel ist nicht klimaneutral. Sobald er – und damit das Tun seines Autors – nach den Auswirkungen auf das Klima bewertet wird, hat sein Schreiber schon versagt. Aber immerhin, es kommen in diesem dritten Artikel über seine Generation der Versager keine Worte des Versagens mehr vor: weder erfolgt eine wohlfeile Mahnung an die „Verantwortung“ (Teil 1), noch ein flammender Ruf nach „Gerechtigkeit“ (Teil 2). Der Autor wandelt mit diesem letzten Teil der Trilogie des Versagens auf dem Pfad der Hoffnung.

Ich hege grundsätzlich keine Hoffnungen. Hoffnungen sind nur die Enttäuschungen von morgen. Es kommt, wie’s letztlich kommt – wie soll ich das schon vorher wissen? Und es kommt meist ganz anders, als man hofft, und wenn dann doch einmal alles so eintritt wie erhofft, ist es – das haben wir als aktive Mitglieder der Konsumgesellschaft sicher alle schon erlebt – auch nicht so toll, wie erhofft. Hoffnung, was soll das. Aber Vorfreude hingegen, die genieße ich, allerdings immer in der Annahme, dass die Vorfreude schon die ganze Freude ist. Also Hoffnung zu reklamieren in einer so umfassenden Angelegenheit wie dem Klimawandel wäre eine Anmaßung und vor allem eine Überforderung der Mitmenschen – aber mich so für mich einfach schon jetzt mal auf die Klimarettung zu freuen? Ja, das erscheint in Anbetracht der aktuellen Lage zwar ziemlich absurd, aber mich auf diesen Gedanken doch einmal einzulassen, ist es mir schon allein wegen der Vorfreude daran wert.

Es stimmt natürlich, ich lebe nicht allein auf der Erdkruste und ihrer Troposphäre. Und mein tatsächlicher Beitrag zum Klimawandel – genauso wie der zu dessen Abmilderung – wird also immer ein relativ unwesentlicher bleiben. Was dann? Ich allein kann nichts ausrichten, soll „die Politik“ es richten – das sagt man jedenfalls jetzt immer sehr schnell, wenn konkretes Handeln anstünde. Aber stimmt das? Gewiss, ohne Politik wird es letztlich nicht gehen, und tatsächlich: in „der Politik“ scheint die Botschaft auch angekommen zu sein. Selbst die just vom Europaparlament gewählte EU-Kommissionspräsidentin ernannte in einer Stellungnahme bei der Fraktion der Grünen die vorausgegangen Europawahlen zu „Klimawahlen“.

Klar, auch Ursula von der Leyen ist eine Politikerin aus der nun langsam alternden Generation, aus meiner der Versager nämlich. Und so ganz scheinen ihr die Kausalitäten zwischen Natur und moderner Zivilisation noch nicht klar geworden zu sein. In einer Entgegnung auf ihre Bewerbungsrede im Parlament war die Erde immer noch ein Planet, der jetzt „unsere Hilfe braucht“. Es dürfte sich aber selbst in ihrer Alterskohorte herumgesprochen haben, dass es unserem Planeten schon immer egal war, ob unser einer auf ihm gemütlich leben kann. Dafür sind wir immer noch selbst verantwortlich – die Erkenntnis, dass Täter und Opfer identisch sind und wir mit unseren Taten nur uns selbst schaden, würde aber wohl dem Selbstbild eines Politikers – und einer Politikerin – widersprechen. Wegen der Unfähigkeit, diese Kausalität zu erkennen, können im Hier und Jetzt handelnde Politiker auch keine angemessenen Antworten auf die Herausforderungen durch den Klimawandel finden. Klimapolitisch allerdings ist das alles halb so schlimm beziehungsweise von untergeordneter Bedeutung.

Das meine ich gar nicht verächtlich, sondern im Gegenteil: Ausgerechnet Politiker zu Hoffnungsträgern auszuerküren, ist eine weitere Überforderung seiner Mitmenschen – denn auch Politiker sind ja bekanntlich Mitmenschen. Und man kann sie in dieser Frage nur überfordern. Nach all den Jahren, die ich mich hautnah mit Politik und ihren Protagonisten beschäftigt habe, lernt man, dass Politiker nur das nachführende Geschäft betreiben. Auf die Vorarbeit kommt es stattdessen an, in ihr wird die ganze Arbeit geleistet. Und diese Leistung ist – siehe Vorfreude – nun wirklich einzig und allein meine Sache.

Politik kann nur in einem geistigen Umfeld agieren – und dessen Spiritus Rector bin ich. Und du, Mitmensch, natürlich auch. Alle unsere Geister zusammen bilden das Umfeld. Also trage auch ich mit meinem bescheidenen Beitrag zur Vorbereitung der Stimmungslage bei, in der schließlich Politik „gemacht“ wird. Nur, was schon irgendwo vorgedacht wurde, kann zur politischen Tat werden. Politische Veränderungen sind der bloße Nachvollzug von Veränderungen, die geistig bereits vollzogen wurden. Das gilt für nahezu alle Lebensbereiche: von der Homoehe, wo das generelle gesellschaftliche Terrain bereits bereitet war und die Lebensform schon gelebt wurde, als sie schließlich politisch vollzogen wurde, bis zum Grundeinkommen, wo sich der Wandel in der Debatte langsam aber sicher vollzieht und nun auch erste kleine politische Ansätze zu beobachten sind.

Bestens illustrieren lässt sich dieser Umstand auch am Ende der Atomenergie in Deutschland. Das vollzog sich nicht in den 1970er Jahren, als sich der deutliche Widerstand gegen die risikoreiche Energieform mit dem endlos strahlenden Müll formierte; nicht in 80ern, als sich nach dem Unfall in Tschernobyl erstmals eine demoskopische Mehrheit der Bürger der BRD dagegen aussprach; nicht in den 90ern, als die Atomkraftwerke im neuen Osten der Republik abgeschaltet wurden; und nicht einmal in den 00er Jahren, als die Grünen regierten, aber letztlich noch die Stromkonzerne das Sagen hatten; nein, erst in 10er Jahren nach dem erneuten Großunfall in Japan und der Tatsache, dass in dessen Folge sich in Umfragen ein beständiger Anteil von über 70 Prozent der bundesdeutschen Menschen gegen diese Energieform aussprach, reagierte schließlich die Politik. Und selbst, wenn es stimmen sollte, was im nuklearbesessenen Frankreich kolportiert wird, dass nämlich die deutschen Energieriesen der Kanzlerin suggeriert hätten: „Schau’n Se mal, wir haben noch soviel schöne Kohle in der Erde, die muss jetzt erst noch weg“ – ohne das bereitete geistige Umfeld und die gesellschaftliche Stimmungslage wäre der Entschluss zur Abschaltung der Atomkraftwerke nie erfolgt, egal was die Wissenschaft und Technik zuvor alles schon an Bedenken ins Feld geführt hatte.

Und das gilt natürlich auch für unser Versagerthema „Klima“. Der Klimawandel, die ungleich größere, vielleicht größte Aufgabe, vor der die moderne Politik, die moderne Menschheit und damit ich jemals gestanden haben. Immerhin, von mir braucht niemand mehr Freitag für Freitag auf Demonstrationszügen Einsicht einzufordern. Da bin ich durch und zwar schon ziemlich lange. Durch bin ich auch durch Zeiten, in denen ich mich sehr einsam fühlte, wenn ich auf eine Änderung des geistigen Klimaumfeldes hoffte. Wie gesagt, die trat ja auch bisher nicht ein. Und doch: so deprimierend es sein kann, sich allein zu wähnen mit seiner Besorgnis um die Umwelt und den Ideen, wie man ihr entgegentreten kann, ja so sehr man sich gegen den Strom seiner Zeit zu stehen meint in allem, was den derzeitigen Alltag ausmacht – gerade in dieser verzweifelten Zeit hat man mit seiner Haltung letztlich nur vorvollzogen, was nun allenthalben nachvollzogen wird.

Aber diese Zeiten des Alleinstehens, bleiben auch rückblickend Zeiten, in denen man sich wie ein Versager vorkommen musste, und ja: auch sollte. Denn es sollte einem Menschen immer seltsam vorkommen, wenn seine Vorstellungen vom richtigen Leben der allgemeinen Lebensweise widersprechen. Für die Sorgen der Mitmenschen um Arbeit und Konsum konnte ich mich schon damals nur schwerlich – um im Klimathema zu bleiben: erwärmen. Da stellte sich mir dann ab und an schon die Frage, ob ich es nicht bin, der da schief gewickelt ist? Ebenso achtsam sollten sich übrigens auch jene hinterfragen, die meinen, ihre Gedanken würden sowieso von allen anderen geteilt und sie sprächen für eine „schweigende“ Mehrheit.

Nicht alle ticken wie man selbst, selbst wenn man es auch mal kurz glauben mochte. Und das tat ich auch, denn diese Durchhaltezeiten verliefen in Hoch und Tiefs. Es beschlich mich sogar einmal dieses Gefühl, jetzt tut sich was! Da schien für einen kurzen Moment die industrielle Produktionsgesellschaft auf dem Prüfstand zustehen und eine Verschiebung der individuellen Wünsche und dessen, was man gesellschaftlich für Wichtig erachtete, möglich zu sein. Doch in dieses Gefühl hinein platzte damals der Fall der Mauer und quasi über Nacht verstummten all die Fragen, der sich die Industriegesellschaft gerade ausgesetzt sah – Umweltschmutz, Konsumwahn, Mobilitätsirrsinn. Die archaische Konsumwunschbefriedigung hatte nun den Osten erreicht, und die mit ihr verbundenen rückwärtsgewandten Themen drängten sich wieder in den Vordergrund: Autos, Kaufkraft, Arbeit – und für die meisten Menschen im Westen schien es fast eine Erleichterung zu sein, sich nun wieder mit den altbekannten Sorgen herumschlagen zu dürfen, von denen man immerhin meinte, man kenne das Rezept für deren Linderung: Wirtschaftswachstum.

Das war’s dann erst einmal, der Ausstoß von CO2 ging ungebremst weiter – ganz so, als wolle man mit aller Gewalt beweisen, dass alles so schrecklich kommen kann, wie es vor bald fünfzig Jahren die Wissenschaftler des Clubs of Rome in ihrer Schrift „Die Grenzen des Wachstums“ vorausgesagt hatten. Und ja, es ist so gekommen, der beschleunigte Klimawandel wird uns von den heutigen Wissenschaftlern Tag für Tag bestätigt, mehr noch: Sie sagen uns neuerliche Katastrophen voraus, vom Anstieg des Meeresspiegels bis zu großflächigen Verwüstungen – doch jetzt Achtung: Genau das bereitet Zuversicht und Vorfreude!

Das heißt nämlich: man kann tatsächlich wissen, wie es endet, wenn alles so weitergeht wie bisher. Und das ist doch schon mal was, das ist ein echter Ausgangspunkt für Veränderung. Jetzt müssen wir nur noch wirklich wirksame politische Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen. Sicher ist auch, dass es nicht bei jenen Maßnahmen bleiben kann, die bisher von der Politik angedacht werden, denn alles, was da bisher angedacht wurde, ist ein bloßes Weiter so. E-Autos verstopfen die Straßen genauso wie zuvor die Verbrenner, und anstatt die Luft zu verpesten, verseuchen die Rückstände ihrer Lithiumbatterien nun den Boden. Es hilft alles nichts: Wir müssen neu und anders denken!

Dass Politiker das nicht können, darf man ihnen nicht verübeln. Zum Neudenken sind sie als nachführendes Organ gar nicht da, sondern wir – und damit vor allem ich. Ich muss mich vom Arbeits- und Produktionsethos verabschieden, mich der Magie des Wachstums entziehen, mich den Realitäten der Begrenztheit der physischen Welt stellen und mich mal auf den Gedanken einlassen, dass etwas wirklich Neues auf mich zukommen wird, selbst wenn mir niemand sagen könnte, wie dieses Neue schließlich aussehen wird. Dieses neue Denken kann mit einer so simplen Frage beginnen, wie dieser: Ist das denn wirklich so schlimm, mit etwas weniger klarkommen zu müssen und bisschen weniger mobil zu sein?

Ach je, vernehme ich schon mein eigenes Stöhnen: bitte jetzt nicht nochmal diese Kalenderweisheit… aber doch, da ist sie wieder: Weniger ist nun einmal das neue Mehr – und im Denken muss diese Tatsache zuallererst vollzogen sein, bevor sie als neue Realität auch politisch institutionalisiert werden kann. Das Leben wird dann schließlich genauso funktionieren wie zuvor, denn die Quellen der persönlichen Lebensfreude sind ja doch immer die gleichen, denn die speist sich – oh welch Kalenderweisheit – aus Liebe, der Beziehung zu seinen Mitmenschen, einem angenehmen Lebensumfeld und einer sinnvollen Tätigkeit – und eben nicht unbedingt aus 5G-Netzen und ’nem Golf GTI (Entschuldigung für so’n Uralt-Gag, ich bin halt aus jener Generation der Versager). Nein, es ist vielleicht alles gar nicht so schlimm, und mir all die neuen Möglichkeiten vorzustellen, die sich mir dann wieder oder noch böten, macht schon richtig Vorfreude.

Das alte Rom geht unter, soviel ist seit den Erkenntnissen des Clubs of Rome sicher. Wie sich die Welt danach gestalten wird, wissen wir hingegen nicht. Aber wir können uns schon jetzt darauf freuen. Und zwar gemeinsam, das heißt also auch du und all die anderen, die sich heute noch wie klägliche Versager vorkommen. Wir haben ja sowieso keine Wahl, vom hohen Ross des Arbeitsethos, Produktionsstolzes und stetigen Wachstums werden wir definitiv herunterkommen müssen, die Frage ist nur, wie wir das hinkriegen: Schaffen wir es gemeinsam als demokratisch-verfasste Gesellschaft in Würde abzusteigen oder purzeln wir herunter und fügen uns dabei gegenseitig ganz viel Aua zu? In dieser Frage – und eben wirklich nur in dieser Frage – liegt der Spielraum, worin sich „die Politik“, das nachführende Organ, betätigen kann, ja muss: Denn sie muss Vorschläge unterbreiten und Maßnahmen ergreifen, die auch darin liegen können, das ein oder andere überlebte Projekt ad acta zu legen. Und weil wir das alles sowieso schon vorgedacht hatten und sogar bereits ihre positiven Wirkungen taxiert haben, werden wir die Maßnahmen – selbst wenn sie Einschnitte nach sich ziehen – freudig begrüßen.

Es kommt also nicht darauf an, voller Tatendrang die Welt zu verändern, solange das doch nur in den eingefahrenen Schemata geschehen würde, sondern darauf, die Welt neuzudenken, und zwar so, dass man sich schon jetzt auf diese erneuerte Welt freuen kann. Diese Vorfreude muss das geistige Umfeld für die Politik bilden – wenn’s geht, allerdings ein bisschen dalli. Und dazu kommt es jetzt auf diejenigen an, die schon lange keine Hoffnungen mehr hegen, weil sie erkannt haben, dass hoffen engstirnig macht; die erfahren haben, wie es sich anfühlt, sich in der Besorgnis allein gelassen zu wähnen und nun wissen, wie wichtig es ist, sich selbst immer wieder infrage zu stellen; die keinen großen Worten mehr trauen, weil die aus ihrem Gebrauch unweigerlich erwachsene Diskrepanz zwischen Reden und Handeln das freie Denken lähmt; die sich gedanklich bereits vom Arbeitsethos und Produktionsstolz verabschiedet haben und deshalb die neuen Möglichkeiten vorahnen, die jenseits der heutigen Lebens- und Wirtschaftsweise liegen; und die sich bei aller Vorfreude trotzdem einen gewissen Realismus gewahrt haben, um nicht – siehe oben – blinden Hoffnungen zu erliegen: Ja, auf mich kommt es jetzt an. Und auf dich! Kurz: auf uns, die Versager.

Und hier noch einmal der erste Teil  und der zweite Teil dieser Trilogie des Versagens.

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