Gestohlene Werte

Jahrzehnte lang wurden uns falsche Werte vermittelt, die nun nicht mehr gültig sind. Im Gegenteil, wer heute von „Frieden“ spricht, wird als „Querdenker“ und „Putin-Freund“ abgestempelt.

Erstaunlich, dass unsere "Werte" das erste Kriegsjahr nicht überlebt haben... Foto: Kate Ter Haar / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Ja, das waren die 70er und 80er Jahre. Wir sangen lautstark bei „Imagine“ von John Lennon mit und auch bei „Give Peace a Chance“, wir demonstrierten gegen die Kriege auf der Welt, die es auch damals gab, mit Slogans wie „Stell’ dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“ und bei den Friedensmärschen und -Demonstrationen gingen so viele Menschen auf die Straßen wie heute in Frankreich gegen die Rentenreform. Doch das war alles nur Sand, den wir uns selbst in die Augen gestreut haben – denn bei der ersten Gelegenheit holen wir heute Wörter aus einer angestaubten Schublade, von denen wir nie gedacht hatten, dass wir sie jemals außerhalb des Geschichtsunterrichts gebrauchen würden – „Schlachtfeld“, „Endsieg“ und „Haubitze“. Aber wie kann es sein, dass die Werte der Nachkriegsgeneration so überhaupt nichts mehr wert sind?

Klar, nach dem Beginn von Putins Angriffskrieg haben sich die Dinge verändert. Aber auch die darunter liegenden Werte? Ist „Frieden“ kein Ziel mehr? Ist „Frieden“ nur noch etwas für weltfremde Idioten, die nicht begriffen haben, dass Heldengeschichten viel spannender sind und viel tollere Emotionen generieren als „Frieden“?

Sind die Helden unserer Generationen, die gesellschaftliche Veränderungen friedlich und ohne Blutbäder initiiert haben, etwa Querdenker gewesen? Hätte ein Lech Walesa General Jaruzelski und seine Obristen nicht friedlich, sondern mit Waffengewalt verjagen müssen? Hätte Nelson Mandela die Apartheid nicht besser in einem Blutrausch beenden und alle Weißen in Südafrika ermorden lassen sollen? Und wie kommt es, dass wir Schulen nach eben diesen „Helden“ benennen und nicht nach Nazi-Kollaborateuren? Denn im Grunde werden heute diese „Helden“ mit ihrer radikal-friedlichen Einstellung ja ebenso verachtet wie ein Mahatma Ghandi, der auch nicht dazu aufgerufen hatte, Indien blutig von seinen britischen Besatzern zu befreien. Würde man Ghandi heute auch als Weichei beschimpfen, weil er den Wert von Menschenleben höher einschätzte als Heldengeschichten von gefallenen jungen Menschen?

Also, Mahatma Ghandi, Nelson Mandela, Lech Walesa – alles Querdenker, die nicht begriffen hatten, dass sie damit zur 5. Kolonne ihrer Besatzer wurden? Wie wäre es denn, wenn man kurzfristig den Friedens-Nobelpreis in den Nobelpreis für die schönste Heldengeschichte ersetzen würde? Das wäre ehrlicher. Wenn wir schon innerhalb eines Jahres alle Werte über Bord werfen, die man uns seit Jahrzehnten gelehrt hat, dann wäre das doch nur konsequent.

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