Gewalt – Opfer sind alle

Männer töten. Männer töten ihre Partnerinnen. Mehr als einmal pro Tag. Eine entsetzliche Statistik. Doch Männer töten auch sich selbst.

Dreimal mehr Menschen kommen in Deutschland durch Suizid als durch Verkehrsunfälle ums Leben - da stimmt etwas nicht. Foto: http://rebcenter-moscow.ru/ - Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – In Deutschland sterben jedes Jahr viele Menschen durch Unfälle im verkehr, durch AIDS, durch Drogen-Überdosen und durch Mord. Doch es sterben noch mehr Menschen als diejenigen in diesen vier Gruppen zusammen durch Selbstmord. Und in 3 von 4 Fällen sind es Männer, die ihre Gewalt gegen sich selbst richten.

Es stimmt etwas nicht in unserer Gesellschaft. Im Laufe der Jahrzehnte haben wir es in Deutschland geschafft, die Anzahl der Verkehrsopfer auf knapp 3.000 zu senken. Das sind zwar immer noch 3.000 zu viel, doch im gleichen Zeitraum ist die Anzahl der Selbstmorde konstant hoch geblieben. Und dabei fällt auf, dass sich dreimal mehr Männer als Frauen das Leben nehmen. Diese Zahlen kann man analysieren und stellt dann fest, dass es Risikogruppen, pathologische Schemata und erschreckend wenig Hilfestellungen gibt.

Es geht keineswegs darum, die Themen „Gewalt gegen Frauen“ und „Männer, die Gewalt gegen sich selbst anwenden“ miteinander zu vermischen. Doch ganz offenbar sind beide, Männer wie Frauen, am Ende des Tages Opfer der gesellschaftlichen Gewalt. Und während man richtig viel Geld in die Hand genommen hat, um Autos sicherer zu machen, wird die Not von Menschen, die nicht mehr weiterwissen, grob vernachlässigt. Es gibt kaum Frühwarnsysteme, kaum Airbags, kaum Pannenhilfe. Und da Männer beim Selbstmord erstaunlicherweise wesentlich sorgfältiger vorgehen, reicht zumeist bereits ein Versuch, denn, wie Psychologen festgestellt haben, sind viele Selbstmordversuche vor allem junger Frauen Hilferufe, bei denen es nicht darum geht, seinem Leben ein Ende zu setzen, sondern der Umwelt mitzuteilen, dass man nicht mehr weiter kann.

Die Zahlen aus dem Jahr 2017 sprechen eine brutale Sprache. 9.241 Menschen haben sich das Leben genommen, davon 6.990 Männer, so das Statistische Bundesamt, das diese individuellen Dramen in allgemeinen Zahlen ausdrückt. Besonders gefährdet sind Menschen in der Midlife-Crisis – fast 14% der Betroffenen sind zwischen 50 und 54 Jahre alt.

Die Hintergründe sind vielfältig. Psychische Krankheiten, Psychosen, Suchterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, Depressionen, Partnerschafts-Konflikte, Schulden, Arbeitslosigkeit, chronische Erkrankungen oder Trennungen gehören zu den Gründen, die dazu führen, dass Menschen sich selbst verlieren.

Doch was sagt das über unsere heutige Gesellschaft aus? Wir haben auf unseren Smartphones Apps, die uns anzeigen, wenn im Kühlschrank die Milch ausgegangen ist, doch wir verfügen über keine Antennen, die uns mitteilen, wenn unsere Mitmenschen in existentielle Lebenskrise geraten, aus denen sie keinen Ausweg mehr finden. Was aber stimmt nicht in unserer Gesellschaft, dass derart viel Gewalt vorherrscht? Gewalt gegen andere, Gewalt gegen Sachen, Gewalt gegen sich selbst – das ist ein Armutszeugnis für eine nur noch auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Gesellschaft.

Gewiss, es gibt Angebote, es gibt Suizid-Telefone, es gibt Hilfeangebote, doch die richten sich naturgemäß an Menschen, die eigentlich gar nicht aus dem Leben scheiden wollen, sondern Hilfe suchen. Doch jemand, der so verzweifelt ist, dass er keinen anderen Ausweg mehr sieht, der wird sich nicht an solche Hilfseinrichtungen wenden, im Gegenteil. Doch ist ein Suizid immer nur der Endpunkt einer mehr oder weniger langen Entwicklung. Kaum ein Selbstmord erfolgt spontan, und an diesen Entwicklungen hinein in die Verzweiflung sollte man arbeiten. Oder ist es uns allen egal, wenn der Nachbar langsam, aber sicher in der Lebensmüdigkeit versinkt?

Unsere schnelle Gesellschaft hat uns viel Fortschritt gebracht, technische Neuerungen, die uns Komfort, Genuss und Lebensfreude bescheren. Eines ist bei dieser Schnelllebigkeit allerdings verloren gegangen – die Mitmenschlichkeit. Wir achten nicht mehr aufeinander und wenn wir merken, was mit unseren Mitmenschen passiert, dann ist es meistens zu spät. Doch wenn es pro Jahr dreimal mehr Suizide als Verkehrstote gibt, dann läuft in beiden Bereichen einiges schief. Doch um innezuhalten, nachzudenken und vielleicht Dinge zu ändern, dafür ist das Leben heute zu schnell, zu hart, zu wettbewerbsorientiert.

Die Gewalt in der Gesellschaft pflanzt sich also bis in den intimsten Lebensbereich fort – es wäre wünschenswert, würde man ebenso viele Ressourcen in die Entwicklung von Früherkennung und Hilfestellung für Menschen investieren, wie man in die Entwicklung des Airbags gesteckt hat…

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