Girls just wanna have fun

Am Dienstag stattete die finnische Premierministerin Sanna Marin dem Europaparlament und dessen Präsidentin einen Besuch in Straßburg ab. Im weiten Rund des Plenarsaals begrüßte Roberta Metsola ihren Gast mit, wie es so schön auf Englisch heißt: „the floor is yours“.

Augen zu und durch - Sanna und Roberta rocken die Pressekonferenz im Europa-Parlament. Foto:© Michael Magercord

(Michael Magercord) – „Let’s have fun, too!“ rief die Abgeordnete Assita Kanko von der erzkonservativen ECR-Fraktion durch den Plenarsaal – und keiner war mehr zu halten. Vor allem die jungen Frauen unter den Parlamentariern sprangen aus ihren Abgeordnetensesseln und stimmten mit ihrer Kollegin zu. „Ich liebe es zu tanzen“, hatte die Belgierin mit afrikanischen Wurzeln zuvor gestanden und gefordert, dass Politikerinnen sich kleiden können, wie sie wollen. „Manche mögen es wie Merkel“, sagte das Mitglied der flämischen Regionalpartei N-VA, „aber ich mag Klamotten und Schuhe“. Mit Stöckelschuhen und im Midirock, so geht es an diesem Dienstag auf den Floor im Europäischen Parlament.

So kann nur eine Sanna Marin den Saal zum Rocken bringen, diese Regierungschefin von Finnland, die beim Tanzen erwischt… ach was: entdeckt wurde! Ein wahrer Fanclub hat sich in den sozialen Netzwerken gebildet, seit das Youtube-Video ihres wilden Partydance viral ging. Im Schummerlicht einer 70er-Jahre-Buntglühbirne wurde in dem kurzen Filmchen ordentlich gehonkt – und sofort hagelte es Bedenken: Darf eine Premierministerin so herum honken? Ja, sie darf, weil sie es kann!

Im Europaparlament knüpfte sie nahtlos an das Video an: Schon der Auftakt ihrer Rede war ein wahres Festival der aktuellen Hits in Europa. Die Herzen wurden sprangen höher, als sie über die Ukrainer spricht: „In unseren Herzen haben sie schon gewonnen“. Vorbei das antiquierte Wunschkonzert, „Die Welt, die Russland wünschte, wollen wir nicht“. Und gleich darauf die derzeitige Lieblingsselbstbezichtungsschnulze der alten Politikergarde: „Wir waren blauäugig“. Sanna ist es immer noch, aber diese Textzeile basiert ja auch auf der deutschen Übersetzung, sagen soll sie: Wer hätte das alles vorher wissen können? Aber jetzt sind wir ja schlauer und wissen wieder, welche Welt wir für uns wollen, diese EU, denn „Jeder kann hier Erfolg im Leben haben“.

Der Rhythmus war eingerappt: Ein Vers nach dem anderen zeigte, was auch in harten Zeiten den Erfolg sichert: Hätte-Hätte-“Lieferkette“, Digi-Digi-“Digitalisierung“, Wet-Wet-“Wettbewerbsfähigkeit“, Mäh-Mäh-“Mehrheitsentscheidung“. Crisis? What crisis? „Die Krise macht uns stärker“, denn „die EU ist kein Monolith“, sondern eine Organisation, die immer in Bewegung ist – und wo sollte sich das besser zeigen, als im Plenarsaal am Dienstag bei der Antwort- und Fragerunde der Fraktionsvorsitzenden, die der Rede von Sanna Marin folgte?

Der EVP-Vizechef Rangel ist zwar nicht mehr Jüngste und wagte sich nicht auf den Floor, wo das Redepult steht. Doch wer es nicht mehr in den Beinen hat, dem bleibt wenigstens der Geist. „Finnland, das Land der tausend Seen“, dichtete der Portugiese. „Keiner kann sich die europäische Literatur ohne die Kalevala vorstellen“, weiß dieser Poet des Plenarsaals und schloss daraus: „Wir haben Vertrauen in die alte Klugheit des finnischen Volkes“ – und natürlich seinen Rhythmus. Jedenfalls konnte gleich darauf die Vorsitzende der Sozialistenfraktion nicht umhin voll einzusteigen und rief vom Floor Sanna zu: „Wir brauchen junge Frauen wie dich, die bereit sind, in Zukunft Geschichte zu schreiben“.

Hätte sich jetzt noch der Grüne Co-Vorsitzende diesen weit voraus greifenden Schwingungen entziehen können? „Was Sie sagten, war Musik in meinen Ohren“, gestand Philippe Lamberts: „Einheit ist unsere Stärke“, das sei ja auch die erfolgreiche Devise Belgiens und der EU. Der Belgier wechselte ins Fach des Chansons und sang, was Liedermacher so singen: „Energiespekulation“, „CO2-Ausstoß“, „Biodiversität“, und erinnerte daran, dass Sanna der Band „Die Geizigen Vier“ angehörte, die partout keinen Cent rausrücken wollte für Schuldenmacher, und hielt ihr den Songwriter-Dauerbrenner entgegen: „Solidarität ist keine Geldverschwendung“.

Politisch Lied, ein garstig Lied? Dafür war dann doch eine Landsfrau von Sanna zuständig. Die Abgeordnete der rechtspopulistischen Partei der Wahren Finnen brachte den Saal wieder zum Kochen: „Wir werden gerettet, wenn wir die EU verlassen“. Pfeifkonzert? „Gute Zeiten bringen schlappe Männer und Frauen hervor“, sagte Laura Huhtasaari. Lassen die Weichlinge so etwas auf sich sitzen? Hopp hopp, auf in den Tanz – stattdessen geht das versteckte Lob an Sanna: „Sie verteidigt nicht die Finnen, sondern geht auf eine Party“. Aber die resolute Frau hat nun wieder Hoffnung gefasst: „Harte Zeiten werden wieder starke Leute hervorbringen“.

Lauerten da schon ein paar harte Männer auf den Hinterbänken auf ihren Einsatz? Aber ach: da kam Assita Kanko! Sie lüftete ein offenes Geheimnis, das selbst für die Härtesten unter ihnen gilt: „Politiker sind normale Menschen, auch sie gehen zwischendrin aufs Klo“. Allerdings soll es vor allem für Frauen gelten, die „auch mal traurig sind oder ausgelassen fröhlich“, und die ihr Frausein ins Politikerleben hinüberretten wollen. „Politiker haben ein Liebesleben, auch wenn sie keine Franzosen sind“, und deshalb der Appell an Sanna und alle jungen Frauen, die Politikerinnen werden wollen! Tanzt weiter, immer weiter, gebt nicht auf: „Auch ich hätte beinahe aufgegeben, doch das hieße, man gibt eine Zukunft auf“. Nein, das darf nicht sein, denn hier sind wir „in Europa, nicht in Afghanistan“. Hier ist tanzen erlaubt, nein, sogar erwünscht, deshalb Sanna: „Wir brauchen Sie!“

Nun durfte die Gelobte noch mal ran, und wieder stieg die Stimmung, als alles nochmal den Hits der letzten Monate abspulte: „Wir hatten uns geirrt“, wenn es um das Russlandbild gibt, was noch besser als Rap-Sampler rüberkommt: Hätt-Hätt-“Hätten wir den Krieg verhindern können mit größerer Stärke“ und Weh-Weh-“Werte müssen die Oberhand behalten“, und dann legte Sanna schließlich noch den „Energie-Mix“ auf: Atomkraft, aber vor allem Sonne, Wind – und warum nicht auch noch nach den Sternen greifen, wollte man es schon mit dem echten Poeten Antoine Saint-Exupéry sagen, doch da war der Saal nicht mehr zu halten: Alle tanzten und freuten sich des Lebens und lagen sich solidarisch in den Armen. Wer nicht mehr so rüstig ist, oder auch nicht so begütert wie Abgeordnete, der lässt sich eben unterhaken und wird mitgeschunkelt: Es werden strahlende Zeiten kommen, Europa, Europa, Europa…

Ist das nicht wunderbar? Es gibt nur ein kleines Problem: So war es leider gar nicht. Der Saal war halb leer, Applaus gab es nur, wenn für den NATO-Beitritt Finnlands, und am Ende, ja, da erhoben sich die Abgeordneten applaudierend aus ihren Sesseln, denn es war sowieso Zeit für’n kurzes Beinevertreten, bevor die anstrengenden Abstimmungen über Verordnungen und Entschließungen anstehen. Die folgende Pressekonferenz blieb trotz der rasch herbeigeholten brandneuen Finnlandfahne farblos und beschränkte sich auf die Wiederholung des bereits Gesagten. Ach Europa, ein paar mehr wirklich neue Ideen wären nicht schlecht. Wenn die Stimmung schon runter ist, wie wäre es mit Freibier für alle oder wenigsten einem Grundeinkommen, aber dann bitte nicht so ein finnisches aus dem Jahre 2017, das es nur gab, um zu beweisen, dass es nicht geht. Noch ein Hit gefällig: Geht nicht, gibt’s nicht…

Und um die Stimmung jetzt doch etwas anzuheben, hier noch mal das Video zum Artikel!

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