Gleichschritt en Marche

Schaffen die Euroskeptiker, was die glühenden Europäer nicht hinbekommen? Matteo Salvani, italienischer Innenminister, Chef der rechten Lega und EU-Skeptiker, ist dabei, eine gesamteuropäische Liste zu gründen, die europaweit zur Wahl antreten könnte.

Europas Neonationalisten marschieren wieder - wohin marschieren sie wohl dieses Mal? Foto: Josef Moser / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Von Michael Magercord) – Die „Lega der Legas“ – was im Deutschen wie ein verunglückter Plural wirkt, könnte der Beginn für einen Zusammenschluss einer Vielzahl von Singulären sein, die sich zum Ziel setzt, Schluss mit der Einheit zu machen. Wem das schon zu verzwickt erscheint und dazu noch die Formulierung widersprüchlich findet, der weiß: es geht um Europa.

Und wenn es um Europa geht, wird es naturgemäß widersprüchlich: Vielzahl und Einheit, wie gestaltet man diesen Gegensatz? Zur Einheit in der Vielfalt, wie sie in den schönen Europa-Diskursen beschworen wird? Oder wird es eine Vielfalt in der Einheit, wie sie sich in der Vielzahl der ständig neuen Verordnungen aus Parlament und Kommission niederschlägt, die jedes Mal den Alltag aller Europäer wieder etwas einheitlicher gestalten? Zwischen Vielfalt und Einheit laviert die Europapolitik – und derselbe Widerspruch prägt auch die politische Vertretung im Parlament: auf die länderspezifische Vielfalt der Wahlordnungen trifft der Wille zur Vereinheitlichung des europäischen Wahlrechts.

Seit Jahren schon versucht sich das EU-Parlament eine einheitliche Wahlordnung zu verpassen. Am Mittwoch schließlich konnten die beiden Berichterstatter, der saarländische Sozialdemokrat Jo Leinen und die konservative Polin Danuta Maria Hübner, Vollzug vermelden: Beschlossen wurden die europaweite Möglichkeit der Briefwahl und eine frühzeitige Präsentation der Kandidatenlisten.

Prozenthürde – Und geeinigt hat man sich auch auf eine einheitliche Prozenthürde von zwei Prozent, die in jedem Staat gelten soll, egal wie viele dessen Wähler ein jeweiliger Abgeordneter letztlich in Europa vertritt. Spanien und Deutschland wird dieser Beschluss besonders betreffen, denn bisher galt dort keinerlei Sperrklausel. Deshalb konnten 2014 deutsche Vertreter etwa der NPD, Familienpartei oder auch der Spaßtruppe Die Partei in den oberen Rängen des Hohen Hauses Platz nehmen. Doch nun ist Schluss mit lustig: wenn der Deutsche Bundestag der Vorlage aus Straßburg folgt und die Hürde in ein verfassungsfestes Gesetz gießt, dürfte ab 2024 keiner der bislang sieben Abgeordneten von Kleinstparteien noch eine Chance auf Sitz und Stimme haben – und mit ihnen immerhin zwei Millionen Wähler nicht mehr repräsentiert sein. Stattdessen werden die Hinterbänke der Fraktionen mit weiteren parteitreuen Abgeordneten besetzt.

Trotz aller Differenzen, über diese Wahlrechtsänderung konnten sich die klassischen Großparteien schnell einigen. Nicht aber über die Behebung eines wahren Mangels an europäischer Einheit: die Schaffung gemeinsamer, europaweiter Wahllisten. Noch treten ausschließlich nationale Parteien zur Europawahl an, und nach dem Willen der parlamentarischen Mehrheit aus Konservativen und Sozialdemokraten soll das auch so bleiben. Nationale Parteiinteressen wiegen schwerer als europäische. Die große Sorge: die Parteien könnten sich in der Folge in lose „Bewegungen“ auflösen. Gerade die Konservativen lehnen die länderübergreifenden Listen ab, weil sich die Bundeskanzlerin und die CDU/CSU-Oberen vor Macrons En Marche-Taktik fürchten.

Ganz reibungslos ging die Abstimmung dann doch nicht über die Bühne, zumindest wehrte sich der liberale Guy Verhofstadt dagegen, dass man Merkel zwar die Prozenthürde schenke, ihr nicht aber gemeinsame Listen abtrotze. Das eine sollte es nur mit dem anderen geben, denn nur mit europaweiten Listen ist auch eine europaweite Prozenthürde sinnvoll und entspräche dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Im politischen Ringen vollzog sich aber schließlich alles nach dem bekannten europäischen Muster: das eine – die Vielfalt – geht, das andere – die Einheit – kommt trotzdem nicht. Eine Chance, der man vielleicht noch einmal nachtrauern wird.

Lega der Legas – Denn ausgerechnet die nationalen, rechtspopulistischen Parteien Europas könnten nun vormachen, was den europafreundlich gesinnten Parteien nicht gelungen ist. Ein europaweites „Bündnis gegen Masseneinwanderung“ forderte Matteo Salvini letzten Sonntag auf einer Rede im italienischen Pontida, und am Dienstag bekräftigten der niederländische Wilders-Mann Marcel de Graaff im EU-Parlament und der Vertreter des französischen Ressemblement National, ehemals Front National, ihre Bereitschaft, eine „Lega der Patrioten“ (O-Ton Gilles Lebreton) zu schaffen, die dann europaweit zur Wahl antreten könnte.

Jene, die die institutionalisierte Einheit abschaffen wollen, schaffen es, sich zusammenzuschließen, während die, die sie in Vielfalt verwirklichen wollen, es nicht hinbekommen. Da mögen die sich noch in der Gewissheit wiegen, dass national gesinnte Parteien naturgemäß niemals zu echter Zusammenarbeit fähig sein können. Und es stimmt, bewiesen ist es noch nicht, dass es denen schließlich gelingt, an einem Strang zu ziehen, aber je eher sich das Pro-Europa-Lager von dieser vagen Hoffnung verabschiedet, desto schneller kann auf diese Bedrohung reagiert werden.

Nebenschauplätze zu bespielen, wie Sperrklauseln einzuführen, womit aller hehrer Absichten zum Trotz doch nur der Eindruck entsteht, die Großparteien wollten nur noch ein paar mehr ihrer Parteigänger versorgen, wird das große Projekt Europa jedenfalls kaum retten. Im Gegenteil mag das sogar zu noch mehr Verdrossenheit führen, wenn sich schon wieder zwei Millionen Wähler weniger durch das Parlament vertreten sehen.

Sieben Abgeordnete, oder lassen wir es nach den nächsten Wahlen auch zehn sein – daran wird das Parlament nicht zugrunde gehen. Klar, das sind nicht immer nur die sympathischsten unter den Parteien, die dann an die Fleischtöpfe der Abgeordnetenversorgung gelangen. Aber wenn keiner mehr von diesen bunten Vögeln und schwarzen Schafen da sein wird, wer würde dann noch den “Single Seat” für Straßburg fordern? Und verschafft nicht ein im sturen Ja-Nein-Rhythmus abstimmender Komiker dem Parlament mehr Sichtbarkeit in Deutschland, als sieben weitere Hinterbänkler von Großparteien?

Für die nächste EU-Wahlperiode ab 2019 bleibt nach heutigem Stand ja sowieso erst einmal alles beim Alten, spätestens danach aber könnten die Gespenster der nicht mehr vertretenen Kleinstparteien durch den Plenarsaal geistern und den verbleibenden Abgeordneten nachrufen: Parlamentarier aller Länder, vereinigt euch aber auch endlich!

Hier der Link zur Pressekonferenz von Jo Leinen und Danuta Maria Hübner, 4. Juli.

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