Griechenland – drehen wir den Spieß doch einmal herum

Um besser zu verstehen, was gerade in Griechenland passiert, muss man sich nur einmal vorstellen, dass das, was den Griechen passiert ist, uns passieren würde.

Einer der Vorschläge der "Dreifaltigkeit" war es, dass Deutschland die Insel Sylt an ein kuwaitisches Konsortium verkauft. Deutschland wollte aber nicht. Foto: Lars Goldenbogen / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(PP) – Während den führenden EU-Politikern der Geifer bei der Vorstellung aus den Mundwinkeln tropft, dass das griechische Volk darüber zu entscheiden hat, ob es seine Erpressung auch noch gutheißt, verstehen viele in Deutschland nicht, dass zum Thema Griechenland eigentlich alle versagt haben, die etwas zu sagen hatten. Stellen wir uns also mal vor, alles wäre anders gekommen.

Deutschland, im Jahr 2010. Die CDU/CSU-Regierung nimmt einen Kredit nach dem anderen beim IWF und der EZB auf, pumpt sich Geld an den Finanzmärkten, da es der deutschen Wirtschaft richtig schlecht geht. Im Grunde weiß Angela Merkel, dass sie mit diesem geliehenen Geld nur Löcher stopfen kann, aber sie kann es sich natürlich nicht leisten, den Staatsapparat für bankrott zu erklären. Denn dann würde sie die nächsten Wahlen verlieren. Doch zum Glück hat sie im europäischen Musterschüler Griechenland mit seinem Regierungschef Antonios Samaras einen treuen Verbündeten, der sich immer wieder dafür einsetzt, dass Deutschland neue Staatsanleihen auf den Markt bringt, für die griechische Banken zwar einen „Risikozins“ von bis zu 28 % zahlen müssen, aber besser als gar kein Geld. Und natürlich akzeptiert Angela Merkel auch, dass große Teile der Kredite von griechischen Banken an die Bedingung gekoppelt sind, dass Deutschland jede Menge Waffensysteme in Griechenland kaufen muss, mit denen dann offiziell die deutsch-dänische Grenze, aber vor allem Arbeitsplätze in Griechenland gesichert werden.

Doch dann wird es knapp. Deutschland kann seine Kredite nur noch zurückzahlen, indem es neue Kredite zu abstrusen Konditionen aufnimmt. Doch in der Not schaut Wolfgang Schäuble eben nicht aufs Kleingedruckte. Doch die neuen Kredite zum Bezahlen der alten Kredite geben der IWF, die EZB und die europäischen Partner nur noch dann frei, wenn Angela Merkel akzeptiert, dass drei EU-Beamte, witzigerweise „Dreifaltigkeit“ genannt, in Berlin der Regierung Sparmaßnahmen diktieren, mit denen angeblich die deutsche Wirtschaft wieder angekurbelt werden soll.

Als erstes werden die Gehälter von Krankenschwestern, Lehrern und Verwaltungsbeamten gekürzt, Hartz IV wird abgeschafft und die Renten werden gesenkt. Deutschland steht kopf. Als auch noch die Gehälter der Lokführer um 20 % gekürzt werden, ruft Claus Weselsky den Streik aus.

2013. Die Maßnahmen der „Dreifaltigkeit“ haben nicht viel gebracht, aber dafür durfte Angela Merkel jede Menge neue Kredite aufnehmen, um die alten Kredite mit Raten bedienen zu können. Da inzwischen Deutschlands Bonität fast auf Ramschstatus gefallen ist, sind diese Kredite teuer, sehr teuer. Die Mehrwertsteuer wird erhöht und die Gehälter sinken weiter. Wer in Frankfurt, Hamburg oder Berlin ein Arztrezept in der Apotheke vorlegt, dem lacht man ins Gesicht – Medizin gibt es nur noch gegen Bargeld. Die Demonstrationen vor dem Reichstag werden gewalttätig, die Polizei setzt deutsche Schäferhunde, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, um die Demonstrationen aufzulösen.

Aus dem Alten Land bringen Bauern ihre Ernteüberschüsse auf den Hamburger Fischmarkt und verteilen sie dort umsonst, denn in Hamburg, wie in anderen großen deutschen Städten, gibt es immer mehr Menschen, die Hunger haben. Die Wirtschaft bricht immer weiter zusammen, zwei Drittel der Jugendlichen haben keine Arbeit.

Immer wieder gibt Angela Merkel zu abenteuerlichen Konditionen Staatsanleihen heraus, um die nächsten Kreditraten bezahlen zu können. Von dem gepumpten Geld geht aber praktisch nichts in Investitionsprogramme, sondern nur in den Schuldendienst. Wobei die Zinsen so horrend sind, dass die Schulden nicht etwa abgetragen werden, sondern steigen. Zum Glück hat Deutschland eine konservative Regierung, weswegen sich die anderen konservativen EU-Oberen immer wieder bereit erklären, neue Rettungsschirme über Deutschland aufzuspannen. Das Gehalt für einen Lehrer ist bei 800 € im Monat angekommen und die Welt zitiert bitterböse eine Schlagzeile aus einer griechischen Tageszeitung: „Keine Milliarden mehr für gierige Deutsche“. Die Stimmung in Deutschland kippt, die Demonstrationen von Menschen ohne Geld, Arbeit, Gesundheitsversorgung und Perspektive werden immer gewalttätiger. Ein Besuch von Antonios Samaras in Berlin löst Straßenschlachten aus, nachdem der griechische Premier das deutsche Volk mit erhobenem Zeigefinger aufgefordert hat, es möge weniger feiern, dafür aber mehr sparen.

2014 gewinnt Die Linke die Wahl in Deutschland, nachdem Sarah Wagenknecht angekündigt hat, das System „Kredite für Zinszahlungen“ nicht länger mitmachen zu wollen. Sie will auch die Renten erhöhen, wieder ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle einrichten und sagt frech, dass dann eben zur Not die Banken in die Röhre schauen müssen. Mit diesem Programm, das unter dem Slogan „Wir sind doch auch Menschen!“ steht, gewinnt sie 46 % der Stimmen, muss aber überraschenderweise mit der AfD koalieren, die sich ebenfalls gegen die Sparpolitik ausgesprochen hat. Europa ist schockiert. Eine linke Regierung!

Dann kommen die Erpressungen. In zahllosen Sitzungen wird darüber debattiert, wie Deutschland seine alten Schulden bezahlen kann, die von Angela Merkel aufgenommen worden waren. IWF, EZB und die Eurogruppe schlagen vor, die Renten weiter zu kürzen, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und Strom zu erhöhen und das Rentenalter anzuheben, damit die Banken ihre „Risikozinsen“ pünktlich ausgezahlt bekommen. Sarah Wagenknecht weigert sich und fordert einen Schuldenschnitt. Doch Samaras, Juncker und Lagarde schütteln nur den Kopf. Und wiederholen gebetsmühlenartig ihre „Vorschläge“, die sie auch noch als „Verhandlungsergebnis“ präsentieren, um den Deutschen zu suggerieren, Sarah Wagenknecht wäre bereit, das deutsche Volk noch stärker auszubluten.

2015 dann der Eklat. Deutschland bekommt die Pistole auf die Brust gesetzt und soll Kreditraten zahlen, die es nicht bedienen kann. Europa denkt laut über den „Deuxit“ nach und will, dass Deutschland wieder den Taler einführt. Wobei man weiß, dass die deutsche Wirtschaft nicht mit Talern wieder in Schwung gebracht werden kann. Aber wenigstens, so das Argument der internationalen Organisationen, könnte Deutschland dann noch vor seinem Zusammenbruch die griechischen Banken auszahlen. Als das letzte Paket geschnürt wird, darf der deutsche Finanzminister nicht an der Sitzung teilnehmen.

Sarah Wagenknecht erklärt, dass sie das deutsche Volk darüber abstimmen lassen wird, ob die neuerlichen Belastungen angenommen werden oder nicht. Und sie sagt deutlich, dass sie die Deutschen auffordert, diese neue Daumenschraube nicht anzunehmen.

Europa ist entsetzt. Wieso soll das deutsche Volk darüber entscheiden, ob und wie das Land im sozialen Elend versinkt? Es reicht doch, dass IWF, EZB und die europäischen Partner beschlossen haben, dass Deutschland noch seine Schulden bei griechischen und portugiesischen Großbanken bezahlt, bevor es zusammenbricht. Die EU setzt alles daran, diese Volksabstimmung zu verhindern und droht damit, Deutschland auszuhungern. Die griechischen Medien überschlagen sich mit Beleidigungen über die „faulen Deutschen“, fordern, dass die Deutschen endlich den Taler wieder einführen und geben bekannt, dass wenn die Deutschen nicht sofort Sarah Wagenknecht abwählen und die gute, alte Angela Merkel wieder einsetzen, mit der man so wunderbar und ungestört Geschäfte machen konnte, Deutschland die Eidesstattliche Versicherung abgeben muss.

Ach ja, am Sonntag ist die Abstimmung in Deutschland, ob wir weitere Steuererhöhungen, Lohnsenkungen und ein späteres Rentenalter gutheißen, damit Deutschland wieder die Zinsen bei den griechischen Großbanken bezahlen kann. Wie würden Sie abstimmen, nachdem seit 2010 Ihr ganz persönliches Gehalt um ein Drittel gesunken ist?

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