Grüner Impfpass – ab in die Sommerfrische?

Die einen würden gerne die aktuelle Pandemie bekämpfen, die anderen sorgen sich mehr um den Sommerurlaub. Der „Grüne Impfpass“ soll dafür sorgen, dass alles wieder wird wie vorher. Aber kann das überhaupt gehen?

Springt die Ampel für Reisen in Europa mit dem "Grünen Impfpass" wirklich wieder auf Grün? Foto: PantheraLeo1359531 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die größte Sorge der europäischen Politik scheint momentan zu sein, im Sommer die 500 Millionen Europäerinnen und Europäer in den Urlaub schicken zu können. Hierfür hat die Europäische Kommission das „Digitale Grüne Zertifikat“ vorgeschlagen, das noch rechtzeitig vor den Sommerferien europaweit eingeführt werden soll und das als Smartphone-App bequem mitgeführt werden kann (alternativ zum klassischen Impfpass oder anderen anerkannten Zertifikaten auf Papier). Somit sollen wieder Urlaubsreisen in Europa ermöglicht werden, doch stellen sich mehrere Fragen: Ist dies der richtige Zeitpunkt, die Europäer und Europäerinnen auf Reisen quer durch Europa zu schicken? Schafft dieses „Digitale Grüne Zertifikat“ Freiheiten oder Ungerechtigkeiten? Sind Reisen in diesem Sommer wirklich angesagt oder vielmehr eine Garantie dafür, dass wir im Frühherbst mit der „4. Welle“ zu kämpfen haben?

Das „Digitale Grüne Zertifikat“ soll also das Sesam-öffne-dich für Sommerreisen in Europa werden. Drei Parameter sollen in diesem Zertifikat erfasst werden: Erfolgreiche Impfungen (2 Dosen), negative Testergebnisse und bereits überstandene Covid-Erkrankungen, da man davon ausgeht, dass der Körper nach einer Erkrankung über ausreichend Anti-Körper verfügt, um weitere Erkrankungen abwehren zu können. Und dann – ab in den Urlaub!

Ab in den Urlaub? – Seit einem Jahr wechseln sich Urlaubsphasen mit Reisefreizügigkeiten und Infektionswellen ab. Dies ist im Grunde logisch – wenn sich die Menschen aus verschiedenen Ländern in großen Ansammlungen treffen, wie beispielsweise während der Osterferien auf Gran Canaria, dann passieren zwei Dinge. Zum einen stecken sich die Menschen erneut an, denn nicht jeder, der einen tagesfrischen Test bei der Einreise vorlegt, kann sicher sein, dass er sich nicht gerade in einer Inkubationsphase befindet und zum anderen lädt man das Virus zum Mutieren ein. Das Ergebnis zeigt sich seit einem Jahr nach jeder Urlaubsphase. Es gibt neue Varianten und die Infektionszahlen steigen wieder rapide an.

Die Europäische Kommission will dieses „Digitale Grüne Zertifikat“ nicht obligatorisch machen, sondern die Behörden der Mitgliedsstaaten per Verordnung verpflichten, dieses Zertifikat auf Antrag auszustellen. Abgesehen von der Frage, ob ausnahmsweise einmal alle 27 Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Entscheidung treffen, ohne diese mit nationalen Sonderwünschen von vornherein aufzuweichen, sind viele Fragen weiter offen.

Die erste Frage betrifft die Impfungen selbst. – Die seit rund drei Monaten laufenden Impfkampagnen sind langsam, viel zu langsam. Dies liegt einerseits an einem chaotischen Bestellprozess für die Impfdosen, andererseits an den Lieferengpässen der Vakzine, dazu kommen die Image-Probleme von Vakzinen wie AstraZeneca, die den Impf-Elan in vielen Ländern ausgebremst haben und auch an Logistikproblemen, mit denen einige Länder zu kämpfen haben. So sind beispielsweise in Deutschland nach drei Monaten der Impf-Kampagne noch nicht einmal 7 % der Bevölkerung mit zwei Injektionen „durchgeimpft“ – der Weg zur kollektiven Immunisierung, für deren Erreichen laut der Virologen 90 % der Erwachsenen eines Landes geimpft sein müssen, scheint noch sehr, sehr weit zu sein.

Momentan lebt das Prinzip Hoffnung von Versprechen der Politik. Vollmundig wird angekündigt, bis zu welchem Zeitpunkt wie viele Menschen geimpft sein sollen, doch zeichnen sich diese Ankündigungen vor allem durch eines aus – einen inflationären Gebrauch des Konjunktivs. Gewiss, das „Digitale Grüne Impfzertifikat“ soll nicht obligatorisch sein. Nur – wer es nicht hat, wird kaum noch am öffentlichen Leben teilhaben können. Nur, was ist mit der großen Mehrheit der Menschen, die zum Sommer weder zwei Impfdosen erhalten haben und auch noch keine Covid-Erkrankung durchlebt haben? Müssen sich diese Menschen alle 48 Stunden testen lassen? Welche Tests werden anerkannt, dass sie in das digitale Zertifikat einfließen können? Die (nicht vorhandenen und dazu kostenpflichtigen) Schnelltests? PCR-Tests? Und reicht die Zuverlässigkeit dieser Tests aus, um tatsächlich wieder durch Europa reisen zu können?

Und was ist mit den technischen Problemen? – Auch, wenn niemand dieses Thema mehr hören kann, so haben wir erste Erfahrungen mit digitalen Ansätzen in der Corona-Krise. Die Corona-Warnapps waren in praktisch allen Ländern ein Flop. Abgesehen davon, dass mit solchen Werkzeugen ein ganzer Teil der Bevölkerung von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wird (Alte, Arme und nicht technik-affine Menschen), konnten die Konzepte die Menschen nicht überzeugen. Selbst in Ländern, in denen die jeweiligen Apps massiv geladen wurden, gingen die nutzbaren Ergebnisse fast gegen Null. In anderen Ländern wurden die Apps erst gar nicht gedownloadet, da viele Menschen ihren jeweiligen Regierungen nicht mehr trauen und befürchtet hatten, dass die Corona-Apps ein weiteres Element im Aufbau eines neuen Digital-Totalitarismus werden, wie ihn schon Autoren wie George Orwell beschrieben hatten.

Angesichts des knappen Zeitplans vor der Zeit der Sommerferien stehen die Chancen hoch, dass erneut eine unausgegorene und nicht zu Ende gedachte „Lösung“ präsentiert wird. Wenn man in der Zeitplanung berücksichtigt, dass auch 27 Mitgliedsstaaten dieser europäischen Verordnung zustimmen müssen, dann bleibt in der Tat nicht viel Zeit, eine stabile, sichere und effektive Lösung zu präsentieren.

Die Pläne klingen, wie das eben bei Plänen so ist, großartig. - Es soll eine Plattform für den QR-Code entwickelt werden, auf der es technisch möglich ist, die Echtheit der jeweiligen nationalen Zertifikate zu überprüfen. Hierbei sollen keine personenbezogenen Daten erfasst und übermittelt werden. Wie man innerhalb weniger Wochen eine Applikation entwickeln will, die nicht weniger als die Quadratur des Kreises sein soll, steht in den Sternen.

Natürlich macht es Sinn zu überlegen, wie man Lockerungen bewerkstelligen und die vertraglich vereinbarte Personenfreizügigkeit wieder herstellen kann. Natürlich ist nachvollziehbar, dass sich die Menschen danach sehnen, wieder in Urlaub zu fahren, sich wieder beim Barbecue zu treffen oder Abende gemütlich in der Kneipe zu verbringen. Nur sollte man auch berücksichtigen, wie die zuletzt hektisch beschlossenen „Modell-Öffnungen“ verlaufen sind, mit denen den Menschen und der Wirtschaft eine Freude gemacht werden sollte. Bislang haben alle diese Versuche dazu geführt, dass die Infektionszahlen in kürzester Zeit wieder explodierten.

Und was wäre, wenn der Sommerurlaub dieses Jahr nicht mit zweifelhaften Applikationen ermöglicht wird? Sind wir wirklich bereit, die Gesundheit und den sozialen Frieden für ein paar Wochen Durchschnaufen zu opfern, wissend, dass wir diese Pandemie damit von Welle zu Welle schieben?

Bleibt zu hoffen, dass wir es am Ende nicht so machen wie die Schweiz, wo am 13. Juni der Stammtisch über die Corona-Maßnahmen der Regierung entscheiden wird. Denn das wäre dann die endgültige Kapitulation vor diesem Virus…

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