Gut organisierte Neonazis

Die Verbreitung des Videos, das der antisemitische Terrorist Stefan B. während seiner Taten gestreamt hatte, zeigt deutlich, dass der Mann gut in verschiedene Netzwerke eingebunden war.

Die Neonazi-Szene ist über die Sozialen Netze bestens vernetzt - Einzeltäter gibt es praktisch nicht. Foto: Pixabay / Wikimedia Commons / CC0 1.0 Iniversal Public Domain Dedication

(KL) – In einer ersten Reaktion sprach der Bürgermeister von Halle noch von einer „Amoklage“, was auf einen psychisch gestörten, spontan handelnden Einzeltäter hinweist. Doch von „spontan“ kann keine Rede sein, der Mann hatte einen PKW gemietet, diesen mit Waffen aller Art vollgeladen, sich in Kampfmontur geworfen, noch einen Streaming-Test auf „Twitch“ gemacht – dieser Terroranschlag war von langer Hand vorbereitet. Und vieles weist darauf hin, dass mehrere andere Personen informiert waren, denn ansonsten gäbe es keine Erklärung dafür, dass die aufgezeichnete „Übertragung“ des Terroranschlags innerhalb weniger Minuten ohne Bewerbung von 2200 Personen angeschaut wurde, bevor das Stream-Video von der Plattform gelöscht wurde.

Live verfolgten nur 5 Personen das Streaming und der Umstand, dass danach innerhalb von Minuten 2200 Personen auf dieses Video klickten, bedeutet, dass es in einschlägigen Kreisen geteilt und weiterempfohlen wurde. Ein Sprecher von „Twitch“ sagte dazu, dass die firmeneigenen Analysen ergeben haben, dass „Menschen sich koordiniert und das Video über andere Online-Dienste geteilt haben“, wie Der Spiegel berichtet und das wiederum weist darauf hin, dass auch andere Personen im Vorfeld von diesem Terroranschlag gewusst haben müssen.

Neonazis agieren selten ganz alleine, bei den Neonazis steht „Kameradschaft“ weit oben auf der Werteliste. Vieles deutet darauf hin, dass Stefan B.s Kollegen gemeinsam vor dem Bildschirm saßen und zuschauten, was ihr Kumpel da in Halle anstellt. Die Einzeltäter-Theorie hat zwar etwas Beruhigendes, doch ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie stimmt.

Man weiß um die vielen, untereinander gut vernetzten Neonazi-Gruppen in Deutschland. Diese haben es immerhin geschafft, die Terroristen des NSU zehn Jahre lang im Untergrund durchzufüttern und immer wieder mit der Logistik zu versorgen, mit der es möglich war, zehn Morde zu begehen. Die Neonazi-Szene in Deutschland und speziell in Ostdeutschland ist wesentlich organisierter, als man das bei den Behörden wahrhaben will, speziell wenn die zuständigen Behörden entweder Sympathien für diese Szene hegen (Hans-Georg Maassen) oder sogar direkt mit ihr zusammenarbeiten (die Rolle der V-Männer in der Mordserie des NUS wurde auch im Prozess nicht aufgeklärt, dem standen „Sicherheitsinteressen“ der Bundesrepublik entgegen).

Es ist gut, dass die Federführung bei den Ermittlungen nun beim Bundesstaatsanwalt liegt, denn dass die Behörden in den neuen Bundesländern auf dem rechten Auge blind sind, das ist bekannt. Der Nazisumpf im Osten muss trockengelegt werden, Verantwortliche, die neonazistische Straftaten nur halbherzig verfolgen, müssen ausgetauscht werden. Dass sich nun Deutschland und die Welt solidarisch mit der jüdischen Gemeinde zeigen, ist das Mindeste, aber bei weitem nicht ausreichend. Um den Antisemitismus einzudämmen, hilft nur eines – die Neonazi-Strukturen müssen zerschlagen werden, die handelnden Personen sind nach § 129a aus dem Verkehr zu ziehen und gegenüber politisch motivierten Straftätern muss eine Zero-Tolerance-Politik geführt werden. Kerzen aufstellen und Menschenketten sind eine erfreuliche Geste, reichen aber nicht aus, diese braune Welle zu stoppen.

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