Gute Taliban, schlechte Taliban…

Es fällt schwer, den seltsam klingenden Versprechungen der Taliban zu glauben. Momentan brauchen sie vor allem Geld und geben daher die geläuterten, netten Fundamentalisten von nebenan.

Die Menschen, die verzweifelt versuchen, das Land zu verlassen, wissen warum. Sie kennen die Taliban. Foto: Air Mobility Command Public Affairs USAF / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Da sind sie also, die „netten“ Taliban. Bei ihrer ersten Pressekonferenz in Kabul verkündeten sie freundlich klingende Dinge. „Der Krieg ist vorbei“, sagten ihre Sprecher und versprachen eine Generalamnestie. Für alle, die zuvor für die afghanische Regierung, die afghanische Armee, ausländische Botschaften und ausländische Streitkräfte gearbeitet haben. Man hört die Worte, alleine, es fehlt der Glaube. Und ja, auch Frauenrechte wollen die „neuen“ Taliban achten. „Nach den Vorgaben des islamischen Rechts“, was immer das bedeuten soll. Aus dem Mund der Taliban klingt das auf jeden Fall nicht ermutigend.

Momentan haben die Taliban ein Land zu managen, möglichst friedlich zu halten, und wieder so etwas wie ein Wirtschaftsleben in die Gänge zu bekommen. Dafür brauchen sie Geld. Und um das weiterhin aus dem Ausland zu bekommen, können sie gerade Kabul und den internationalen Flughafen nicht in ein Schlachtfeld verwandeln. Schon gar nicht, nachdem Joe Biden mit Vergeltung aus der Luft gedroht hat. Also präsentieren sich die Taliban als eine friedliche Organisation, der das Land eben mit einer „starken islamischen Regierung“ führen will. Klingt gut, glaubt nur niemand. Dort, wo die Taliban in den letzten Wochen auf Widerstand gestoßen sind, gab es nach UN-Berichten Massenhinrichtungen und Tausende Verletzte. Vor die Frage gestellt, ob man eher den UN-Beobachtern glaubt oder den vollmundigen Ankündigungen der neuen fundamentalistischen Machthaber, fällt es nicht schwer, sich zu entscheiden.

Momentan klingt alles nach einem Gentleman’s Agreement. Die ausländischen Truppen sollen jetzt bitteschön innerhalb der nächsten zwei Wochen abziehen, niemandem passiert etwas, und gleichzeitig wollen die neuen Machthaber eine „inklusive“ Regierung aufbauen. Nur, die Taliban sind keine „Gentlemen“, sondern eine radikalislamistische Truppe, die dank der widerstandslosen Aufgabe der regulären afghanischen Armee auch noch hervorragend mit modernen Waffen ausgerüstet ist. Man mag sich nicht vorstellen, was mit der Bevölkerung passiert, sobald der letzte ausländische Soldat das Land verlassen hat.

Die Taliban haben nicht etwa ihre Ideologie geändert, sondern spielen auf Zeit, um sich auf die neue Situation einzustellen, erste Bündnisse zu schmieden (was ja mit China und Russland prächtig zu klappen scheint). Wer meint, dass sich die heute in Lebensgefahr schwebenden Afghanen in Sicherheit fühlen können, der täuscht sich. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie wieder ihr steinzeitliches Regime einrichten, mit dem Afghanistan wieder auf den Stand von 1991 zurückgeworfen wird. Niemand kann sich in Afghanistan wirklich sicher fühlen.

Allerdings sollten sich die Westmächte doch die Frage nach ihrer Doktrin stellen. Wieviel Sinn macht es, einem Land wie Afghanistan die Wohltaten der westlichen Demokratie mit Waffengewalt aufzwingen zu wollen? Der Durchmarsch der Taliban war nur möglich, weil Teile der Bevölkerung und der Streitkräfte offensichtlich immer noch mit ihnen sympathisieren und die westlichen Länder auch nach 20 Jahren noch als „ungläubige Teufel“ betrachten. In vielen afghanischen Köpfen, speziell in den ländlichen Regionen, zieht man radikalislamistische Taliban immer noch „ungläubigen Teufeln“ vor. Die Zeiten, in denen die westliche Welt dem Rest der Welt ihre Sichtweise der Dinge mit Waffengewalt beibringen konnte, sind vorbei. Und wir haben auch in unseren westlichen Ländern schon alle Hände voll zu tun, unsere Demokratien halbwegs in Ordnung zu halten, was in letzter Zeit auch immer schlechter gelingt.

Nun ist es wichtig, die Lage endlich realistisch einzuschätzen. In Kabul werden die Taliban voraussichtlich so lange kein Blutbad anrichten, bis die westlichen Soldaten abgezogen sind. Bis dahin kann es nur eine Devise geben – evakuieren, was möglich ist. Die Menschen, die jetzt verzweifelt versuchen das Land zu verlassen, wissen warum. In anderen Städten Afghanistans, deren Übergabe an die Taliban nicht von den Medien begleitet wurde, haben die Gräueltaten sofort begonnen. In Kabul werden die Taliban in den nächsten zwei Wochen versuchen, sich den Anstrich einer „seriösen“ Regierung zu geben, die man weiterhin finanziell unterstützen kann. Doch sobald die westlichen Soldaten endgültig abgezogen sind, wird es für alle, die den Taliban nicht genehm sind, sehr eng werden. Lebensbedrohlich eng. Und nachdem die westlichen Länder schon die letzten 20 Jahre mit ihren Aktionen in Afghanistan so viel falsch eingeschätzt und so viel falsch gemacht haben, wäre es jetzt dringend geboten, wenigstens nicht auch noch die Evakuierungen an die Wand zu fahren. Rettet so viele bedrohte afghanische Menschenleben, wie nur irgend möglich!

1 Kommentar zu Gute Taliban, schlechte Taliban…

  1. Recker: Ja und Nein. In den umkampften Gebieten, wo Taliban und Regierungstruppen um die Kontrolle ringen, ist die Lage sehr schlecht, hier machen wir uns auch gro?e Sorgen um unsere Mitarbeiter. In Kabul ist die Sicherheitslage im Wesentlichen stabil. Es gibt zwar ab und zu kleinere Anschlage, aber das ist kein Vergleich zum vergangenen Jahr. Sorge bereitet uns in Kabul derzeit mehr die Pandemie und der Gedanke, dass es im Fall eines Umsturzes zu Plunderungen kommen konnte und Rechnungen beglichen werden: Was geschieht dann mit unseren Mitarbeitern, mit unseren Buros?

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