Haben Sie Molenbeek gesagt?

In einem der am schlechtesten beleumundeten Viertel einer europäischen Hauptstadt wehrt sich die Lokalpolitik gegen die fortschreitende Dehumanisierung der Gesellschaft.

In Molenbeeks Einkaufszentren werden SB-Kassen jetzt hoch besteuert. Foto: Steve Collis from Melbourrne, Australia / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Wer den Namen „Molenbeek“ hört, zuckt unwillkürlich zusammen. Der Brüsseler Stadtteil gilt als Keimzelle der radikalen Islamismus und mehrere der Pariser Attentäter vion 2015 stammten aus Molenbeek, wo die meisten von ihnen „Karrieren“ als Kleinkriminelle absolviert hatten, bevor sie dem radikalen Wahnsinn verfielen. Molenbeek. Alles übel? Nein, es lohnt sich, einen Blick über die eigenen Vorurteile hinaus zu werfen – in Molenbeek engagiert sich die Lokalpolitik für ein Stück mehr Menschlichkeit im Alltag.

In Belgien, wie in allen anderen Ländern auch, werden immer weiter die Ladenkassen und die damit verbundenen Kassiererinnen-Jobs durch automatische SB-Kassen ersetzt. Hier scannt man seine eingekauften Waren, kämpft sich durch die Software-Fehler der Kassensysteme oder gegen die eigene Blödheit, die Dinger zu bedienen und der Bezahlvorgang läuft damit automatisch. Es reicht, die Kunden zu kontrollieren. Statt Kassiererinnen die Jungs vom Sicherheitsdienst.

Diese Dehumanisierung eines alltäglichen Vorgangs ist ein schleichender Prozess, den die sozialistische Bürgermeisterin von Molenbeek Catherine Moureaux stoppen will. Für sie und ihre Mehrheit im Stadtrat (von denen es in Brüssel mit seinem flämisch-wallonischen Flickenteppich jede Menge gibt…) gehört der menschliche Kontakt beim Einkaufen zu den Dingen, die für viele Menschen zum sozialen Zusammenhalt der Viertels gehören. Und deshalb erhebt ihre Gemeinde ab sofort eine saftige Steuer auf diese SB-Kassen in den Einkaufszentren. 5.600 Euro müssen pro Jahr und pro SB-Kasse bezahlt werden.

Catherine Moreaux weist auch auf den mit dieser technologischen Neuerung verbundenen Sozialabbau hin. Denn in der Tat, das System der automatischen Kassen wälzt einen Teil der Dienstleistung des Supermarkts auf den Kunden selbst ab und schafft damit eine neue Beziehung zwischen dem Përsonal des Supermarkts und dem Kunden. Arbeitsplätze gehen verloren, insbesondere in einem Bereich, in dem alleinerziehende Frauen Halbtags-Jobs finden.

Die Entscheidung des Stadtrats von Molenbeek, diese Steuer zu erheben, zeigt auf, dass die Lokalpolitik durchaus in der Lage ist, gesellschaftlich gestaltend einzugreifen. Dieses bislang einzigartige Beispiel könnte auch anderswo zum Nachdenken anregen, ob es wirklich wünschenwert ist, die Kunden bei Einkaufen mitarbeiten zu lassen, damit die Lebensmittelketten perspektivisch mit weniger Personal höhere Gewinne erzielen können. Es wird interessant werden, die Entwicklung dieses Projekts in Molenbeek zu verfolgen.

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