Habt Vertrauen, macht mit!

Die Jugend macht nicht mehr mit im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung. Bürgerbeteiligung, Wahlen, Referenden - nur die Alten gehen hin. Haben die Jungen kein Interesse oder liegt es am System? Eine Initiative aus dem rumänischen Cluj (Klausenburg) zeigt Wege zur jungen Mitmach-Kommune auf.

Bunte Tram in der Hauptstadt der Europäischen Jugend 2015 Cluj (Rumänien). Foto: Transylvania Hostel, Cluj, Romania

(Michael Magercord) – Brexit-Referendum und keiner ging hin – jedenfalls nicht die Jungen. Eine neue Runde Bürgerbeteiligung, intensive Diskussionen und Beratungen über kommunale Projekte – und alle, die mitmachen, hatten schon lange vor Beginn graue Haare.

Selbst Schuld, wenn sich die Jungen nicht engagieren, entscheiden halt die Alten. Und doch kommt nicht dasselbe dabei heraus, wenn sich die junge Generation beteiligte. Junge sind offener für Neues, innovativer und Denken auch mal in neuen Bahnen. Ein großes Potential, das ungenutzt bleibt – zumal, wenn man sich vor Augen hält, dass ihre heute gewonnenen Erfahrungen die Welt in zwanzig Jahren prägen werden.

Wie aber kann man die jungen Leute dazu bringen, sich wieder stärker an den kleinen und großen Fragen der Allgemeinheit zu beteiligen? In der Pflicht stehen besonders die Kommunen, die Gemeinden und die Städte. Die lokale Ebene ist der beste Ort für das erste Engagement. Wie für András Farkas. Der heute bald 40-jährige hatte mit seiner NGO “PONT” dafür gesorgt, dass seine Heimatstadt Cluj-Napoca 2015 zum “Youth Capital of Europe” vom Europäischen Jugendforum (YFJ) gekrönt wurde.

Seine Gruppe hatte die Idee, sich um den Titel zu bemühen, die Stadtverwaltung zog mit. In dieser Zeit wurden viele Projekte verwirklicht bis hin zur Schaffung eines partizipativen Budget für Projekte junger Leute. Eine bestimmte, wenn auch kleine Summe des Stadtsäckels steht bereit für Aktionen von Jugendlichen, die sie sich selbst ausgedacht haben. Auf den Straßen von Cluj zirkulieren seither bunte Trams, gestaltet von Graffitikünstlern, und jugendliche Theatergruppen bespielen öffentliche Plätze.

Viel braucht es oft nicht, erklärte András Farkas letzte Woche auf einem Vortrag in Straßburg, vor allem nicht nur Geld, sondern auch Räumlichkeiten, etwas Material – und Kommunikation. Und die muss eine der kurzen Wege sein: warum etwa sollte für die Genehmigung einer Veranstaltung im öffentlichen Raum erst groß mit kommunalen Behörden hin und her kommunizieren, wenn es einen direkten Draht mit der Polizei gäbe? Den gibt es nun in Cluj, dazu noch Hilfen für Projektplanung durch die Stadt und seine NGO, und so ist die Stadt im Laufe der Jahre zum Vorreiter von Beteiligung von Jugendlichen geworden.

András Farkas weiß aber auch, an welcher Grundressource für jedwede Bürgerbeteiligung – ob alt oder jung – es am meisten mangelt. Eine, ohne die es gar nichts geht, jedenfalls nichts wirklich Innovatives: Vertrauen. Vertrauen nämlich ermöglicht erst eine lebendige Gesellschaft, in der vieles Neues ausprobiert werden kann. Vertrauen ist aber keine Einbahnstraße: Vertrauen muss eine politische Verwaltung in Jugendlichen und Bürger haben, die etwas Ungewöhnliches machen wollen, die Bürger aber müssen den Institutionen ebenfalls Vertrauen entgegenbringen – und dürfen, da sie wissen, dass ihre Ideen auch ernst genommen werden.

Was sich ein wenig nach angesagter Softpowerbeschwörung anhört, ist eine hochpolitische Frage geworden. Denn trotz aller Bürgermacht, die repräsentative Demokratie steht in Cluj nicht zur Disposition. Referenden könnten natürlich auch ein Mittel der Bürgerbeteiligung sein, vor allem, wenn es um klare Alternativen, Straße oder Park etwa, geht. Für das Zusammenleben in einer Gemeinde ist es aber immer besser, sagt András Farkas, wenn es ohne kategorische Ja-Nein-Entscheidungen ginge.

Dazu muss man Prozessstrukturen schaffen, wobei volle Information vonseiten der Behörden immer am Anfang stehen muss. Erst ener klaren Problembeschreibung kann ein vernünftiger Meinungsaustausch folgen. Wenn diese Diskussion ganz ohne Abstimmungen schon eine Lösung bringt, wäre das ideal. Wichtig aber ist auch hierbei das Vertrauen: man muss auch mal etwas wagen können, trial and error, womit eben auch mal ein Fehler erlaubt sein muss.

Die Bürger müssen letztlich auch die praktische Wirkung ihres Mitwirkens erkennen. Das kann für so manche Stadt sogar lebenswichtig sein. Wenn die Verwaltung es nicht schafft, der Bevölkerung dieses Erfolgsgefühl zu vermitteln, wird sie im besten Falle Protest ernten, im schlimmsten aber völliges Desinteresse hervorrufen. In Rumänien – und nicht nur dort – bedeutet das: Abwanderung der klügsten Köpfe, und wenn’s ganz schiefläuft, auch noch ins Ausland.

Migration ist ein Zeichen für den wohl gravierendsten Vertrauensverlust: den in sich selbst. Ein Migrant glaubt nicht an seine Chance zuhause, und eine Gesellschaft, aus der viele Menschen emigrieren oder es planen, glaubt nicht an ihre eigene Kraft und plant nicht mehr für eine eigenständige Zukunft. Doch weder für die Herkunftsländer noch für die Aufnahmeländer kann Migration eine Dauerlösung darstellen. Für beide Gesellschaften bedeutet Migration, dass sie mit ihren eigenen Mitteln nicht zu leben verstehen, ganz egal, ob die eine ihr Potential davon ziehen lässt, oder die andere mehr Ressourcen braucht, als ihr gegeben sind.

Ob eine gelungene Beteiligung Jugendlicher an kommunalen Belangen das Selbstvertrauen innerhalb einer Gesellschaft wieder herstellen kann? Einen Versuch ist es allemale Wert. Und er wird mittlerweile in anderen Städten Rumäniens unternommen, die dem Beispiel von Cluj, Europas Jugendhauptstadt von 2015, gefolgt sind.

Auch der Westen des Kontinents steht vor ähnlichen Herausforderung: Abnahme der Beteiligung von Jugendlichen an öffentlichen Belangen und Verlust an den Glauben in die Demokratie. Sicher, die Fragen, vor denen Bürger dort stehen, sind andere. Sie umtreibt meist weniger die Sorge, es passiere nichts in ihrem Umfeld, als jene, dass es sich viel zu schnell verändert. Doch egal, ob man Kräfte mobilisieren muss oder eher Wege aus der Wachstumsfalle finden sollte: Innovation ist gefragt – und Vertrauen.

Warum also nicht die Jungen mal ran lassen und Strukturen schaffen, in denen sie sich auch einbringen können? Denen fällt dann schon irgendwas ein, womit man so gar nicht rechnet, selbst wenn das auf den ersten Blick wie Kleinigkeiten erscheinen. Doch wer weiß, vielleicht liegen etliche Lösungen ja sowieso in viel einfacheren Dingen als jenen, die uns Älteren und Alten einfallen.

Link zum Europäischen Jugendforum und zur Aktion “Jugendhauptstadt Europas”
https://www.youthforum.org/

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