Hat irgendjemand Angela Merkel gesehen?
Seit dem G7-Gipfel in Biarritz, wo sie eine sehr blasse Figur machte, hört und sieht man nichts mehr von der Bundeskanzlerin. Selbst in der aktuellen Politikkrise überlässt sie das Feld AKK.
(KL) – Sie zierte mehrere Jahre lang das Titelblatt des „Time Magazine“ als „mächtigste Frau der Welt“, auf europäischer Ebene hatte sei eine klare Führungsrolle inne, in der Bundespolitik ging nichts ohne sie – Angela Merkel war auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Doch in dieser Legislaturperiode glänzt die Kanzlerin nur durch eine schwer nachvollziehbare Abwesenheit.
Am Tisch der Mächtigen in Biarritz war Angela Merkel, ähnlich wie der zu diesem Zeitpunkt zurückgetretene und noch nicht wieder eingesetzte Giuseppe Conte, nur so etwas wie ein geduldeter Gast. Es wurde deutlich, dass ihr der wesentlich jüngere und in der Kommunikation smartere Emmanuel Macron als „Stimme Europas“ den Rang abgelaufen hat. Und auch jetzt, im aufgeregten politischen Chaos nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, hört man nichts von ihr. Das Krisenmanagement musste Annegret Kramp-Karrenbauer übernehmen, die Neuausrichtung der CDU findet auf Ebene des Parteimanagements statt und langsam, aber sicher, fällt die Abwesenheit der Kanzlerin auf.
Sind es die Gesundheitsprobleme, die sich kurz vor der Sommerpause abzeichneten? Ist es die Müdigkeit nach Jahrzehnten der Politik und, während der letzten Legislaturperiode, der ständigen persönlichen Angriffe? Ist Angela Merkel einfach amtsmüde?
Man muss kein Fan von Angela Merkel sein, um anzuerkennen, dass sie ein ganzes Stück der deutschen Nachkriegsgeschichte geprägt hat, ebenso wie vor ihr Helmut Kohl oder Helmut Schmidt oder Willy Brandt. Aber worauf wartet sie, um zurückzutreten? Sie hat ihre Personalfragen geregelt, AKK als potentielle Nachfolgerin in Stellung gebracht (und ab da ist es an der CDU/CSU zu entscheiden, ob die Konservativen künftig von AKK oder jemand anderem gemanagt werden), sie hat Ursula von der Leyen auf dem Nummer-eins-Sessel in Brüssel installiert – jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, würdevoll zurückzutreten, bevor sie in nicht allzu langer Zeit vom Hof gejagt wird, was sie wirklich nicht verdient hätte.
Die brennenden Fragen der aktuellen Zeit, von Handelskriegen über den Brexit bis hin zur Klimakatastrophe, erfordern eine klare und lesbare deutsche Politik. Drei Mandate lang hat Angela Merkel diese geliefert, wobei unerheblich ist, ob man ihre Positionen nun geteilt hat oder nicht. Aber sie war da und legte erstaunliche Führungsqualitäten an den Tag. Nach dem knorrigen und am Ende trotzig-senilen Helmut Kohl sorgte sie für ein anderes Deutschlandbild, insbesondere durch die einzig emotionale Entscheidung, die sie in ihrer Laufbahn traf – die Öffnung der deutsch-österreichischen Grenze im August 2015, als sie Tausende Flüchtlinge aus einer humanitär angespannten Lage befreite.
Nur – wo ist sie jetzt? Man muss ihr den Vorwurf machen, dass sie das Land und die Bildschirme gerade Leuten wie Alexander Gauland, einer immer etwas überfordert wirkenden Annegret Kramp-Karrenbauer und der Riege mehr oder weniger unbekannter SPD-Kandidaten für deren Parteivorsitz überlässt.
Angela Merkel stammt aus der brandenburgischen Uckermark. Wie kann es sein, dass die Kanzlerin im Nachgang der Landtagswahlen nicht das Wort ergreift und Ruhe in die aufgeregten Diskussionen bringt? Was immer Angela Merkel auch für ihr Schweigen und ihre Abwesenheit motivieren mag, sie schafft gerade ein Vakuum, das vom Rest der Bundespolitik nicht ausgefüllt wird. Wenn sie nicht mehr die körperliche und geistige Frische hat, das Land zu führen, dann ist der Zeitpunkt gekommen, sich würdevoll zurückzuziehen und den Weg für eine neue politische Dynamik freizumachen, die Deutschland gerade ebenso dringend braucht wie andere Länder. Doch bei Politikern ist es wie bei vielen Sportlern – den richtigen Zeitpunkt zur Beendigung der Karriere zu finden, ist gar keine leichte Angelegenheit. Wie wäre es mit jetzt?
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