Der nächste Kotau der EU vor der Türkei

Die EU-Kommission empfiehlt die Umsetzung des Versprechens von Angela Merkel, den Türken Visumsfreiheit für die EU zuzusichern, wenn Erdogan nur dafür sorgt, dass keine Flüchtlinge mehr kommen.

Da müssen wir aber noch etwas üben, Herr Erdogan. Daumen ausklappen und Arm ausstrecken, dann kommt es der Sache schon richtig nah... Foto: www.r4bia.co, / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Wenn das mal keine Milchmädchenrechnung wird. Die EU-Kommission hat angekündigt, den EU-Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament vorzuschlagen, die der Türkei im Rahmen des Flüchtlingsabkommens zugesicherte Visumsfreiheit für türkische Staatsbürger bis Ende Juni umzusetzen. Zwar müssen zuvor noch einige Bedingungen erfüllt werden, doch da es sich bei diesen Dingen nur am Rande um Themen wie Menschenrechte oder Presse- oder Meinungsfreiheit handelt, dürfte das kein Problem für die Türkei sein.

Der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermanns wollte bei der Ankündigung beruhigend wirken. Da eine der Bedingungen der EU laute, dass nur türkische Staatsbürger mit biometrischem Pass visumsfrei in die EU einreisen dürfen sollen, von den 79 Millionen Türken aber nur ungefähr ein Zehntel über einen solchen Pass verfügt, würde diese Visumsfreiheit lediglich 7,9 Millionen Türken betreffen. Die geplante Visumsfreiheit soll nur für Aufenthalte von maximal 90 Tagen gelten und soll vor allem Geschäftsleuten und Touristen das Leben erleichtern. Und im Gegenzug sollen auch EU-Bürger künftig visumsfrei in die Türkei einreisen dürfen.

Nur noch ein paar Bedingungen… Zu den Voraussetzungen, die noch von der Türkei zu erfüllen sind, gehört eine neue Terrorismusgesetzgebung in der Türkei, wobei die EU mit dieser Forderung bei Präsident Erdogan vermutlich offene Türen einrennt. Und sicher ist Erdogan auch bereit, die eine oder andere Kosmetik im Bereich der Grundrechte zu akzeptieren, denn mit der Umsetzung von Grund- und Menschenrechten nimmt man es unter Erdogan ohnehin nicht so genau. Die Türkei muss auch noch eine Vereinbarung mit der europäischen Polizeibehörde Europol abschließen und auch das dürfte Erdogan erfreuen. Geheimdienste, heimliche Überwachungsdateien, schwarze Listen, das ist genau die Welt des Tayyip Recep Erdogan.

Die Empfehlung der EU-Kommission kommt genau zum falschen Zeitpunkt. Nämlich in dem Moment, in dem die Türkei wegen zahlloser Verletzungen der Menschenrechte am Pranger steht, in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit auf einen jämmerlichen Platz 151 abgerutscht ist (und nur noch knapp vor Nordkorea, Syrien und Tadschikistan liegt…) und die Eingriffe der türkischen Regierung in die westliche Pressefreiheit unerträglich geworden sind. Doch was tut man nicht alles, damit Erdogan den Zustrom der Flüchtlinge für die EU regelt, nachdem diese sich als unfähig erwiesen hat, mit dieser Aufgabe solidarisch und nach humanistischen Werten umzugehen.

Tauschen wir die Flüchtlingsfrage gegen die Kurdenfrage? – Viele Beobachter befürchten auch, dass die vielen Minderheiten, die in der Türkei mehr oder weniger systematisch verfolgt und/oder bekämpft werden, diese neue Regelung nutzen könnten, um sich nach Europa abzusetzen, was ja durchaus verständlich wäre. Das aber könnte dazu führen, dass im Bestreben, die Migration syrischer Flüchtlinge zu stoppen, die EU die Türen für den Import des Kurdenproblems öffnet.

Nicht, dass die Personenfreizügigkeit für türkische Bürgerinnen und Bürger an sich ein Problem wäre. Das Problem ist vielmehr, dass die EU, Angela Merkel allen voran, offenbar nur noch auf Erdogan setzt, um europäische Probleme zu lösen. Sollte tatsächlich eine vergleichbare Anzahl türkischer Staatsbürger statt der syrischen Flüchtlinge in die EU strömen, hätte die europäische Politik genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie erreichen wollte. Der einzige Nutznießer der Situation, aber daran gewöhnen wir uns ja langsam, ist Recep Tayyip Erdogan.

Allerdings ist noch nicht alles in trockenen Tüchern. Zunächst muss das Europäische Parlament diesem Vorschlag der Kommission noch zustimmen, danach müssen die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten das Vorhaben noch durchwinken. Und genau dort dürfte es Probleme geben. Aber das sehen wir dann ja…

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