Hinter verschlossenen Türen

Seit der Europawahl am 26. Mai ist es ziemlich ruhig geworden, was die Besetzung der europäischen Spitzenposten anbelangt. Kein Wunder, das Versprechen von „Transparenz“ hat in der Politik eine kurze Halbwertzeit…

Hinter den verschlossenen Türen von Brüssel läuft nun wieder alles wie immer... schade. Foto: Fred Romero from Paris, France / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Und was haben Sie so in den letzten Tagen von der Neubesetzung der Europäischen Spitzenposten mitbekommen? Nicht viel, gell? Kein Wunder, denn seit der Europawahl, vor der alle von „viel mehr Transparenz“ geschwafelt haben, ist die europäische Politik wieder dorthin zurückgekehrt, wo sie herkam – hinter die verschlossenen Türen in Brüssel. Dort wird gefeilscht, verhandelt und geschachert. Wie immer.

Der Fehler liegt in der Organisation der Institutionen. Die Kommission, traditionell das Einfallstor der Lobbys in die europäische Politik, funktioniert im Geheimen. Niemand kennt die Leiter der verschiedenen Direktionen, die thematisch Europa verwalten und die eine überproportionale Macht haben. Niemand kennt die Beamten, die untereinander aushandeln, welche Themen überhaupt in einen gesetzgeberischen Prozess kommen und dabei werden sie von ebenso namenlosen Lobbyvertretern beraten, die ihnen gerne auch die Gesetzesvorschläge schreiben, wie im Fall Volkswagen geschehen. Die Europäische Kommission ist also die große Unbekannte, omnipräsent, mächtig und immer im Dunkeln handelnd.

Vor der Europawahl wurde uns gesagt, dass diese Wahl richtungsweisend sei. Dass wir ein „neues europäisches Projekt“ brauchen, um aus der tristen Atmosphäre um den Brexit und die vielen anderen Krisen herauszukommen. Stattdessen geht es nun mit Vollgas zurück in die Zukunft, mit weitgehend denselben Akteuren, den gleichen Slogans und der immer noch vorherrschenden Perspektivlosigkeit der politisch Verantwortlichen.

Dafür gibt es Gründe. Der erste Grund ist eine völlige Verunsicherung des politischen Establishments. Die traditionellen Parteien implodieren nicht nur in Deutschland und Frankreich, sondern es ist Bewegung in die gesamte Politiklandschaft Europas gekommen und die Politikerinnen und Politiker haben größte Schwierigkeiten, mit der geänderten Situation klarzukommen. Und was macht man in Zeiten solcher Unsicherheiten? Richtig – man verfällt in bekannte Verhaltensmuster. Statt an einem neuen europäischen Projekt zu arbeiten, verziehen sich die Verantwortlichen wieder hinter verschlossene Türen und verhandeln, welche „Has-Beens“ auf welchen Spitzenposten gehoben werden sollen. Dabei stehen alle Kandidaten und Kandidatinnen für diese europäischen Spitzenposten für die „alte Welt“, sind seit Jahren im Politikbetrieb und haben alle sehr dünne Bilanzen vorzuweisen. Aber das scheint als Qualifikation auszureichen, um sich ein warmes und gut besoldetes Plätzchen am europäischen Ofen zu sichern.

Will die Europäische Union überleben, muss sie sich neu erfinden. Die hochkomplexe Organisation der Institutionen lähmt sich inzwischen in fast allen wichtigen Themen. Einigkeit und Beschlussfähigkeit herrscht eigentlich nur noch in Themen, bei denen die Lobbys genug Druck machen, wie beispielsweise die Verlängerung der Genehmigungen der Verwendung von Glyphosat, oder bei der großzügigen Erhöhung der Grenzwerte für Kleintransporter, die von keiner Partei, sondern der VW-Lobby durchgeboxt wurde – doch in den Themen, die heutzutage die Menschen wirklich interessieren, zuckt man mit den Achseln, verweist auf die erforderliche Einstimmigkeit zwischen 28 und bald 27 Ländern, die praktisch zu keinem Thema mehr erzielt werden kann.

Die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der europäischen Institutionen erkennt jeder, nur geht niemand das Thema an. Offenbar traut sich keine europäische Partei, ein neues Europa-Konzept zu entwickeln und vorzuschlagen. Weil es zu komplex ist? Weil man nicht als Nestbeschmutzer dastehen will?

Am Ende des Tages ist die Besetzung dieser europäischen Spitzenposten fast egal, denn es werden wieder und wie immer die „alten Krokodile“ auf diese Posten kommen. Weder ein Manfred Weber, noch ein Frans Timmermans noch eine Magrete Vestager werden die Institutionen reformieren und das gleiche erwartet uns für die anderen Positionen. Beim Geschacher um diese Posten wird nun Ursula von der Leyen als Außenbeauftragte und Nachfolgerin von Federica Mogherini gehandelt, praktisch als Trostpreis dafür, dass Manfred Weber nicht Kommission-Präsident wird. Was für ein jämmerliches Spektakel! Was für eine Demonstration, dass alles Gerede um „Demokratie der Bürger“, „Europa der Bürger“ und „mehr Demokratie und Transparenz wagen“ nichts anderes als reine Slogans sind.

In solchen Phasen setzt bei den Bürgerinnen und Bürgern die große Frustration ein. Jetzt, wo die hohe europäische Politik wieder in ihren üblichen Trott verfällt, schalten die Menschen wieder auf Durchzug, wenn es um europäische Themen geht. Und auf diese Art und Weise wird sich Europa hinter den verschlossenen Türen Brüssels selbst überflüssig machen. Schade, dass die politisch Verantwortlichen immer noch nicht begreifen, welche Nachrichten ihnen die Wählerinnen und Wähler momentan entgegenschleudern. Aber mit „weiter wie immer“ wird Europa nicht gerettet werden können.

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