Hoffnung, Mut oder einfach Normalität?
Straßburgs Rheinoper und Philharmonie präsentieren ihre Programme für die kommende Saison 2020/2021. Beide haben – wie jedes Jahr – wieder Großes vor. Im Herbst sind wir schlauer, ob das auch alles so kommen wird.
(Michael Magercord) – Er kann die Gedanken der Passanten lesen – so heißt das Motto auf dem Programmheft der neuen Saison von Oper und Ballett in Straßburg, Mülhausen und Colmar. Eine Fähigkeit über die in Zeiten des Maskentragens, wo sich menschliche Regungen in den Gesichtern schwerer als gewöhnlich lesen lassen, so mancher gerne verfügen würde. Tut aber niemand, und so kann es ein Trost sein, wenigstens wieder in die Oper oder den Konzertsaal gehen zu können. Dort bieten sich dank der Musik die Gefühlswelten zu allen Zeiten völlig unmaskiert dar.
Entnommen wurde das Motto dem Film „Himmel über Berlin“ von Wim Wenders, der auch als Quelle der Inspiration zu einer Ballettchoreografie dient, die im Januar auf dem Programm der Rheinoper steht. In der Oper wiederum klingen die Namen der Komponisten ebenso vielversprechend, und ebenso vielfältig obendrein ihre Musik: Werke von Grieg, Saint-Saëns, Britten, Händel und Puccini sollen auf der Bühne einmal mehr neu entstehen, und zur Adventszeit gar das Märchen „Hänsel und Gretel“ mit der Musik von Engelbert Humperdinck. Unter den Regisseuren sind einige für Straßburger bereits bekannte Namen, so der Argentinier Mariano Pensotti, der sich mit “Madame Butterfly“ befasst, und Marie-Eve Signeyrole, die es nach dem liebestollen Don Giovanni nun mit den biblischen Gruselpaar „Samson und Dalila“ von Camille Saint-Saëns zu tun bekommt.
Auffällig ist schon jetzt die Tendenz, dass mehr und mehr Videokunst zum Bestandteil der Bühnengestaltung werden wird. Korreliert die Verwendung dieses affektheischenden Mediums mit einer immer weiter abnehmenden Fähigkeit, mit behutsamen Mitteln große poetische Effekte zu erzielen? Spannend wird diese Saison allemal werden, und hoffentlich auch über Frage hinaus, ob sie überhaupt wie geplant über die Bühne gehen wird. Das gilt auch für das Festival Arsmondo. Der Ausflug nach Indien musste ja schnell abgebrochen werden. Im März 2021 soll er dann in den Libanon führen, unter dessen Zedern eine Multikulti-Gesellschaft lebt. Allerdings eher nebeneinander als miteinander – was aber gerade kulturell für einen besonderen Reichtum sorgen kann.
Die Straßburger Philharmonie hat ebenfalls ihre Saisonplanung verkündet. Vom Mozart bis zur zeitgenössischen Musik des südkoreanischen Komponisten Unsuk Chin wird alles dabei sein, so etwa einmal mehr Saint-Saëns und Strawinski. Besonders dankbar dürfte das so jäh aus der Saison gerissene Publikum für die angekündigte Fortsetzung des großartigen Mahler-Zyklus sein. Den Auftakt aber wird am 10. September ein Konzert mit Musik aus den Filmen des japanischen Regisseurs Miyazaki unter dem Taktstock des ebenfalls japanischen Dirigenten Joe Hisaishi machen. Das erste reguläre Abonnentenkonzert erfolgt dann am 8. und 9. Oktober mit Filmmelodien von Bernstein, Williams, Korngold, Barry und Zimmer, und die Woche darauf folgt schließlich mit der zehnten Symphonie das erste von insgesamt drei Mahlerkonzerten.
Soweit also ein erster, gewagter und vorläufiger Überblick über den Neustart ins Kulturleben der beiden Großinstitutionen von Straßburg – möge er sich als banale Normalität entpuppen. Und wie normal es vor, aber auch hinter den Kulissen wieder zugehen wird, und ob nicht die ein oder andere Lehre aus dieser ungewöhnlichen Zeiten gezogen wird, dürfte sich schon bald zeigen: Mal schauen nämlich, ob mit der Wiederaufnahme des Kommunalwahlkampfes auch die leidige Idee eines Neubaus der Straßburger Oper wieder aus der Mottenkiste springen wird.
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