Hoffnung war sein letztes Wort – Albéric Magnard in Straßburg

Richard Wagner war letztes Mal Gast in der Rheinoper, nun folgt ihm ein Wagnerianer aus Frankreich: Der weithin unbekannte Komponist Albéric Magnard schrieb bereits 1901 ein großes Werk, das 1931 erstmals zu hören war und nun zum gerade zweiten Mal in Frankreich aufgeführt wird.

Haben Utopien eine Farbe? Vermutlich sind sie immer mehrfarbig, und immer wird auch ihre Komplementärfarbe als das entgegengesetzte und damit ergänzende Element zur Vollständigkeit gehören. Foto: Illustration von Paul Lanners, OnR

(Michael Magercord) – Die letzten Worte des Komponisten kennen wir nicht. Er starb im Brand seines Hauses. Am Vorabend der ersten großen Schlacht des 1. Weltkrieges im September 1914 an der Marne verteidigte Albéric Magnard sein Wohnhaus gegen eine erste Vorhut der deutschen Armee. Er schoß aus dem Fenster auf den Trupp der vorrückenden Soldaten. Sie schossen zurück und niemand wird je wissen, ob sie ihn trafen oder der Komponist im Feuer seines niederbrennenden Hauses ums Leben kam.

Doch selbst, wenn wir es wüssten, bliebe die Kernfrage, die sich hinter diesem Tod auftut und die Geschichte der Kriege bis in die jüngste Zeit begleitet, ob dieser Tod heldenhaft, sinnlos oder beides zugleich war? Die Antwort wird zwischen den Polen, die durch den Spontispruch „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“ und dem päpstlichen „Mut zur weißen Fahne“ markiert sind, zu suchen sein.

Und genau dort ist auch die Oper von Albéric Magnard angesiedelt, die ab Samstag in Straßburg erstmals zu hören sein wird. Allerdings führt sie nicht direkt in die unerbittliche Wirklichkeit, sondern zunächst ins Paradies. Ob es darin ebenso unerbittlich zugeht wie auf Erden? Die Göttin, der es dort zu huldigen gilt, trägt jedenfalls einen stolzen Namen, der auf ihre Unerbittlichkeit schließen lässt: Sie heißt „Vérité“, die Wahrheit, und umgeben ist sie von „Beauté“ (Schönheit) und „Bonté“ (Güte).

Unter ihrem Regime enthoben aus Zeit und Raum sollte man sich doch recht gemütlich einrichten können. Doch der namensgebende Held der Oper ist des Paradieses überdrüssig, starb er doch gerade, als sich seine lang gehegte Liebe zur angebeteten Giselle endlich erfüllte und er sein Volk von einem Tyrannen befreit hatte. Leben! Wer wird mir den Rausch des Lebens wiedergeben?“, klagt Guercœur, und fleht die Wahrheit um die Rückgabe seiner leiblichen Hülle an.

Wer nicht hören will, muss fühlen, denn neben der Güte und der Schönheit gibt es noch das Leid, das das Leben bestimmt. Kaum zurück auf Erden, bricht sich die Gewalt bahn und alte Kampfkumpanen schwingen sich zum Diktator auf. Wer jetzt seine Mitstreiter für das doch so Gute an die hehren Grundsätze von einst erinnert, steht auf verlorenem Posten. Guercœur stirbt ein zweites Mal, dieses Mal von der Hand seiner einstigen Freunde.

Es heißt, diese unerschütterliche Haltung würde die kämpferische Einstellung des Komponisten widerspiegeln. Feminist sei er schon damals gewesen und ein Dreyfusianer sowieso. Inspiriert von Emil Zola komponierte er die „Hymne auf die Gerechtigkeit“.

Der familiär vermögende Albéric Magnard konnte sich sein Engagement leisten und auch seine musikalische Eigenwilligkeit. Allerdings führte seine schroffe Kompromisslosigkeit nicht unbedingt zum Erfolg. Die Druckkosten für die Partituren übernahm er selbst, und immerhin sorgte sein Freund und Leiter des Konservatoriums von Nancy, Guy Ropartz, für die öffentliche Aufführung einiger Werke. Doch vor allem die großen Opern blieben zeit seines Lebens ungespielt. Dabei wäre es auch geblieben, denn beim Brand seines Hauses gingen fast alle seine Partituren in Flammen auf, wenn nicht Guy Ropartz den Klavierauszug der Oper Guercœur besessen hätte. Er kannte die wagnerianische Neigung seines Freundes nur zu gut und setzte die Oper wieder in Orchestertöne.

1931 erklang die Uraufführung, doch seither wurde sie nie wieder gespielt. Ob ihre Botschaft in den Zeiten des bedrohlich heraufziehenden Faschismus schon allzu naiv erschien? Denn als Guercœur im letzten Akt wieder ins Paradies zurückkehrte, bittet er um Vergebung für seinen Hochmut und dankt besonders dem „Leiden“, ihm die Augen geöffnet zu haben. Und „Wahrheit“ tröstet ihn gar: Eines schönen Tages werde sein Traum gar auf Erden wahr werden. Bevor der einstige Kämpfer für die Gerechtigkeit auf Erden in einen lieblichen Schlaf versinkt, säuselt er noch sein letztes Wort in die Welt hinein: „Espoir“, Hoffnung.

Womit sich uns noch eine letzte Frage stellt: Sollten wir nicht besser gleich die Hoffnung fahren lassen und uns einfach nur der Vorfreude auf ein Paradies hingeben? Harmlose Vorfreude ist doch weit weniger gewaltbereit, als die utopie-belastete Hoffnung. Und dass noch so schöne Utopien sich oft in eine andere als die erwünschte Richtung entwickeln, durften die Besucher des diesjährigen „Arsmondo Festivals Utopie“ ja schon bei so mancher historisch belehrenden Veranstaltung erfahren.

Aber immerhin dürfen wir uns völlig hemmungslos vorab auf die erst zweite Aufführung dieses Meisterwerkes der spätromantischen Operkunst freuen, wie auf die Aufführungen von Kammermusik des unverdient unbekannten Komponisten Albéric Magnards. Mal sehen, wann es auch die wenigen weiteren erhaltenen Werke, wie seine Oper „Bérénice“ und die 3. und 4. Sinfonie sowie die Violinsonate und das Streichquartett in unsere Konzertsäle schaffen.

Guercœur

Oper in drei Akten von Albéric Magnard aus dem Jahr 1931

Aufführung erfolgt als Teil des Festival Arsmondo Utopie

Neuproduktion der OnR

Dirigenten: Ingo Metzmacher (in Straßburg) und Antony Fournier (in Mülhausen)

Regie: Christof Loy

Musik: Straßburger Philharmonie OPS und Opernchor Straßburg

Opéra Straßburg

SO, 28. April, 15 Uhr
DI, 30. April, 18 Uhr
DO, 2. Mai, 18 Uhr
SA, 4. Mai, 18 Uhr
DI, 7. Mai, 18 Uhr

La Filature – Mülhausen

SO, 26. Mai, 15 Uhr
DI, 28. Mai, 18 Uhr

Die Aufzeichnung der Oper wird am 25. Mai von Radio France Culture ausgestrahlt und ist danach in der Mediathek von ARTE Concert abrufbar – mit Untertiteln in sieben Sprachen!

Wer mehr über den bislang eher unbekannten Komponisten Albéric Magnard erfahren will, dem sei das Heft Nr. 163 der Zeitschrift MUSIK-KONZEPTE empfohlen.

Weitere Veranstaltung in der Rheinoper Straßburg:

Une soirée onirique“

Rezital mit Julie Fuchs, Sopran

mit Liedern von Hugo Wolf bis Joni Mitchell

FR, 3. Mai, 20 Uhr

Tickets und Information gibt’s HIER

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