Ich als EuropäerIn will nicht, dass Flüchtlinge in meinem Namen abgeschoben werden

Eine Gruppe französischer Bürgerinnen und Bürger haben eine Petition gestartet, mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass viele EuropäerInnen nicht wollen, dass Flüchtlinge in ihrem Namen abgeschoben werden.

Unterzeichnen auch Sie die Petition gegen die völkerrechtswidrige Abschiebung von Flüchtlingen in die Türkei. Foto: (c) Olivier Jobard / Myop - O. Bonis

(KL) – Das ist wieder einmal ein gutes Beispiel dafür, wie falsch und irreführend Verallgemeinerungen sind. Eine Gruppe französischer Bürgerinnen und Bürger wehrt sich gegen die französische und europäische Asylpolitik und schon sieht man, dass es unzutreffend ist, wenn man sagt „die Franzosen wollen nur 30.000 Flüchtlinge aufnehmen“. Richtiger wäre es zu sagen: „Die französische Regierung will nur 30.000 Flüchtlinge aufnehmen und die Europäische Union führt eine jämmerliche Asylpolitik“. Und da es sich um eine europäisch ausgerichtete und an den Präsidenten des Europäischen Parlaments gerichtete Petition handelt, können auch alle Europäer und Europäerinnen unterzeichnen. Sie auch.

Das, was zwischen der EU und der Türkei ausgehandelt wurde, ist eine Beschneidung eines Grundrechts, nämlich des Rechts auf Asyl für verfolgte Menschen, das unter anderem eine sorgfältige Einzelfallprüfung vorsieht, die im Rahmen des „Deals“ mit der Türkei nicht mehr stattfindet. Doch im zusammengesetzten Hauptwort „Asylrecht“ sind beide Bestandteile wichtig. Denn das internationale Recht garantiert eigentlich jeder Person die Möglichkeit, Asyl in einem anderen Land zu finden, wenn man aufgrund seiner Meinungen oder seiner Identität verfolgt oder von Gewalt, Krieg und Elend bedroht wird.

Dass diese Petition von einer französischen BürgerInnen-Gruppe lanciert wurde, die damit keinerlei parteipolitische Ziele verfolgt, sollte uns in Deutschland besonders freuen. Denn es ist ein Zeichen, dass die Frage der Flüchtlinge auf der Ebene der Menschen anders betrachtet wird als von der Politik. Es gibt also auch eine „Willkommenskultur“ in anderen Ländern, selbst in Ländern, in denen die Politik eine andere Sprache spricht. Ein ermutigendes Zeichen für die Hundertausenden ehrenamtlichen Helfer, die sich täglich dafür einsetzen, Flüchtlingen eine menschenwürdige Aufnahme und eine echte Integration zu ermöglichen. Ziel dieser Petition ist es, mit Millionen Unterschriften aus ganz Europa die Mitgliedstaaten der EU daran zu erinnern, die Verträge, die sie unterzeichnet haben, auch einzuhalten.

Zur Erinnerung – die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (1948) und die „Genfer Flüchtlingskonvention“ (1951) wurden nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst, in dem Millionen von Menschen aus ihren Heimatländern vertrieben wurden. Sinn dieser internationalen Vereinbarungen ist es, Menschen in ähnlichen Situationen einen besseren Schutz zu bieten, als dies in den fürchterlichen Kriegen des letzten Jahrhunderts der Fall war.

Doch offenbar ist das kollektive Gedächtnis Europas sehr kurz – eine solche Tragödie wiederholt sich heute für Millionen von Menschen. Alleine 11 Millionen Syrer sind auf der Flucht, 5 Millionen konnten ihr geschundenes Land verlassen, 6 Millionen Menschen sind innerhalb Syriens auf der Suche nach Schutz und Sicherheit. Die meisten Flüchtlinge, die es ins Ausland schaffen, wollen nach Europa. Zum einen, da die geographische Lage Europa als den am schnellsten zu erreichenden „sicheren Hafen“ ausweist, zum anderen, weil sich Europa seit Jahrzehnten in dem Ruf sonnt, der „Hort der Menschenrechte“ zu sein. Doch statt Aufnahme und Zuwendung zu erfahren, werden diese Flüchtlinge nun von Europa en bloc in die Türkei abgeschoben, in ein Land, von dem man weiß, dass Menschenrechte dort nicht sehr hoch im Kurs stehen.

Dass diese Politik konkrete Auswirkungen hat, zeigen erschreckende Zahlen. Seit Januar 2015 sind mehr als 4.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken und das sind nur die offiziellen Zahlen. Niemand weiß, wie hoch die wirkliche Zahl ist, denn erfasst werden natürlich nur diejenigen Flüchtlinge, von denen man weiß, dass sie die Überfahrt angetreten haben, ohne jemals den „sicheren Boden“ Europas zu erreichen. Wie dramatisch die Situation für die Flüchtlinge ist, zeigt auch eine andere Zahl: 10.000 Flüchtlingskinder, die alleine unterwegs waren oder auf der Flucht von ihren Eltern getrennt wurden, sind als vermisst gemeldet worden. Niemand hat auch nur die Spur einer Ahnung, was mit diesen Kindern geschehen ist und geschieht.

Die Schließung der europäischen Grenzen fördert im Grunde nur das Entstehen mafiöser Netzwerke: Europol schätzt das Geschäftsvolumen für kriminelle Schleuserbanden auf einen Betrag von 6 Milliarden Euro, also genau die Summe, die Europa an die Türkei zahlt, damit diese unter Verzicht auf die Vorkehrungen der internationalen Verträge Flüchtlinge aus Europa zurücknimmt. Das einzige „Ergebnis“ des letzten Brüsseler Gipfels, nämlich der stolz verkündete Schlag gegen die Menschenschlepper, ist also ein Rohrkrepierer.

Dazu kommt, dass die Maßnahmen, welche die EU-Regierungen in dieser tragischen Situation ergreifen, am Ende des Tages nur rechtsextremen Ideologien Vorschub leisten. Wir erleben gerade den Rückzug in den nationalen Raum, die Angst vor dem Fremden und einen offen auflodernden Rassismus.

Überall in Europa versuchen Bürgerinitiativen, der Unzulänglichkeit der Politiker entgegenzuwirken. In Calais, auf Chios und Lesbos, in Berlin, in Köln, auf Lampedusa, in London, in Paris, in Stockholm… setzen sich freiwillige Helfer konkret für die Aufnahme von Flüchtlingen ein; sie organisieren Kleidersammlungen, Notküchen und machen sie mit der Sprache, den Institutionen und Strukturen des Landes vertraut.

Mit dieser Petition soll nun endlich den Politikern klargemacht werden, wie zahlreich die europäischen Bürgerinnen und Bürger sind, die bereit sind, die Werte und ethischen Prinzipien der Gründungstexte der EU zu verteidigen. Heute geht es darum, eine politisch-humanitäre Katastrophe zu verhindern, die uns aufgrund der politischen Feigheit der „Verantwortlichen“ droht.

Der Text der Petition ist denkbar einfach und klar gehalten. Adressiert an Martin Schulz, den Präsidenten des Europäischen Parlaments, heißt es: „Ich als EuropäerIn will nicht, dass Flüchtlinge in meinem Namen abgeschoben werden.“ Punkt.

Bitte unterzeichnen auch Sie diese Petition, ebenso wie es bereits Tausende Menschen in ganz Europa getan haben. Verbreiten Sie den Aufruf in den Sozialen Netzwerken, unter Ihren Freunden und Bekannten. Schauen Sie nicht länger tatenlos zu, wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit in unser aller Namen begangen werden.

Sie finden die Petition auf Facebook (HIER KLICKEN) und zwar in 17 europäischen Sprachen oder indem Sie auf den direkten Link für die Petition in deutscher Sprache klicken.

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