„Ich bin Fassbinder“ – und weiß auch nicht weiter

Das Leben des deutschen Regisseurs Rainer Werner Fassbinder dient dem Autor Falk Richter als Folie einer turbulenten Tour durch den aktuellen Problemwust unserer Tage, dargeboten im Théâtre National de Strasbourg.

Viel buntes Chaos auf der Bühne, wie bei Fassbinder eben. Foto: TNS / Jean-Louis Fernandez

(Von Michael Magercord) – „Ich weiß es auch nicht…“ – Das war der letzte Satz, den der Schauspieler und Theaterdirektor sagte, bevor das Licht abdimmerte und damit der Vorhang fiel. Und dann brach der Jubel los, enthusiastischer Applaus bis zu vereinzelten Standing ovations – aber wofür bloß? Für die eingestandene Ratlosigkeit nach fast zwei Stunden Theater? Oder für ein immerhin ziemlich rasantes Bühnenspektakel, mit dem das deutsche Regietheater Einzug erhielt im beschaulichen Elsass, und zwar mit allem was nun einmal dazuzugehören hat, von Gesangseinlagen bishin zum Pimmelpropeller.

„Ich bin Fassbinder“, so heißt das Stück des deutschen Autors Falk Richter, das er in enger Zusammenarbeit mit den fünf Darstellern erarbeitet hat. Am Freitag fand sein Text unter der Co-Regie mit dem Direktor und Mitspieler Stanislav Nordey seine Premiere am „Théâtre National de Strasbourg“ (TNS) in Straßburg. Die Filme des exzentrischen deutschen Filmemachers vermitteln uns ja heute noch besonders eindrucksvoll die angespannte Stimmung in der Bundesrepublik der 70er Jahre, und im Theaterstück soll sich nun das Denken Fassbinders an den Problemen unserer nicht minder verrückten Zeit abarbeiten.

Und das geschieht mit den Mitteln des Regietheaters: Stilecht 70er noch die Bühne, ausgelegt mit Flokatis, und ebenso intensiv inszeniert wie ein Film von Fassbinder. Im Hintergrund flimmert die heutzutage schon fast obligate Videoleinwand und zeigt die Mimik der Schauspieler noch einmal direkter und schonungsloser, und natürlich darf der Regietheater-Nakedei nicht fehlen. Ein Spiel im Spiel, turbulent und amüsant zuweilen, das die andauernden Deklamationen über alle möglichen Themen unserer Zeit illustriert.

Kein Aspekt wurde ausgelassen: Politik, Gesellschaft und das bourgeoise Leben. Ob die Debatte über die Silvesternacht im Kölner Bahnhof, oder jene um den globalen Kapitalismus und seine neoliberalen Folgen für die Gesellschaft, oder den Diskurs über die bürgerliche Zwangsinstitution der Ehe – alles wurde zur Sprache gebracht: der Disput um die arabischen Flüchtlinge und die Frauen oder der Wunsch nach einem freundlich gesonnenen Führer, der die doch so chaotisch erscheinende Demokratie ablösen soll. In all dem Reden schwingt – oft ziemlich vordergründig dargeboten – das Hintergrundrauschen der neuen Ängste mit, wie ein Schatten, den das dekadente Spektakel auf die Bretter wirft, die ja auch immer die Welt bedeuten sollen.

Am Ende – als wäre es noch nicht genug der deutlichen Deklamation – entschlüpft Stanislav Nordey seiner Rolle als Fassbinder und mimt sich selbst. Er spricht zu uns, dem Publikum, überträgt noch einmal alles Gesehene in unsere Zeit, zählt unsere Sorgen und Probleme auf und erzählt von den falschen Lösungswegen, repräsentiert durch die AfDlerin Beatrix von Storch mit ihrem Schießbefehl auf Flüchtlinge oder dem befürchteten Siegeszug von Marine Le Pen. Was aber wäre nun zu tun? „Ich weiß es auch nicht…“, sagt der echte Schauspieler und dann donnert ihm der Applaus entgegen – doch wofür denn nun?

Dafür, dass es endlich mal einer öffentlich sagt, was einen selbst umtreibt? Oder die Erkenntnis, dass dieses deklamatorische Schauspiel sogleich seine eigene These widerlegt, Künstler trauten sich nicht mehr darüber zu sprechen, was falsch läuft? Oder applaudiert dort die heimliche Schadenfreude, dass selbst Künstler auch noch keine bessere Form mit der neuen Angst umzugehen gefunden haben, als das bloße Deklamieren der Ängste? Oder sogar dafür, dass sich – wie schon Dostojewskis schwante – die Welt schon etwas ändert, wenn man seine Sicht darauf ändert und man einfach etwas angstfreier auf sie schauen sollte, als an diesem Abend? Wofür also soviel Applaus und Begeisterung für soviel Bühnendekadenz und Deklamationstheater? Ich weiß es auch nicht…

Je suis Fassbinder“ – am Nationaltheater Straßburg TNS
Text von Falk Richter, Regie Stanislav Nordey und Falk Richter
Mit Stanislav Nordey, Thomas Gonzales, Éloise Mignon, Judith Henry und Laurent Sauvage

Beginn 20 Uhr, Dauer 1:55 ohne Pause
noch bis Samstag, 19. März, täglich außer Sonntag und Montag
Infos und Tickets unter www.tns.fr

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