Ich, der Volksverräter

Der Autor ist ein Denunziant. Ein hinterhältiger Verräter. Er wird deshalb mit dem Tode bedroht. Und weil er also nicht nur mit einer Morddrohung leben muss, sondern sich für seinen Verrat auch nicht wirklich schämt, erscheint seine Kolumne anonym.

Jagdszenen aus dem täglichen Leben eines Fahrradfahrers... Foto: Fitti / Panoramia.com / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0 (Ill. EJ)

(N.N.*) – Ich weiß, so was tut man nicht. Schon gar nicht in jenem Land, in dem ich es getan habe. Ein Land mit einer großen Widerstandstradition. In einem solchen Land liefert man sich nicht gegenseitig den Verfolgungsbehörden aus. Doch ich habe genau das getan, ich bin ein Verräter. Und trotzdem fühlt er sich richtig an, mein Verrat. Verrat ist vielleicht ein zu großes Wort für mein Vergehen, aber immerhin war es so schlimm, dass ich seither mit einer Morddrohung leben muss.  

Aber der Reihe nach: Was war geschehen? Ich stand an einer Straßenecke auf dem Bürgersteig eines belebten Platzes in der südlichen Innenstadt, als mir einer dieser überdimensionierten Geländewagen von hinten beinahe in die Kniekehlen fuhr. Das pechschwarze Fahrzeug beliebte nämlich auf dem Bürgersteig, genau dort wo ich stand, zu parken. Der Fahrer stieg aus, nickte kurz und verschwand mit seinem Beifahrer in der Bar direkt hinter seinem „Parkplatz“. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, deshalb nur soviel: Er ist einer von der Sorte, die zu hundert Prozent zu ihren Autos passen und mit ihren Wagen eine Art Symbiose bilden.

Doch nun zu mir, was habe ich getan? Ich sah, dass auf der nächsten Kreuzung ein Einsatzwagen der städtischen Polizei stand, klopfte an die Scheibe und fragte die Beamten, ob auch sie der Meinung wären, dass der Bürgersteig kein Parkplatz sei. Wir waren uns einig, und danach nahm alles seinen geordneten Lauf, die Ordnungshüter schritten zur hütenden Tat und vergaben ein Strafmandat. Der Fahrer stürzte nun aus der Bar, dabei kreuzten sich kurz unsere Laufwege, lang genug aber, dass er mir zuraunen konnte: „Dich bring ich um“. Einen kleinen Tritt vors Schienbein als Vorgeschmack des finalen Aktes bekam ich noch mit auf meinen weiteren Lebensweg.

Was habe ich mir bloß dabei gedacht, als ich zum Verräter wurde? Ich gebe zu, ich hänge der verqueren Idee nach, dass die selbstherrliche Parkerei auf Fuß- und Radwegen der sichtbare Ausdruck einer verkorksten modernen Vorstellung von Freiheit ist, die sich nur noch in der Ausübung von Rücksichtlosigkeiten erschöpft. Wird es nicht Zeit dieser Vorstellung entgegen zutreten? Zumal in dieser Stadt, wo das Falschparken schon Methode hat? Ein Wehret-den-Anfängen ist das schon lange nicht mehr, dazu ist es schon zu spät. Und doch sah ich plötzlich den Moment gekommen, zur Tat zu schreiten, und sei es nur die Tat des Verrats.

Das ist nicht alles, es ist noch eine Nummer verrückter: Ich denke nämlich, dass diese armselige Freiheitsvorstellung in den demokratischen Staaten von der Politik genährt wird. Denn seit mehr als einem Jahrzehnt scheint sich das politische Handeln mit Verve darauf zu stürzen, die Menschen erst einmal vor sich selbst zu schützen. Und zwar aus Ohnmacht gegenüber wahren Mächten im Staat aus Wirtschaft und Großfinanz, entschlossenes Handeln wird dort vorgetäuscht, wo es nicht den Falschen wehtut – Stichwort Nichtrauchen, gesunde Ernährung, und bloß nicht bei Rot über die Fußgängerampel gehen oder radeln, obwohl man damit in erster Linie sich selbst gefährdet.

Womit ich wieder an der Straßenkreuzung wäre, an der sich mir nun zwei Fragen stellten. Erstens: Sollte nicht die gesellschaftliche Ordnung und ihre damit verbundenen Alltagsregeln zuerst dafür sorgen, nicht die Übeltäter vor sich selbst zu schützen, sondern seine Mitmenschen vor ihm? Und zweitens: Was hat sich eigentlich der Falschparker dabei gedacht, als er mir auf dem Bürgersteig mit seinem Dieselmonster in die Kniekehlen fuhr und beim Aussteigen auch noch zunickte? Vermutlich ging er davon aus, ich sei sein heimlicher Komplize und würde seine rücksichtslose Tat als Ausdruck unserer Freiheit verstehen, die es sich herauszunehmen gilt gegen die Ordnungsregeln, die ja nur dazu dienen, die Freiheit des modernen Menschen einzuschränken. Das muss doch einfach jeder gut finden, dazu noch bei so einer Allradgangsterkarre und so einem tollen Kerl…

Ich gebe zu: diese Extrem-Symbiose Fahrzeug-Fahrer hatte mich geradezu dazu aufgestachelt, endlich einmal etwas gegen diese ständige Rücksichtlosigkeit zu unternehmen, selbst wenn es einem Verrat gleichkommt. Zumal es den Anschein hatte, als würde er das nicht zum ersten Mal getan haben. Vermutlich lehrte ihn die Erfahrung, dass es auch dieses Mal folgenlos bleiben würde. Niemand hatte ihn bisher verraten und den Verfolgungsbehörden ausgeliefert, und seine Selbstsicherheit in der Ausführung der Tat nährt zumindest den Verdacht, dass die städtischen Ordnungshüter nicht eingeschritten wären, wenn sie niemand ausdrücklich auf die Ordnungswidrigkeit aufmerksam gemacht werden?

Ja, ich bin ein Verräter, habe einen ganz besonderen Vertreter des freiheitsliebenden Volks an die Behörden ausgeliefert, und ja, vielleicht wurden sogar die Behörden erst durch mich zu der Ordnungstat veranlasst, die sie so nicht ausgeführt hätten. Und – nun kommt zum üblen Verrat noch ein übelster Verdacht – was wäre, wenn die Untätigkeit der ausführenden Organe weiter oben in der Behörde gar nicht so ungern gesehen wird? Vielleicht aus Angst, man könne die Wählerstimmen von freien Autofahrern zu verlieren? Wird man sich noch mal wundern, wenn sich herausstellen sollte, dass auch der ein oder andere Fußgänger den Weg bis ins Wahllokal schaffen könnte?

Na ja, das sind natürlich nur Vermutungen, aber gut, die Texte in dieser Rubrik sind ja sowieso immer etwas überzogen und vor allem spaßig gemeint. Fehlt allerdings nach dem überzogenen Verdacht noch der Spaß. Eine Morddrohung vom Falschparker, klingt zwar auch überzogen, ist aber nicht wirklich lustig, und sie schien mir zumindest in diesem ersten Moment der Aufregung ziemlich ernst gemeint gewesen zu sein. Wo ist nun der Witz? Da jede gute Pointe immer bis zum Schluss aufgehoben sein sollte, folgt jetzt also die finale Scherzfrage: Wo sind wir hier eigentlich? In einer Bananen-Republik? Im mafiösen Sizilien? Im Oligarchen-Moskau. Oder wenigstens im verruchten Marseille? Nein – und jetzt wird’s lustig: Wir sind im lieblichen Elsass, in der beschaulichen Stadt Straßburg, hahaha…

* Name ist der Redaktion bekannt

1 Kommentar zu Ich, der Volksverräter

  1. HEMMERLÉ Pierre // 9. Februar 2019 um 23:24 // Antworten

    Voici un article de fond qui devrait faire la Une de tous les journaux, de tous les pays, de tous les temps.
    Est-ce qu’un coup de sort, du genre : “je vais en période d’Avent assister aux masturbations mentales à “return of investments” massifs pour me retouver face à mon idéologue percutant”, ne serait pas la solution statistiquement la plus correcte ?

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