Frankreich – die Polizeikräfte sind wütend
Am Mittwoch, den 19. Mai, demonstrierten 35.000 Polizisten aus ganz Frankreich vor der Assemblée Nationale in Paris.

(Inès Tempel) – 35.000 Polizisten haben in Paris auf einen Aufruf von 14 Polizeigewerkschaften hin demonstriert, um ihrer Wut über die permanenten Angriffe auf Polizeikräfte Ausdruck zu verleihen und mehr Mittel und härtere Maßnahmen gegen ihre Angreifer zu fordern. Es handelte sich um eine historische Demonstration, denn 35.000 demonstrierende Polizisten hat man in Frankreich noch nie gesehen – ein trauriger Rekord. Die Polizisten in Frankreich sind am Ende ihrer Kräfte: Sie werden, ebenso wie Rettungssanitäter und Feuerwehrleute, immer häufiger Opfer von Gewalt und viele von ihnen berichten von den brutalen Situationen, denen sie jeden Tag ausgesetzt sind. Nach den Morden an Stéphanie Montfermé, einer Verwaltungsbeamtin der Polizeiwache in Rambouillet (Yvelines) Ende April und vor zwei Wochen an Brigadier Eric Masson in Avignon während einer Anti-Drogen-Operation, war diese Demonstration mehr als symbolisch.
Die Vertreter des Berufsstandes standen vor der Assemblée Nationale, um ihre Arbeitsbedingungen anzuprangern, die sich Tag für Tag, Monat für Monat verschlechtern. Die sozialen Missstände, verschärft durch die Pandemie, müssen in erster Linie von der Polizei ausgebadet werden. Da ihre Arbeitsmittel als unzureichend beurteilt werden und die Verfolgung der Straftäter eher lasch ist, fühlen sich die Polizisten verständlicherweise nicht mehr sicher. Sie sind entmutigt und haben Angst.
Ihre Wut und Frustration fordern die französische Politik zum Handeln auf und stellen ein echtes französisches Problem dar. Denn diese Wut und Frustration sind nicht neu, sie werden heute nur noch weiter verstärkt. Die Gewalt, mit der Polizeibeamte konfrontiert sind und deren Opfer sie häufig werden, ist fast schon ein fester Bestandteil der französischen Gesellschaft geworden. Seit Jahrzehnten werden die Konfrontationen zwischen den Polizeikräften und überwiegend jugendlichen Straftätern in den Problemvierteln in den Medien thematisiert. In der einen Minute wird die Polizei bejubelt, in der nächsten wird sie ausgepfiffen und mit Steinen beworfen. Ein Grund dafür ist, dass auch die Polizei viele nicht nachvollziehbare Übergriffe begeht. Und das führt zu der unguten Situation, in der einerseits die Franzosen kein Vertrauen mehr in die Polizei haben und andererseits, die Polizei kein Vertrauen mehr in die Bevölkerung und die Justiz.
Wie soll man diese Beziehung zur Polizei verstehen, die in Frankreich so besonders ist, und was ist der Grund dafür? Auf der französische Seite des Rheins wird die Polizei oft für ihre viel offensivere Ordnungsdoktrin kritisiert: Sie ist oft schwer bewaffnet und scheut sich nicht, die gleichen Mittel einzusetzen, deren Verwendung in anderen Ländern von der Regierung heftig kritisiert werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die mangelnde Ausbildung der Polizeibeamten (8 Monate in Frankreich für einen Polizisten im Vergleich zu 2,5 Jahren in Deutschland), denen in Frankreich keine Mediations- oder Deeskalationstechniken beigebracht werden. Die Bürger haben deshalb oft Angst vor der Polizei, weil sie das Gefühl haben, dass diese manchmal zu aggressiv und zu extrem ist. Als Gegenbeispiel: In Deutschland wird die Polizei deutlich mehr respektiert, und da die Polizeidienste jeweils von den Bundesländern organisiert werden und die Polizisten besser ausgebildet sind, scheinen sie näher an den Bedürfnissen der Bürger zu sein.
Diese Beziehungen und das Misstrauen der französischen Bevölkerung gegenüber der Polizei scheinen das Ergebnis staatlicher politischer Entscheidungen zu sein. Die Polizisten sind zwar Opfer von Brutalität und Gewalt, aber sie sind vor allem Opfer der Verwaltung des Staates und der mehrfachen Haushaltskürzungen, die unter anderem verhindern, dass sie richtig ausgebildet werden. Sie werden ins „Feld“ geschickt, ohne unbedingt über die notwendigen Werkzeuge oder die materiellen und psychologischen Ressourcen zu verfügen, mit denen sie schwierige Situationen richtig bewältigen können. Somit sind sie Opfer ihres Status, was dazu führt, dass sie ständig schlecht vorbereitet in der ersten Reihe in den Konfrontationen stehen.
Diese Demonstration war also überaus politisch; in Wahrheit war sie ein Schrei der Verzweiflung, ein Ruf nach Hilfe. Die Polizei ist ratlos und es wird Zeit für Politiker aufzuwachen und den Berufsstand zu reformieren, sonst werden weiterhin Polizisten im Dienst getötet und die Bürger werden weiterhin unter den vielen Übergriffe der Polizei leiden.
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