In Frankreich hätte es diesen Rücktritt nicht gegeben…

Der Rücktritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) hat viel Wirbel gemacht. In Frankreich hätte dieser Rücktritt nicht stattgefunden. Dort ist man an „Skandale“ gewöhnt…

In Frankreich wäre niemand auf die Idee gekommen, den Rücktritt von Anne Spiegel zu fordern… Foto: MINISTERIUM FÜR FAMILIE, FRAUEN, JUGEND, INTEGRATION UND VERBRAUCHERSCHUTZ RHEINLAND-PFALZ / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Es war eine Art menschlicher Zusammenbruch und Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) hat am Ende ihren Job verloren. Beziehungsweise hat sie entnervt das Handtuch geworfen und ist zurückgetreten. Grund für diesen Rücktritt war eine völlige Überlastung der Ministerin, die es nicht geschafft hat, eine komplizierte Familiensituation und ihre zahlreichen Mandate unter einen Hut zu bringen. Abgesehen davon, dass sie in einem Interview fälschlicherweise angegeben hat, während eines Urlaubs virtuell an Kabinetts-Sitzungen teilgenommen zu haben (was nicht stimmte) und dass sie einen sehr unglücklichen Zeitpunkt für ihren Familienurlaub gewählt hat, hat sie sich eigentlich nichts zu Schulden kommen lassen. In Frankreich, wo sich viele Politiker von Skandal zu Skandal hangeln, wäre dieser Vorgang nicht mal zum Skandal geworden…

Und darum ging es: Als letztes Jahr die Flutkatastrophe im Ahrtal stattfand, die viele Todesopfer und enorme Schäden zur Folge hatte, war Anne Spiegel Umweltministerin im Bundesland Rheinland-Pfalz und damit von dieser Krise auch direkt politisch betroffen. Zehn Tage später fuhr sie mit ihrem Mann (der unter den Folgen eines Schlaganfalls litt) und ihren vier Kindern für einen Monat in Urlaub. Also zu einem Zeitpunkt, als sie als Umweltministerin eigentlich an der Seite der Menschen im Ahrtal hätte stehen sollen. Aber Anne Spiegel war selbst unter einer beruflichen und privaten Anspannung, die sie zu diesem Zeitpunkt nicht aushielt. Danach lief die ganze Geschichte aus dem Ruder.

Fakt ist, dass niemand wegen des Urlaubs von Anne Spiegel zu Schaden gekommen ist, beziehungsweise, dass die Situation für Menschen, die zu Schaden gekommen sind, nicht verschlimmert wurde. Bleiben also unter dem Strich zwei Vorwürfe, nämlich zum falschen Zeitpunkt in Urlaub gefahren zu sein und zu ihrer Teilnahme an Kabinetts-Sitzungen nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Ob dies ausreichende Gründe für einen Rücktritt sind?

Traurig ist die ganze Angelegenheit auch deshalb, weil Anne Spiegel Familienministerin war und ihr Rücktritt eine unterschwellige Nachricht enthält, nämlich die, dass Familie und politisches Amt nicht unbedingt vereinbar sind. Dass sie in dieser Situation statt der Solidarität ihrer Partei „politischen Druck“ von ihrer Parteispitze erfuhr, ist im Grunde jämmerlich.

In Frankreich, wo es Politiker gewohnt sind, auch die heftigsten Skandale auszusitzen, schüttelt man über diesen Rücktritt den Kopf. Es gibt wohl keinen französischen Politiker, der wegen eines solchen Vorgangs zurückgetreten wäre. Anne Spiegel ist aber zurückgetreten und dies zeigt einmal mehr, dass der Politikbetrieb in Berlin ein echter Dschungel ist. In dem man sich vor seinen Artgenossen, sprich: Parteifreunden, genauso in Acht nehmen muss wie vor den anderen wilden Tieren…

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