Internationale Hilf- und Ideen-Losigkeit

Die Taliban überrennen gerade Afghanistan und sind dabei, in Windeseile das ganze Land unter Kontrolle zu bringen. Und die Westmächte schaffen es nicht, ihre Staatsangehörigen und die Ortskräfte zu evakuieren.

Die Taliban überrennen Afghanistan - eine tödliche Gefahr für alle, die für die Westmächte gearbeitet haben. Foto: Sayed Hasib Maududi, Roshan Noorzai (VOA) / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Es wird ein Rennen gegen die Zeit. Während die USA wieder 3000 Soldaten nach Kabul entsenden wollen, um ihre dort noch befindlichen Staatsangehörigen zu evakuieren, diskutiert man in Deutschland weiter über administrative Modalitäten und plant, „in wenigen“ Tagen vielleicht doch „ein oder zwei“ Charterflüge von Afghanistan nach Deutschland zu organisieren, um letzte Bundesbürger und einige Ortskräfte, die dort für die Bundeswehr gearbeitet haben und momentan höchst gefährdet sind, auszufliegen. Nur – ob das dann überhaupt noch geht? Die Taliban haben gerade mit Kandahar die nächste afghanische Großstadt erobert und stehen nur noch 50 km vor Kabul. „In wenigen Tagen“ wird es für die Betroffenen zu spät sein.

UN-Beobachter berichten inzwischen von Massenhinrichtungen dort, wo die Taliban militärische Erfolge feiern und das ist praktisch überall in Afghanistan. Und vielleicht werden wir die weitere Entwicklung gar nicht mehr mitbekommen, da ein Sprecher des Deutschen Journalistenverbandes davon sprach, dass die Taliban gezielt Jagd auf Journalisten und Mitarbeiter westlicher Medien machen. Die teuer erkauften Zusagen, die westlichen Einrichtungen und Mitarbeiter zu verschonen, die sich die USA und auch Deutschland teuer in vom Auswärtigen Amt bestätigten Geheimverhandlungen erkauft haben, sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Dort, wo die Taliban einrücken, agieren sie so, wie sie immer schon agiert haben – sie ermorden jeden, der ihnen irgendwie suspekt vorkommt. Sie schließen die Schulen und ermorden das Personal, denn für islamistische Terroristen ist Bildung eine große Gefahr.

Vor mehr als drei Wochen hatte Angela Merkel angekündigt, dass man natürlich auch die afghanischen Ortskräfte ausfliegen würde, doch haben es die deutschen Behörden geschafft, so lange Verwaltungshürden für die Betroffen zu errichten, dass es für die meisten jetzt zu spät sein dürfte. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Taliban vorrücken, dürfte es bereits jetzt für die meisten afghanischen Ortskräfte illusorisch sein, noch lebend nach Kabul kommen zu können, wo sie auch nicht sicher sein können, einen Platz in einem Flugzeug nach Deutschland zu ergattern. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es diese Flugzeuge bisher überhaupt nicht gibt.

Die Situation spaltet auch die deutsche Politik. Während sich einzelne Stimmen in der SPD melden, die fordern, dass auch die Bundeswehr erneut Tausende Soldaten nach Afghanistan schickt, um den Abzug von Staatsangehörigen und Ortskräften zu schützen, gibt sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) lediglich „zerknirscht“ und Die Linke überlegt laut, ob man den Taliban nicht Hilfsangebote machen sollte. Die Amerikaner sind da schon direkter, wenngleich nicht weniger hilflos. Sie haben die Taliban gebeten, die US-Einrichtungen zu verschonen, sollten sie jemals auf amerikanische Hilfen hoffen. Alleine diese Aussagen zeigen, dass die westlichen Kräfte auch in 20 Jahren vor Ort weder das Land Afghanistan, noch die Taliban verstanden haben. Absprachen mit dieser Terrorgruppe sind wertlos, wenn die Taliban, wie so oft, in einen Blutrausch verfallen.

Mit jeder Stunde, die noch von den westlichen Staaten gezögert wird, verurteilen wir Menschen in Afghanistan zum Tode, denn jeder, der mit den westlichen Besatzungsmächten kooperiert hat, ist für die Taliban ein vogelfreier Kollaborateur. Die Hilf- und Ideenlosigkeit der Westmächte wird viele Afghanen das Leben kosten. Und dass nach 20 Jahren des westlichen Versuchs, Afghanistan „in ein besseres Land zu verwandeln“, die Taliban so problemlos die Macht an sich reißen können, das zeigt, dass diese 20 Jahre völlig sinnlos waren. Sowohl für Afghanistan, wie für die dortige Bevölkerung und die vielen westlichen Soldaten, die dort sinnlos ihr Leben gelassen haben. Aber jede Wette, man wird uns erklären, dass auch dieser Einsatz „alternativlos“ war.

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