Ja, was habt ihr denn gedacht?

Angesichts des schrecklichen, politisch motivierten Mordes an Walter Lübcke ist die Empörung groß: Aber wie kann man von dieser Entwicklung überrascht sein?

Wenn wir weiterhin die Augen vor den immer präsenteren Neonazis verschliessen, laufen wir erneut gegen die Wand. Foto: Caruso Pinguin / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die Ermordung des Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Neonazi empört die Republik. Doch wenn man ehrlich ist, dann ist dieser politische Mord, der eher eine Art Hinrichtung war, die logische Konsequenz einer Entwicklung, die bereits seit Jahren andauert und die ständig kleingeredet wurde – das Entstehen eines dumpfen Neofaschismus, der seine Wurzeln vor allem in den neuen Bundesländern im Osten der Republik hat. Doch nicht nur – Neonazis konnten sich relativ unbehelligt auch in den alten Bundesländern ausbreiten.

AfD, Pegida, Neonazigruppen wie „Combat 18“, die Terrorgruppe des NSU mit ihrem weit verzweigten Unterstützernetz – die Strukturen sind weitgehend bekannt, doch wurden diese Netzwerke in der Vergangenheit ziemlich unbehelligt gelassen, wie beispielsweise durch den Verfassungsschutz-Chef Maassen, der selbst dem Gedankengut dieses braunen Sumpfs nahesteht und der bis heute nicht nachvollziehbar die Rolle des Verfassungsschutzes in der Mordserie der NSU erklären konnte oder wollte. Dafür gehörte Maassen zu denjenigen, die nach den Zwischenfällen von Chemnitz versuchte, die Vorfälle kleinzureden.

Wir alle haben die Bilder von den Pegida-Demonstrationen gesehen, wir alle haben die Angriffe auf Flüchtlinge live im Fernsehen verfolgt, wir haben alle den Prozess der NSU miterlebt – und praktisch alle öffentlichen Stellen haben sich immer bemüht den Eindruck zu erwecken, es handele sich um punktuelle Vorkommnisse, begangen von gestörten Mitmenschen, wobei die Organisation des neonazistischen Untergrunds in Deutschland wider besseren Wissens verschwiegen wurde.

In Bundesländern wie Sachsen verfolgen die Behörden lieber Antifa-Demonstranten als die grölenden Glatzen, denn die sind ja immerhin „anständige Deutsche“. Doch genau diese Augenwischerei ermutigt die Neonazis, immer weiter an der Schraube der Gewalt und des politischen Terrors zu drehen.

Wir müssen nun endlich auch unsere eigene Sprache zu diesem Thema anpassen. Meistens berichten wir von „Rechtsextremisten“, „Identitären“, „Neonationalisten“, doch jetzt ist es an der Zeit, die Dinge richtig zu benennen – in Deutschland gibt es wieder und immer mehr Neonazis.

Bei den drei kommenden Landtagswahlen in Ostdeutschland wird die AfD, der parlamentarische Arm all derjenigen, die von der Rückkehr längst vergangener Zeiten träumen, aller Voraussicht nach hohe Ergebnisse einfahren. Doch jeder, der AfD wählt, muss wissen, dass er damit die Entwicklung unterstützt, die zu dieser extremistisch motivierten Hinrichtung geführt hat. Es steht zu befürchten, dass dies nicht der letzte politisch motivierte Mord war, denn diese Neonazis werden alles daran setzen, ein Klima des Terrors und der Angst aufrecht zu erhalten.

Es ist gut und richtig, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich gezogen hat – dadurch wird verdeutlicht, dass man verstanden hat, dass diese Neonazis eine Bedrohung für die freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik darstellen. Doch das allein wird nicht ausreichen.

Wir müssen, bevor es zu spät ist, endlich „klare Kante“ im Umgang mit Neonazis zeigen. Dazu müssen in erster Linie die Behörden das Arsenal an ermittlungstechnischen und auch juristischen Möglichkeiten nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen. Kein „wir drücken mal ein Auge zu“, kein „wir können doch nicht jeden verfolgen, der den Hitlergruß zeigt“, keine Bewährungsstrafen für diejenigen, die zu Hass, Gewalt und in letzter Konsequenz zu Mord aufrufen.

Die AfD, dieser politische Wolf im Schafspelz, muss gestoppt werden. Sie schafft das Umfeld, in dem sich geistig unterbelichtete Neonazis berufen fühlen, ihre Gewaltphantasien in die Tat umzusetzen. Machen wir uns nichts vor – wir alle wissen, dass Neonazis und ihre Gesinnungsgenossen jedes Jahr über 3000 Angriffe auf Flüchtlingseinrichtungen und Personen verüben. Wir alle haben die Plakate gelesen, die diese Verblendeten auf ihren Demos durch die Gegend tragen. An uns ist es, nicht weiter wegzuschauen und zu hoffen, dass sich das Problem der Neonazis irgendwie von selber regeln könnte. Das haben wir im letzten Jahrhundert bereits einmal erfolglos getan, das Wegschauen.

Ab sofort heißt es nicht mehr „Wehret den Anfängen“, sondern „Bekämpft die Nazis wo ihr könnt!“: Bevor es wirklich zu spät ist.

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