Ja, wer hätte denn damit gerechnet?…

Die „Volksabstimmungen“ in den von Russland besetzten Regionen der Ukraine haben das „Ergebnis“ geliefert, das der Kreml vorher festgelegt hatte. Doch die Farce ist leider ernstzunehmen.

So sahen die "Wahlhelfer" aus, die bei der "Volksabstimmung" die Stimmen an der Haustür erzwangen. Foto: armyinform.com.ua / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Nun wird alles sehr schnell gehen. Nach den Ergebnissen der „Volksabstimmungen“ in den von Russland besetzten ukrainischen Regionen werden diese, vertreten durch die Zuständigen der Besatzer, ihre Aufnahme in die Russische Föderation beantragen, Diese Aufnahme wird sehr schnell vollzogen werden und ab dem Zeitpunkt verfügt Putin über eine „Rechtfertigung“, jeden Schuss in diesen Regionen als „Angriff auf das russische Territorium“ zu betrachten und entsprechend zu reagieren, unter anderem mit nuklearen Waffen, da die russische Doktrin den Einsatz von Atomwaffen erlaubt, sobald die Integrität des russischen Staatsgebiets gefährdet ist.

Was für eine „Volksabstimmung“! Diejenigen, die sich noch in den Oblasten Saporischschja, Donetzk, Cherson und Luhansk aufhalten, sind überwiegend prorussische Separatisten und diejenigen, die nicht prorussisch sind, wurden zur Stimmabgabe daheim aufgesucht, in Begleitung bewaffneter Soldaten, und mussten ihre Stimmzettel offen in eine durchsichtige Urne werfen. Doch so ein Vorgehen kennt man aus Russland und die „Ergebnisse“ haben bereits vorher festgestanden.

In Luhansk sind angeblich 98 % der Menschen für den Anschluss an Russland, in Saporischschja 93 %, in Cherson 87 % und in Donetzk ungefähr 95 %. Wenn das mal kein toller Wahlerfolg für Putin ist. Erstaunlich, dass trotz der Teilmobilmachung und der Erkenntnis in der russischen Bevölkerung, dass es sich nicht etwa um eine „militärische Spezialoperation“, sondern um einen ausgewachsenen Krieg handelt, der ganze Prozess der Annektierung der Ost-Ukraine reibungslos durchläuft.

Für den Westen schaffen diese „Volksabstimmungen“ eine ganz neue Situation. Natürlich hat fast die gesamte „zivilisierte“ Welt im Vorfeld entrüstet angekündigt, diese „Volksabstimmungen“ nicht anerkennen zu wollen, doch auch das ändert nicht viel. Putin schafft eine Situation, in der ein offener Konflikt zwischen NATO und Russland kaum noch zu verhindern ist und der Westen hat dem nichts entgegenzusetzen, außer der Lieferung von Waffen und Geld, wobei man festhalten muss, dass die enormen Lieferungen der letzten sechs Monate die Eskalation des Kriegs nicht haben stoppen können. Was nun?

Dass der Westen diese neuerliche Annektierung ukrainischen Gebiets nicht anerkennt, stört Putin wenig. Er braucht diesen offenen Konflikt mit der NATO, er muss den Krieg als eine Auseinandersetzung „Ost-West“ gestalten, da er ansonsten keine Chance hat, das ganze russische Volk für seinen Krieg zu mobilisieren. Er muss der russischen Bevölkerung das Gefühl vermitteln, der böse Westen wolle das nette Russland vernichten, denn nur dann wird er die Proteste und Unruhen im eigenen Land in den Griff bekommen, ohne Gefahr zu laufen, Opfer einer Palastrevolution zu werden.

Natürlich wird es in den kommenden Tagen Proteste seitens der internationalen Gemeinschaft hageln, doch während dieser Zeit werden die Russen bereits die nächsten „Volksabstimmungen“ in die Wege leiten. Die Eskalation geht immer weiter und niemand sollte sich mehr Illusionen wie „na, so weit wird er dann doch nicht gehen“ hingeben.

Dass sich Russland gegen die ganze westliche Welt gestellt hat, das wissen wir seit dem 24. Februar. Doch bislang hatte der Westen gehofft, dass immer schärfere Sanktionen Putin und Russland „auf die Knie zwingen“ würden, wie zahlreiche westliche Politiker immer wieder angekündigt hattten. Nach einem halben Jahr des brutalen Angriffskriegs muss man aber festhalten, dass Putin und Russland nicht auf die Knie gezwungen wurden, dass die Russen die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen zwar erdulden, aber relativ gut abfedern können (neue Handelsbeziehungen zu anderen Teilen der Welt; Stärkung des Rubels dadurch, dass der Westen seine Öl- und Gas-Lieferungen brav und wie gewünscht in Rubel bezahlt hat; Steigerung der Aktivitäten in Organisationen wie SCO oder BRICS).

Die sozialen Unruhen, die durch die westlichen Sanktionen in Russland ausgelöst werden sollten, werden zunächst bei uns im Westen stattfinden. Momentan gibt es keine Antworten auf die Fragen, wie man jetzt mit Russland umgehen soll. Aus „Nie wieder Krieg!“ wird nun die Fragestellung, ab welchem Zeitpunkt die NATO offen Russland angreifen soll, um die Ukraine zu retten. Oder anders gefragt, wann der Westen den III. Weltkrieg von seiner Seite aus offiziell lostreten wird. Und das wäre dann genau das, was Putin will. So, wie es aussieht, werden wir ihm auch noch diesen Gefallen tun…

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