Jedem seinen Professor

Zu allen Fragen rund um das Coronavirus melden sich über alle Kanäle verschiedene Professoren zu Wort, von denen vor der Krise noch niemand je etwas gehört hat...

Professor Raoult gehört zu den in allen Medien präsenten Professoren, aber hat er deswegen Recht? Niemand kann das sagen... Foto: Franck Sabattier / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Ach, die Welt der Wissenschaft ist aufregend! Speziell seit Beginn des Jahres, seit dem Auftraten des SARS-CoV-2, der die Welt in Atem hält und bislang rund 800.000 Todesopfer forderte. Die Weltbevölkerung schaut gebannt auf Virologen, Epidemiologen und andere Fachleute, von denen wir uns Medikamente oder Impfstoffe erhoffen und dazu auch ein wenig Verständnis dafür, was gerade passiert. Und so sucht sich dann jeder und jede „seinen“ oder „ihren“ Professor aus, dessen Theorien am ehesten dem entsprechen, was man selber denkt. Aber das führt uns leider nicht einmal in die Nähe des Baums der Erkenntnis.

Bitterer Fakt ist, dass die Wissenschaftler dieser Welt es in einem halben Jahr nicht geschafft haben, eine wissenschaftlich fundierte Meinung zur Frage des Nutzens oder Nicht-Nutzens von Gesichtsmasken zu entwickeln. Angesichts der Tatsache, dass die Menschheit in der Lage ist, Sonden auf den Mars zu schicken, ist das eigentlich ein Treppenwitz der Wissenschaft. Alleine zur Frage der Gesichtsmasken gibt es Hunderte von Meinungen von Professoren, die sich alle widersprechen. Ähnliches gilt für die Frage der Therapien, beispielsweise mit dem Mittel Chloroquine, das der Marseiller Professor Raoult propagiert, allerdings unter Verzicht auf wissenschaftlich fundierte Studien. Ihm widersprechen eine Heerschar anderer Professoren, deren Namen man vor der Krise auch noch nicht gehört hatte und als Laie steht man staunend vor diesen wissenschaftlichen Duellen, bei denen es per Definition keinen Sieger geben kann.

Und obwohl die Welt-Wissenschaft auch ein Dreivierteljahr nach dem Ausbruch der Covid-Krise praktisch kaum etwas über das Virus, dessen Mutationen, seine Langzeitfolgen und die Lebensdauer von Antikörpern weiß, obwohl es außer dem Tipp des Händewaschens keine Therapie gibt, zu der sich die Wissenschaft einigen kann, arbeiten die Laboratorien dieser Welt an Impfstoffen, die es noch nicht gibt, die noch nicht getestet sind, und von denen die Regierungen, die es sich leisten können, Millionen und Abermillionen Einheiten bereits im Vorfeld kaufen. Dies wird von ebenso vielen Professoren begrüßt und abgelehnt.

Wenn man die Entwicklung dieser Corona-Krise betrachtet, dann muss man feststellen, dass gerade intensiv an Lösungen gearbeitet wird, deren Problemstellungen noch niemand kennt oder sie gar begreift. Die Forschung rund um das Virus hat sich zur Glaubensfrage entwickelt und damit den Boden der Wissenschaft verlassen. Das allerdings scheint die vielen TV-Professoren auch nicht sonderlich zu stören.

Bürgerinnen und Bürger sind von der Flut entgegengesetzter Meinungen hoffnungslos überfordert. Denn zu den völlig unterschiedlichen Meinungen der Wissenschaftler kommen die ebenso widersprüchlichen Ansagen aus der Politik, vorgetragen von lupenreinen Amateuren, die sich in ihren bisherigen Karrieren noch nie mit der Frage von Viren beschäftigt haben.

Dass diese Kakophonie von Experten und Amateuren die Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner auf den Plan ruft, wen wundert’s? Auch, wenn es nachvollziehbar ist, dass alle, Wissenschaft und Regierungen und die Bevölkerungen ohnehin von diesem Virus unvorbereitet und auf dem falschen Fuß erwischt wurden, so darf man dennoch die katastrophale Kommunikation aller Beteiligten kritisieren.

Die Angst und das daraus resultierende aggressive Verhalten immer breiterer Bevölkerungsschichten ist das Ergebnis von falschen Informationen, offenen Lügen und dem Drang zu einer geradezu krankhaften Selbstdarstellung der Akteure, die alle meinen, ihre große Stunde sei gekommen. Bisher haben sich ALLE Experten getäuscht – das Virus schlägt Wege ein, die niemand vorhergesehen hat. Doch darf man die psychologische Komponente dieser Situation nicht unterschätzen – wenn die ganze Geschichte noch ein paar Monate weitergeht, und das wird sie, werden die Menschen auf der Straße aufeinander losgehen. Nicht etwa, weil sie grundlegend böse und schlecht sind, sondern weil niemand mehr versteht, woraus eigentlich die Bedrohung besteht, vor der wir uns und unsere Mitmenschen gerade schützen müssen. Und das ist natürlich auch die Meinung „meines“ Professors – und die ist so viel wert wie die Meinungen aller seiner Kollegen…

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