Jubel, Trubel, Heiterkeit…

Die französischen Medien stellten gestern auf ihren Titelseiten bereits die Frage, wie es nach erfolgreicher Beendigung der Pandemie weitergeht. Ob das die richtige Strategie ist?

Für viele ist die Pandemie nur noch eine schlechte Erinnerung... dabei ist die Krise noch lange nicht vorbei. Foto: Guy MOLL from Faro, Portugal / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Seit dem 19. Mai, dem Tag, als in Frankreich die Geschäfte und die Terrassen wieder öffneten, ist das Leben wieder schön. Ein Hauch von Sorglosigkeit liegt über dem Land, immer mehr Menschen sind ohne die lästigen Masken unterwegs und die „Präsidenten-Presse“ (sprich: die größten landesweiten Medien und die großen Regionalzeitungen) verkünden, zumeist in Frageform, das Ende der Pandemie. Natürlich wird das als Erfolg der göttlich inspirierten Regierung verkauft und die Menschen hören und lesen die gute Nachricht und haben das Gefühl, der Pandemie-Albtraum sei vorbei. Bezwungen von der Regierung. Wie schön, dass dieser „Erfolg“ gerade rechtzeitig zu den anstehenden Regional- und Departementswahlen gefeiert werden kann…

„Nein, die Pandemie ist nicht vorbei!“, möchte man den Franzosen zurufen, doch Stimmen der Vernunft verhallen momentan ungehört. Nach 16 Monaten der Beschränkungen, die in Frankreich wesentlich härter als in Deutschland waren, beherrscht der Wunsch nach Normalität das Bild in Frankreich. Verständlich und dennoch gefährlich. Denn immer mehr Menschen in Frankreich hören die gute Nachricht des „Endes der Pandemie“ und verhalten sich nun immer unvorsichtiger. Das Tragen von Masken wird von vielen als fakultativ betrachtet, die Terrassen sind brechend voll und kaum noch jemand hält sich auf die noch auf dem Papier bestehenden Kontaktbeschränkungen und das bei einer Inzidenz, die noch über 100 liegt, also einem Wert, bei dem Deutschland die „Bundes-Notbremse“ gezogen würde.

Es stimmt – die Zahlen verbessern sich und das tun sie sogar sehr schnell. Die Zahl der Neuinfektionen sinkt ebenso wie die Auslastung der Intensivbetten in den Krankenhäusern und das ist genau die Entwicklung, die sich alle wünschen. Ähnlich wie in Deutschland läuft auch die Impf-Kampagne gut (wobei es niemanden zu interessieren scheint, dass wir noch meilenweit von der kollektiven Immunität entfernt sind).

Man muss heute schon zwischen den Zeilen lesen um mitzubekommen, dass die Pandemie eben doch noch nicht vorbei ist. Zwar verkündet die Regierung bereits das Auslaufen der finanziellen Hilfen für die Ärmsten zum Ende Juni, doch gleichzeitig wird für alle Reisenden aus Großbritannien eine Zwangs-Quarantäne eingeführt, denn dort grassiert das „indische Variant“ und da sich dieses deutlich schneller verbreitet als die anderen Varianten, ist tatsächlich weiter Vorsicht geboten. Nur, „Vorsicht“ ist momentan das Letzte, was die wiedergefundene Feierlaune der Franzosen stören könnte.

Natürlich versteht man das Bedürfnis, wieder Elemente eines „normalen Lebens“ wiederzufinden. Das geht jedem so. Natürlich ist es klasse, wieder mit Freunden auf der Terrasse zu sitzen, Kaffee oder eine Gerstenkaltschale zu trinken und die ersten Sonnenstrahlen des Sommers 2021 zu genießen. Aber dennoch ist diese Pandemie noch nicht vorbei – in Japan kämpft man beispielsweise gerade mit der „4. Welle“ und auch bei uns besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass die Zahlen wieder explodieren, dass erneut Maßnahmen getroffen werden müssen und dass dieser Albtraum weitergeht.

Doch die gesamte Kommunikation wird in die Richtung „Uff, das war’s dann jetzt“ gelenkt. Im Juni findet die Fußball-EM statt, vor Publikum und in einem ganz besonderen Reisemodus, da die Spiele dieses Jahr nicht in einem Gastgeberland, sondern in ganz Europa stattfinden. Das wird toll, wenn die Teams, Betreuer, Funktionäre, Medien und Fans kreuz und quer durch Europa düsen, um ihrem Team zu folgen. Pandemie? War gestern. Jetzt ist EURO 2021. Direkt danach werden die Olympischen Spiele in Japan durchgezogen, nachdem zuvor in Frankreich gewählt wurde und das traditionelle Musikfest am 21. Juni stattgefunden hat. Fast hat man das Gefühl, als würden alle alles daran setzen, spätestens nach dem Sommer die nächste große Welle managen zu müssen.

Am 9. Juni wird in Frankreich die „dritte Etappe“ des Vier-Stufen-Plans gezündet – und am 30. Juni werden praktisch alle Corona-Maßnahmen beendet. Das bedeutet, dass die Sommerferien für die Franzosen gesichert sind, zumindest für diejenigen, die es sich leisten können und denen nicht kurz vor dem Sommer die Existenzgrundlage gekappt wird, wenn die Corona-Hilfen auslaufen.

Erstaunlich, dass eine Regierung die Pandemie auf politischer Ebene und allen Zahlen und Empfehlungen der Experten zum Trotz einfach für beendet erklären kann. Dort, wo man das bereits versucht hat, wie beispielsweise in Brasilien, waren die Folgen eher katastrophal.

Die einzig richtige Ansage heute müsste lauten: „Die Pandemie schwächt sich momentan ab, allerdings sind Virus und Varianten nach wie vor unterwegs. Während der ersten vorsichtigen Öffnungsschritte fordern wir alle auf, konsequent die weiter in Kraft bleibenden sanitären Maßnahmen einzuhalten, damit wir keine 4. und 5. Welle erleben.“ Und das klingt dann schon ein wenig anders als „Wir haben das Schlimmste hinter uns – endlich wieder normal leben!“

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