Jugendfrei ins Theater

Im Straßburger National Theater TNS gibt es noch bis Mitte Februar zwei Stücke zu sehen, die unterschiedlicher kaum seien könnten: die Romanadaption „Schnee“ und das Dreiecksbeziehungsdrama „Erich von Stroheim“.

Szene aus "Erich von Stroheim" mit der genialen Emmanuelle Béart. Foto: (c) Fernandez Jean-Louis

(Von Michael Magercord) – Jugendtheater für Erwachsene – geht das? Sich mal vorstellen, was Jugendliche so umtreibt, oder was Erwachsene meinen, was die so umtreiben mag, und sie mit Spielstücken mal behutsam, mal provozierend in die Welt der Erwachsenen einführen – das ist Jugendtheater für Jugendliche. Was aber echtes Jugendtheater für Erwachsene zu leisten vermag, zeigt das Stück „Erich von Stroheim“ aus dem Jahre 2006 von Christophe Pellet.

Aber der Reihe nach, also gleich zur Schlussfolgerung: Am Ende von Jugendtheater für Erwachsene steht die Erkenntnis, dass man sowieso nie erwachsen wird. Oder, wie es der Straßburger Philosoph Jean-Luc Nancy ausdrückt, dass „wir als Mensch immer unfertig bleiben“. Und was kann uns diese Einsicht besser vermitteln, als ein Thema, das immer schon nur das Eine ist: Sex. Oder was man dafür hält, wenn er auf die moderne Theaterbühne gebracht wird.

Was ist unerotischer, als ausgerechnet über Sex zu reden? Und liebloser obendrein? Und dann noch zu Dritt? Da hilft es auch nichts, wenn der eine ständig halbnackt herumläuft und der andere gar splitternackt. Immerhin, der ganz Nackte ist in der Aufführung im TNS ganz passabel gebaut, wie sexuell zum Männlichen Hingezogene bestätigen konnten. Doch die Frau im Dreierbunde, die von Emmanuelle Béart verkörpert wird, bleibt hingegen bekleidet, selbst beim Sex. Denn wir leben nun einmal in feministischen Zeiten, und da dürfen sich wenigstens Frauen im modernen, bürgerlichen Theater den Respekt herausnehmen, sich vor uns nicht komplett entblößen zu müssen. Zumal die ganze Nackedeierei zum Inhalt auch tatsächlich nichts beiträgt.

Doch was war der Inhalt? Sex, geschlechtliche Beziehungen und ihre möglichen Konstellationen zu Dritt. Die Frage also nach der Subjekt-Objekt-Beziehung: wer ist in welcher Konstellation davon dann wessen? Und schließlich doch wieder die Paarbildung zu Zweit. „Tod und Paar, das ist dasselbe Wort“, sagt einer der Protagonisten und bekommt von den anderen beiden keinen Widerspruch. Und trotzdem vollzieht sich am Schluss auf der Bühne eine klassische Paarung zwecks Familiengründung. Ungefähr so wie sich im Neolithikum die Urhorde der Jäger und Sammler, in der sich ja alle MitgliederInnen munter untereinander zugeneigt gewesen sein sollen, in sesshafte, bäuerliche Einfamilienbetriebe auflöste.

Doch weil das Neolithikum nun auch schon eine ganze Weile her ist und die Paarbildung zur Produktion und Reproduktion seither die Norm darstellt, können sich auch die Schauspieler dem Paarungssog nicht entziehen. Und so schnappt also die Klappe, die das Bühnenbild dominiert, zu. Und da bei Dreien Einer zu viel ist, bleibt einer allein zurück, und klar auch, wer das sein muss: der gutgebaute Nackedei, der beiden, Mann und Frau, zuvor noch das Subjekt ihrer Begierde gewesen war. Aber Paarbildung und Begierde, dass will nicht zusammenkommen. „Die Seele ist nur glücklich in der Bewegung“, klagt der Mann noch, doch als ihn die Frau fragt, wie er das nun meine, weiß der das auch nicht.

Ein Theaterabend, der uns für gut eineinhalb Stunden in die Jugendzeit und die Anfänge des Nachdenkens über der Rolle des Sexus in Gesellschaft und in der Gesellschaft versetzen kann. Jugendtheater für Erwachsene eben. Oder doch was für Jugendliche von heute? Die erwarten vermutlich ganz andere Herausforderungen an ihr erwachsenes Triebleben in Zeiten von Cybersex und Klonvermehrung, als diese schon etwas in die Jahre gekommene Beziehungskonstellationsbewältigung. Oder wie Jean-Luc Nancy sagt: „Wirklich zu verstehen, was die neuen Techniken nach sich ziehen werden, braucht Zeit, denn der Geist oder die Vorstellung davon, was Elternschaft, Herkunft, Genealogie und auch Sex ist, ist dabei sich deshalb grundlegend zu verwandeln“.

Wer sich nun doch wieder etwas weiter zurück in die Theaterwelt sehnt, dem sei das andere Stück empfohlen, welches das TNS zeitgleich im Espace Grüber aufführt. Der Roman „Schnee“ des türkischen Autors Orhan Pamuk dient als Vorlage für einen ganz klassischen Theaterabend, in dem ebenfalls die Zerrissenheit des modernen Menschen behandelt wird. Der Nobelpreisträger, der am Montag in Straßburg zu Gast war, sagt es so: moderne Werte widersprechen sich, will man das eine, Egalitarismus oder Laizismus etwa, gerät man in Konflikt mit dem anderen, Feminismus oder Religionsfreiheit etwa. Diese Spannung und Konflikte der Werte, die sich in den Denkwelten moderner Menschen abspielen, wird in der Geschichte aus der türkischen Provinz über die Erlebnisse eines nicht mehr ganz jungen Dichters ausgelotet – und auf der Bühne ohne Regietheaterfirlefanz, ohne Bedeutungsüberlastung und ohne unlogische Sprünge nachvollzogen. Dafür allerdings ist im Gegenzug etwas Sitzfleisch gefordert, denn dazu braucht’s dann eben doch gleich mal fast vier Stunden.

Théâtre National de Strasbourg TNS

Erich von Stroheim – Salle Koltès
bis 15. Februar außer Montag
Dienstag – Samstag, 20 Uhr
Sonntag 16 Uhr

Neige (Schnee) – Espace Grüber
bis 16. Februar außer Montag
Dienstag – Samnstag, 19 Uhr
Sonntag 16 Uhr

Tickets und Infos: www.tns.frusatzveranstaltungen:

Diskussion mit Waddah Saab und Claudio Monge
Die Suche nach dem dritten Weg (im Islam)
im Centre Emmanuel Mounier, Freitag, 10. Februar, 20.30 Uhr

Autorenabend mit Christophe Pellet
Salle Koltès, Montag, 13. Februar, 20.00 Uhr

Jean-Luc Nancy u.a. über Sex, Klone und das unvollendete Menschsein

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