Best of 2019 (9) – Katalane? Draußen bleiben!

Herzlich willkommen in der Brüsseler Europademokratie! Die 751 neuen Europaabgeordneten sind in der Phase der Vor-Akkreditierung für ihren neuen Job. Alle – bis auf zwei Katalanen.

Musste man Carles Puigdemont und Toni Comin wirklich so ein Schild vor die Nase halten? Foto: Herzi Pinki / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

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Dieser Artikel, der auf Deutsch, Französisch und auch auf Katalanisch in der Übersetzung einer Tageszeitung in Barcelona erschienen ist, hatte mehr als 25.000 Leserinnen und Leser und Tausende “Likes” auf seinen verschiedenen Versionen.

(KL) – Alle wussten, dass diese Situation eintreten würde, doch angesichts des Brexit-Dramas hatten alle verdrängt, was auf sie zukommt. Die beiden katalanischen Europaabgeordneten Carles Puigdemont und Toni Comin sind zwar eindeutig von den Wählerinnen und Wählern in Katalonien gewählt worden, doch das ist Spanien egal – beide werden per Haftbefehl wegen der gleichen Anschuldigungen gesucht wie die 12 katalanischen Regionalpolitiker, die wegen „Rebellion“ und anderer Vorwürfe in Madrid unter fragwürdigen Bedingungen im Gefängnis sitzen und bis zu 25 Jahren Haft entgegenblicken. Als sich am Mittwoch Carles Puigdemont und Toni Comin wie die anderen 749 Europaabgeordneten in Brüssel akkreditieren lassen wollten, wurden sie von den Wachmännern zurückgepfiffen und des Hauses verwiesen. Einen viel schlechteren Start in die neue Legislaturperiode hätte das Europäische Parlament nicht hinlegen können.

Das Problem ist die spanische Verfassung, die verlangt, dass alle spanischen Abgeordneten, ob auf regionaler, nationaler oder europäischer Ebene einen Eid auf die spanischer Verfassung ablegen müssen und zwar – im Land selbst. Doch dort können die beiden im Exil lebenden Europaabgeordneten nicht hinreisen, da sie sofort verhaftet werden würden. Folglich wird Spanien die beiden nicht als spanische Europaabgeordnete anerkennen und die beiden Namen werden auf der endgültigen Liste fehlen, die Madrid einreichen wird. Faktisch bedeutet das, dass Madrid und nicht die spanischen Wählerinnen und Wähler entscheiden, wer für Spanien im Europaparlament sitzen wird. Viel undemokratischer geht es nicht mehr und nun wird man die katalanische Frage nicht länger verdrängen können. Denn die Frage der Rechtmäßigkeit des Hausverbots in Brüssel für Puigdemont und Comin wird nun von Gerichten im Eilverfahren geklärt werden müssen. Und das wird alles andere als einfach werden und könnte sogar die Rechtmäßigkeit des neuen Parlaments in Frage stellen. Denn es kann nicht sein, dass nicht die Bürgerinnen und Bürger Europas entscheiden, wer im Europäischen Parlament sitzt, sondern die nationalen Regierungen und Gerichte.

Die Art und Weise, wie den beiden der Zutritt zum Gebäude verwehrt wurde, ist skandalös und war von langer Hand vorbereitet gewesen. Wie Carles Puigdemont berichtete, hatten die Wachleute am Eingang die Listen mit den Namen der 751 Europaabgeordneten, „doch unsere Namen waren grau hinterlegt“. Nach kurzer Rücksprache mit der Parlamentsverwaltung wurden Puigdemont und Comin von den Wachleuten zum Ausgang geleitet, wobei diese sich weigerten, den beiden ihre Abweisung schriftlich zu bestätigen. Die Parlamentsverwaltung ist sich also bewusst, dass sie auf dünnem juristischem Eis unterwegs ist, da hinterlässt man besser keine schriftlichen Spuren.

Unter den Teppich werden Antonio Tajani, der noch amtierende Präsident des Europäischen Parlaments und sein Generalsekretär Klaus Welle die Angelegenheit nicht kehren können, denn die Frage der Rechtmäßigkeit dieses Ausschlusses zweier frei gewählter Abgeordneter könnte sogar die Legitimität des ganzen Parlaments in Frage stellen. Und schon beginnt das juristische Kopfzerbrechen. Kann das Parlament überhaupt rechtlich gültige Entscheidungen treffen, solange diese Angelegenheit nicht von den Gerichten geklärt ist? Angesichts der juristischen Komplexität des Vorgangs dürfte eine gerichtliche Klärung über alle verfügbaren Instanzen Jahre dauern.

Doch kann es auch nicht sein, dass sich das Europäische Parlament zum Schiedsrichter in der katalanischen Frage aufspielt – während sich das Parlament in der aktuellen Rechtslage aber auch nicht über die national geltenden Regeln und das nationale Wahlrecht hinwegsetzen kann.

Aussitzen kann man die Frage auch nicht – sie wird sich nicht von selbst regeln können. Die spanische Regierung wird in dieser Frage nicht nachgeben und die katalanischen Abgeordneten auch nicht. Warum sollten sie auch? Immerhin sind sie demokratisch gewählt worden.

Die Frage, wie mit dieser Situation umgegangen werden soll, hätte viel früher geklärt werden müssen. Spätestens, als eine Parlamentariergruppe des Europäischen Parlaments nach einem Besuch sowohl den Ablauf des Madrider Prozesses kritisierten, als auch darauf hinwiesen, dass mehrere Kandidaten gewählt werden könnten, die nach der spanischen Verfassung von Spanien nicht anerkannt werden. Nur – um anerkannt zu werden, müssten sie eben nach Spanien fahren und würden dort gar nicht dazu kommen, ihren Eid auf die spanische Verfassung zu schwören.

Zwar hat Carles Puigdemont erklärt, er habe seinen Eid schriftlich nach Madrid geschickt, doch entspricht das zum einen nicht der spanischen Verfassung und zum anderen ist es seltsam für einen Separatisten, einen Eid auf eine Verfassung zu schwören, in der die Integrität des spanischen Territoriums festgeschrieben ist, die eben genau die separatistischen Bemühungen ausschließen. Auf jeden Fall hat die spanische Regierung wissen lassen, dass sie einen solchen schriftlichen Eid nicht akzeptiert.

Der Präsident und der Generalsekretär des Europäischen Parlaments haben mit ihrer „Wir-müssen-leider-vor-der-Tür-bleiben“-Haltung eine hoch politische und brisante Entscheidung getroffen, die auf jeden Fall ein juristisches Nachspiel haben wird. Viele Fragen stellen sich zu diesem Vorgang. Wer hat veranlasst, dass den beiden katalanischen Abgeordneten der Zutritt zum Parlament in Brüssel verwehrt blieb? Wer hat dies beantragt? Da es sich um eine „Vor-Akkreditierung“ handelt, die später durch eine endgültige Akkreditierung ersetzt wird, wieso wurde diese 749 der neu gewählten Abgeordneten gewährt, diesen beiden aber verweigert? Man hätte Puigdemont und Comin provisorisch akkreditieren und die Klärung der Frage mit der entsprechenden Dringlichkeit an den Europäischen Rat verweisen können. Waren Antonio Tajani und Klaus Welle überhaupt berechtigt, eine solche Entscheidung zu treffen? Werden die Briten auch hier dazwischenschießen, wo sie doch auch einen schier unlösbaren Streit mit Spanien um die Zukunft der Felsen-Exklave Gibraltar haben? Und vor allem: Nachdem der französische Abgeordnete José Bové im Parlament bereits auf diese drohende Krise hingewiesen hatte, wieso hat dann niemand darauf reagiert? Weil alle zu sehr mit dem Brexit beschäftigt waren?

Die Abweisung von zwei gewählten Volksvertretern im Parlament, in das sie gewählt wurden, ist kein kleines Ärgernis, sondern ein Skandal. Diese Situation muss schleunigst geklärt werden, denn andernfalls läuft das Parlament Gefahr, dass bis zu einer juristischen Klärung der Frage der Legalität dieses Vorgehens alle Entscheidungen des Parlaments nur unter Vorbehalt dieser Klärung getroffen werden können. Das betrifft alle aktuellen Themen – vom Brexit über die Neubesetzung der Spitzenposten bis zum Haushalt der EU. Sollte letztinstanzlich festgestellt werden, dass die Abweisung und eventuell ein späterer Ausschluss der katalanischen Abgeordneten unrechtmäßig erfolgt sei, würden alle unter Vorbehalt getroffenen Entscheidungen ungültig werden.

Die EU stolpert von einer Krise in die nächste und ärgerlicherweise, ohne die alten Krisen zuvor gelöst zu haben. Langsam türmen sich vor dem neuen Europäischen Parlament Berge auf, die nur schwer zu überwinden sein dürften. Nicht nur der Brexit, sondern auch die Frage der katalanischen Abgeordneten könnten die EU in ihren Grundfesten erschüttern. Ganz abgesehen von diesem juristischen Gordischen Knoten ist es allerdings auch eine schlichte Unverschämtheit, wie die beiden behandelt wurden. Weder wurden sie im Vorfeld informiert, noch wollten die Wachmänner des Parlaments in Brüssel schriftlich diese Zurückweisung bestätigen, noch bequemten sich die Herrn Tajani und Welle persönlich zu einer Erklärung gegenüber Puigdemont und Comin. Man kann politisch zur Frage der katalanischen Separatisten stehen, wie man will, doch das ist noch lange keine Rechtfertigung sich derartig respektlos gegenüber gewählten Volksvertretern zu verhalten. Ist das Brüsseler Europa nicht schön?

7 Kommentare zu Best of 2019 (9) – Katalane? Draußen bleiben!

  1. Michaela Klinkert // 1. Juni 2019 um 12:32 // Antworten

    Sehr guter Artikel, aber leider fehlt komplett, dass alle anderen spanischen Abgeordneten ebenfalls den Eid noch nicht abgeleistet haben und dennoch akkreditiert wurden.

  2. Georg Daemisch // 1. Juni 2019 um 18:18 // Antworten

    Gewisse Kreise in der EU versuchen das katalanische Problem konstant zu leugnen. In den deutschen Medien wird das Thema totgeschwiegen oder auf unerträgliche Weise verzerrt (Frankfurter Allgemeine) dargestellt. Wieder einmal verrät das europäische System seine Werte. Spanien ist kein demokratischer Staat mehr. Das postfrankistische System hat das Land voll im Griff und “unsere Demokraten” schweigen dazu!

  3. Juan Antonio Sanchez Gil // 3. Juni 2019 um 6:14 // Antworten

    Die Wachmaenner des Europaeischen Parlament verhalten sich als Diskothekewachmaenner und alles is OK? In Spanien (nicht nur in Katalonien und im Baskischen Land) konnte das leider seit langem als normal gesehen werden. Wird das Herz der europaeische Demokratie sich von “dieser Normalitaet” anstecken? Was fuer eine schlechte Geschichte!

    • Eurojournalist(e) // 3. Juni 2019 um 9:43 // Antworten

      Ich bin völlig einverstanden, das Verhalten des Parlaments ist absolut respektlos. Ich bin gespannt, wie die Geschichte weitergeht, denn nun steht die Legitimität des gesamten Parlaments in Frage.

  4. No dejemos fuera de foco el papel que ha jugado la corona borbónica corupta, en la cuestión de los Presos Políticos catalanes.

  5. Ramon Barniol Pericas // 14. Juni 2019 um 16:22 // Antworten

    In der Tat wird dies spannend. Manfred Weber, der designierte Ratspräsident der CSU wird hier bereits voll gefordert. Er hat bereits mit spanischen Abgeordneten der PP Verhandlungen geführt, ohne das diese überhaupt vereidigt wurden. Eine Schande. Geht schon gut los.
    Und übrigens: die spanische Verfassung verbietet nicht ein Referendum. Und der Schwur der “Separatisten”, wie sie Herr Weber tiluliert (wie Aussätzige), auf die Verfassung, erfolgt aufgrund imperativen Zwanges. Alle Abgeordneten der katalanischen Parteien haben so Ihren Schwur im spanischen Parlament geleistet.

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