Kaum vorstellbar: Frankreich wird zum Überwachungsstaat

Als Reaktion auf die Attentate von Paris, hat Frankreich reagiert. Nicht, indem es die Freiheit des Einzelnen verteidigt, sondern indem es sich freiwillig zum Überwachungsstaat macht.

Während man sich anderswo gegen die Abschaffung der Demokratie wehrt, lädt Frankreich "Big Brother" ins Haus ein. Foto: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Fein, am Dienstag haben sich das französische Parlament und der Senat auf die Endfassung eines neuen Gesetzes verständigt, mit dem Frankreich zu einem digitalen Überwachungsstaat wird, zur Inkarnation aller feuchten Träume der Abhörspezialisten und Datensammler der NSA, die, anders als die französischen Geheimdienste, gerade von ihrem Parlament und den Gerichten einen schweren Dämpfer erhalten haben. Dass ausgerechnet Frankreich, das Land der Erleuchtung, der Französischen Revolution und der Menschenrechte mit Hochdruck ein Gesetz schafft, das in den falschen Händen aus dem Land ein repressives Monster machen kann, ist mehr als erstaunlich.

Ewig lange Vorratsdatenspeicherung, deutlich erleichterte Abhöraktivitäten, Verpflichtung von Providern, die Daten ihrer Kunden zu scannen und an die Behörden weiter zu geben, weitere Erklärungspflichten der Provider gegenüber den Geheimdiensten – das ist schon ganz schön harter Tobak. Während die USA ihrer NSA gerade die Grenzen aufzeigen, schafft sich Frankreich seine eigene kleine NSA.

Erstaunlich, dass dieses hoch repressive Gesetz von einer Regierung auf den Weg gebracht wird, die sich selbst als „links“ bezeichnet. Die Geschichte der Menschheit ist dabei eindeutig – Werkzeuge der Repression haben noch nie die Sicherheit der Menschen gesteigert, wurden aber systematisch dazu eingesetzt, die jeweiligen Völker zu unterdrücken. Gerade eine sozialistische Regierung sollte das eigentlich wissen. Doch die Angst der französischen Regierung, nach den Attentaten von Paris des Nichtstuns bezichtigt zu werden, war wohl größer als die politische Vernunft.

Nicht einmal der Blick auf die USA, nicht einmal der Abhörskandal des BND beim deutschen Nachbarn, konnten die französische Regierung stoppen. Selbst Bedenken in den eigenen Reihen wurden von dem Eilverfahren weggespült – so äußerte die Staatssekretärin für digitale Angelegenheiten Axelle Lemaire, die mit diesem Gesetz naturgemäß viel zu tun hat, an verschiedenen Stellen vorsichtig Bedenken, blieb aber immer darauf bedacht, ja nicht der eigenen Mannschaft in den Rücken zu fallen.

Das neue Abhörgesetz ist in Europa einzigartig und könnte sogar dazu führen, dass Arbeitsplätze in Frankreich verloren gehen. Beispielsweise bei Internet-Providern, von denen einige bereits laut überlegen, ob sie ihre Unternehmen nicht besser ins Ausland verlagern. Denn das neue Gesetz macht sie zu Erfüllungsgehilfen der Überwachungsbehörden, was eine schwere Belastung im Verhältnis zu ihren Kunden darstellt, die sie, quasi im Auftrag der Geheimdienste und unter Verwendung vorgegebener Algorithmen, selbst zu überwachen haben. Da hätte man Verständnis, wenn diese Provider künftig ihre Dienste im Ausland und nicht mehr in Frankreich organisieren.

Der Stichtag zur Umwandlung Frankreichs in einen Überwachungsstaat, von dem man in den Chefetagen der NSA und des BND träumt, ist der 24. Juni – an diesem Tag wird formell über das Gesetz abgestimmt, doch da der zur Abstimmung stehende Text eine Gemeinschaftsproduktion von Parlament und Senat ist, ist diese Abstimmung nur noch eine Formsache.

Im Januar, direkt nach den Attentaten, hatte Premier Manuel Valls noch eindringlich vor Schnellschüssen und unter dem Eindruck des Attentate beschlossenen Notmaßnahmen gewarnt – nun, nach reiflicher Überlegung, verwandelt sich Frankreich in das europäische Land mit dem am weitest reichenden Abhörgesetz. Als ob es in Frankreich ausgeschlossen sei, dass eines Tages extreme Kräfte an die Macht kommen könnten, die solche Instrumente zur Unterdrückung von Minderheiten oder Andersdenkenden missbrauchen könnten. Nur als Hinweis – 2017 wählt Frankreich einen neuen Präsidenten und die aktuellen Umfragen sehen eine Stichwahl zwischen dem Kandidaten der konservativen „Republikaner“ (also Nicolas Sarkozy, falls diesen bis dahin nicht seine zahllosen Gerichtsverfahren eingeholt haben) und der rechtsextremen Marine Le Pen voraus. Bei der Abstimmung am 24. Juni sollten sich die Abgeordneten in der Assemblée Nationale die Frage stellen, ob sie es wirklich so gut fänden, wenn eine rechtsextreme Regierung in Frankreich über solche Instrumente verfügt. Doch diese Frage werden sich die Abgeordneten nicht stellen. Sondern brav das repressivste Abhörgesetz Europas durchwinken.

Damit darf man getrost den Begriff „Liberté“ aus der französischen Nationaldevise streichen. Und da es „égalité“ in Frankreich schon lange nicht mehr gibt, bleibt wohl nur noch die „fraternité“. Und Brüderlichkeit werden die Franzosen reichlich brauchen, sollte aus Versehen eines Tages eine Regierung an die Macht kommt, die anhand solcher Gesetze anfängt, ihre politischen Gegner aus dem Weg zu räumen. So etwas machen nämlich totalitäre Systeme. Bleibt nur, den Franzosen zu wünschen, dass sie das nicht eines Tages am eigenen Leib erfahren müssen.

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