Kein Gedenken an Oradour-sur-Glane

Zum Jahrestag eines der fürchterlichsten Massakers des II. Weltkrieg durch die SS-Panzerdivision „Das Reich“ im Dorf Oradur-sur-Glane am 10. Juni hört man aus Deutschland – nichts. Dabei ist Oradour-sur-Glane immer noch eine offene Wunde.

Heute ist Oradour-sur-Glane ein Mahnmal gegen den Krieg. Schade, dass Deutschland die Augen vor Oradour verschliesst. Foto: TwoWings / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Es war der 10. Juni 1944. Ungefähr 150 Soldaten der 3. Kompanie des zur 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ gehörenden SS-Panzergrenadier-Regiments 4 „Der Führer“ umstellte gegen 14 Uhr das Dorf Oradour-sur-Glane, das ungefähr 30 km nördlich von Limoges liegt. Eigentlich wollte das Kommando 30 Geiseln nehmen, um diese gegen den von der Résistance gefangen genommenen Bataillonskommandeur Helmut Kämpfe auszutauschen, doch dann kam ein anderer Befehl. Nämlich der Befehl, das Dorf niederzumachen. Das Gemetzel war von unglaublicher Brutalität und wurde für die Franzosen auch deswegen zu einem bis heute nicht überwundenen Trauma, da sich in dieser Kompagnie auch etliche elsässische Zwangsrekrutierte befanden, die unter der Drohung, dass ihre Familien in Falle einer Weigerung ins KZ kämen, zum Dienst in der deutschen Uniform gezwungen wurden. Doch wie kann es sein, dass an solch einem Gedenktag aus Deutschland nur eisiges Schweigen kommt?

Natürlich lebt von den damaligen Tätern keiner mehr. Natürlich ist Oradour-sur-Glane heute so etwas wie ein Mahnmal, das in dem Zustand belassen wurde, wie die SS es verlassen hatte, ein bedrückender Ort. In der Stille des Orts meint man, die Schreie der Frauen und Kinder zu hören, die in der kleinen Kirche zusammengepfercht wurden, bevor diese angezündet wurde. Bis auf eine Frau, die sich retten konnte, starben alle Frauen und Kinder in der Kirche, während die Männer und Jugendlichen alle, bis auf fünf, erschossen wurden.

An der Kirchentür hatten die SS-Mörder ein dreijähriges Kind gekreuzigt und die Leichen, die man später fand, wiesen zum Teil grauenhafte Verstümmelungen auf. 207 Kinder, 254 Frauen und 181 Männer wurden von der SS grausam ermordet, wobei die Verantwortlichen für dieses Massaker deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten, weil sie auf dem weiteren Marsch der Division über die Normandie bis in die Ukraine aufgerieben wurden und fielen.

Nur Gauck hat die Franzosen verstanden. – Die Frankreichkenner in den deutschen Verwaltungen sollten eigentlich wissen, dass „Oradour-sur-Glane“ das vielleicht am wenigsten bewältigte Kriegstrauma der Franzosen ist. 2013 hatte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck dies verstanden und trat zum Jahrestag zusammen mit Präsident François Hollande den schweren Weg nach Oradour-sur-Glane an. Er war das erste deutsche Staatsoberhaupt, das es für nötig hielt, sich vor den Opfern von Oradour-sur-Glane zu verneigen. Und heute? Heute will niemand mehr etwas davon wissen, was damals in Oradour geschah.

Diese Art der Gedächtnisarbeit ist unglaublich schwach. In einer Zeit, in der geistig Minderbemittelte wieder die Kriegstrommel rühren, Minderheiten ausgrenzen und angreifen, von nationaler Größe schwadronieren und mit Begriffen wie „völkisch“ um sich werfen, wäre es das Mindeste gewesen, das Thema „Oradour-sur-Glane“ aufzugreifen und sich gemeinsam mit den Franzosen zu verneigen. Das „Verschweigen“ von Verbrechen wie dem in Oradour-sur-Glane kommt einer Minimierung des Geschehenen gleich, wie eine zweite Schändung der Opfer, wie immer noch fehlender Respekt.

Bei all den vielen deutsch-französischen Gedächtnisveranstaltungen, ob zum I. oder zum II. Weltkrieg sollten sich die politisch Verantwortlichen in Berlin überlegen, ob sie nicht einen Schritt auf Frankreich zugehen und künftig gemeinsame Gedenkveranstaltungen in Frankreich und in Deutschland organisieren. Und sollten es die für die deutsch-französischen Beziehungen zuständigen Politiker und Politikerinnen tatsächlich nicht wissen, welche Bedeutung Oradour-sur-Glane heute noch für die Franzosen hat, dann kann man diese Personen ruhig austauschen – sie wären reine Fehlbesetzungen. Am 10. Juni 2019 sollten gleichzeitig in Berlin und Oradour-sur-Glane entsprechende Gedenkveranstaltungen organisiert werden. Dass man das sieben Jahrzehnte lang falsch gehandhabt hat, ist keine Begründung dafür, es weiterhin falsch zu machen. Mögen die Opfer dieses bestialischen Verbrechens in Frieden ruhen.

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