Kein Schweigen mehr – über Fußball!

Man darf seine Probleme nicht in sich hineinfressen. Das weiß jeder Mentaltrainer. Verarbeiten heißt das auf Neudeutsch. Das klappt, wenn man über das Wesentliche spricht. Also los, liebe Deutsche, ihr müsst reden, frei heraus, aber richtig – über Fußball.

Jammern bringt nix, Asche auf's Haupt auch nicht - wir müssen reden, Leute! Foto: Torrance / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(Michael Magercord) – Wir müssen reden. Über Fußball. Das Schweigen bringt uns nicht weiter. Was wäre früher in derselben Situation los gewesen! Zeter und Mordio! Und heute? Da verliert der Weltmeister gegen einen klitzekleinen Gegner – und immer noch wird über Flüchtlinge gestritten, als gäbe es nichts Wichtigeres.

Angesagt wäre jetzt Wunden lecken, das Suhlen in der Niederlage. Egal, ob man sie wirklich als schmerzlich empfindet oder sich gar klammheimlich freut, dass man den Schnöseln endlich mal den Hintern versohlt hat. Aber stattdessen ist allenthalben eine Unlust zu verspüren, über Fußball überhaupt noch zu reden – ganz zu schweigen übrigens von dem sich anbahnenden Preisverfall von Panini-Fußballspieler-Bildchen.

Woran liegt das? Ist es die Angst, sich Schwäche eingestehen zu müssen, wo man sich doch für unschlagbar hielt? Oder ist das im Gegenteil ein Anfall von Schwächewahn, man sich also viel schwächer fühlt, als man ist? Oder liegt es eben einfach daran, dass man über die vielen Jahre der gefühlten Stärke verlernt hat, richtig über die wichtigen Dinge vernünftig zu reden?

Also Fußball: Da sind einmal die Jungmillionäre, die mit süßen siebzehn schon nicht mehr wissen, wie viel sie auf dem Konto haben, jedenfalls mehr, als für ein Leben. Und da sind wir, die ihnen zuschauen, mitfühlen oder verhöhnen, jedenfalls nicht ohne Emotionen gegenüber treten. Solange alles super lief, ließ es sich unbeschwert quasseln: Weltmeister auf dem Platz, Weltmeister im Kopf. So leicht geht das. Aber darüber verliert man den Blick nicht nur für das Wesentliche, sondern sogar für das eigene Wesen – wer bin ich eigentlich, wenn ich Weltmeister bin?

Nichts. Ich bin nichts, wenn ich Weltmeister bin. Oder eben die schwarzweißen Jungs auf dem Felde. Doch selbst, wenn sie es nicht mehr sein werden, gibt es Redebedarf. Jetzt vielleicht auch mal darüber, ob diese überbezahlten halben Kinder nicht auch deshalb von Politik und Wirtschaft hofiert werden, um uns allen einzubläuen, dass im Leben nur Leistung zählt? Oder dieses Narrativ, der abstruse Marktwert von Spielern und ihre astronomischen Gehälter ergäben sich einzig und allein aus wirtschaftlich gerechtfertigten Umständen – soll uns dies nicht suggerieren, dass diese „Leistungsträger“ nicht wirklich besteuern darf, zumal, wenn es nur ein Staat täte, keiner von denen mehr in ihrer Liga spielen würde?

In der Niederlage liegt eine Chance: vielleicht könnte auch mal wieder eine vernünftige Neiddebatte führen. Nein, nicht so ein schwachsinnige wie bisher, wo immer nur die noch weniger zu beneidenden beneidet werden. Sondern eine richtige, Demokratie befördernde nämlich, worin diejenigen, die man wirklich beneiden kann, daran erinnert werden, endlich ihren angemessenen Beitrag zu leisten, ja: „leisten“ wohlgemerkt!

Man könnte aber auch über uns reden, wenn man über Fußball redet. Über unsere Sportmanie und unseren Ertüchtigungsdrang. Und darüber, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, der persönliche Optimierungswahn und das gesellschaftliche Auseinanderdriften. Sind da vielleicht dieselben Kräfte am Werk? Versteckt sich dahinter nicht auch eine übersteigerte Identitätssehnsucht in Zeiten, wo man meint, überall erkennen zu können, dass sich allgemeine Wertvorstellungen immer mehr verlieren?

Ja, es gibt viel zu besprechen, und wer jetzt nicht über Fußball diskutiert, verpasst die Chance, mal wieder über das zu reden, worum es wirklich geht: um uns, die wahren Weltmeister.

Hier ein Bespiel zum Reden über Fußball!

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