Keine Angst vor schrägen Tönen – MUSICA in Straßburg

Mit einer „Odyssee im Weltraum“ beginnt in Straßburg am Donnerstag das 32. Festival MUSICA – zweieinhalb konzentrierte Wochen im All der zeitgenössischen klassischen Musik mit Ausflügen in die Galaxien der Elektro-, Sakral- und Filmmusik.

Neue Musik hat auch viel mit Technologie zu tun... Foto: Musica / (c) Isabelle Meister

(Von Michael Magercord) – Immer mal wieder erhebt sich in den Kreisen der zeitgenössischen Musikschaffenden das Wehklagen, dass ihre Kompositionen und Darbietungen so selten Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit erführen, dass ihre Werke selten rezensiert werden und noch weniger für ein tieferes Verständnis geworben würde. Und nur deshalb könne die so genannte Neue Musik aus ihren festgefügten Zirkeln auch kaum herausdringen.

Ein großes Festival aber kann das zumindest für kurze Zeit ändern. So wie MUSICA in Straßburg. Nicht nur die Fachwelt, für die MUSICA eines der wichtigsten Festivals in Europa ist, und die hohe Kulturpolitik beschäftigen sich dann mit neuerer Musik. Dank der hervorragenden Präsentation der Werke und Veranstaltungen und der damit gesteigerten Aufmerksamkeit sind zudem auch die Konzertsäle gut gefüllt. Wenn sich aber die Festival-Euphorie nicht in den Alltag des Musikkonsums hinüberretten lässt, liegt das nur an mangelndem Marketing? Oder vielleicht auch an der Neuen Musik selbst?

Neue Musik ist kein feststehender Genrebegriff, und wenn er von Laien vernommen wird, oder auch den klassischen Klassik-Liebhabern, bringen sie ihn meist mit schrägen Tönen in Verbindung. Neue Musik, darunter stellen sich viele vor allem atonale Klanggebilde vor, erzeugt auf durch Kratzen und Schütteln missbräuchlich genutzten Instrumenten. Daran stimmt nur eines: Dass es nämlich oft ein ganz bestimmter Typus Neuer Musik ist, der an die Gelder aus Fördertöpfen kommt und auf öffentlich gesponserten Großveranstaltungen aufgeführt wird.

Doch Neue Musik ist vielfältiger, als es aufs erste Hören scheinen mag. Der Kampf zwischen den Schulen, der atonalen und der eher traditionellen Harmoniemustern verbundenen, tobt ja schon seit über einem Jahrhundert. Und er ist immer wieder zum Kampf zwischen Kopf und Herz erklärt worden. Wobei im Schlachtengetümmel nie ganz eindeutig ist, wer da was für sich in Anspruch nimmt. War es doch zunächst die serielle Musik, die auf knallhart durchkalkulierten mathematischen Modellen beruhte und als das Ultra des Neuen galt, so will sich das Neuste von Neusten nicht mehr intellektuell und verkopft geben. Ausgerechnet die Schöpfer von atonalen Tönen sehen darin die Verwirklichung von Herzensklängen. Verkehrte Welt? Dachten wir nicht immer, die gute alte tonale Schnulzmusik mit ihren emotionalen Anbiederungsversuchen ans Hörerohr sei das ultimativ Böse in der Neuen Musik? Oder beweist das Begriffswirrwarr letztlich nur, dass sich die Fronten in der Musikszene gerade gewaltig auflockern?

Sollte das so sein, dann zeigt sich dies auch an der Programmgestaltung der 34. Ausgabe von MUSICA, denn so streng modern und gewichtig scheint es auf dem Festival der Neuen Musik auch nicht mehr zuzugehen. Schon die Auftaktveranstaltung bietet einen Ausflug ins Weltall: Filmszenen und Musik der „Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrik mit Klassikern wie Beethoven, Strauss und Ligeti, gespielt vom Straßburger Philharmonie Orchester. Überhaupt wird etliche der neuen Musik von Filmen begleitet, Klavierimprovisationen von Zolas „Les Misérables“, ein Kammerorchesterwerk von einem „Foxtrott Delirium“ von Ernst Lubitsch.

Auch sakrale Musik, die schon so oft in der Geschichte der Musik bewiesen hat, die Symbiose zwischen Altem und Neuem am allerbesten vollziehen zu können, wird ein eigener Schwerpunkt gewidmet. Die Kulturveranstaltung ist die heilige Messe des modernen, aufgeklärtem Bürgers, sie ist die spirituelle Feier der Atheisten, die zwar um das Unerklärliche des Lebens wissen, sich aber nicht mit den Antworten einer formalen Religion zufrieden geben können. Worin könnte sich dieses unheimliche Unbekannte besser ausdrücken als in Musik? Chöre mit Werken von Bach, Pärt, Eben, Schnittke bis Steve Reich werden die „Messe des Gegenwärtigen“ feiern.

Und welche Welt ist noch gegenwärtiger als die spirituelle? Die virtuelle! Der elektronisch-digitalen Musik wird auf dem Festival ein breiter Raum gelassen, die ja – man muss es zugeben – schon selbst einigen Liebhabern der Neuen Musik zu neu ist, wenn auch es hier mit Stockhausen schon einen echten Klassiker gibt.

Natürlich gibt es bei MUSICA auch die klassichen Konzerte der Neuen Musik, zu meist in der kleinen orchestralen Form. Da werden sie dann doch wieder zu hören sein, die schrägen Töne. Doch für wie schräg ein Hörer diese Töne schließlich hält, wird ein jeder für sich entscheiden müssen. Eines aber ist gewiss: nach einem doch eher etwas durchwachsenen und anstrengenden Festival im letzten Jahr, verspricht diese Ausgabe von MUSICA eine weit größere Bandbreite an Musikarten und Kompositionsstilen abzudecken und breiteres Publikum ansprechen zu wollen – genauso, wie es sich für ein richtiges Festival gehört.

Weitere Informationen zu Programm und Tickets finden Sie hier.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste