Keine falsche Bequemlichkeit bitte!

Gastbeitrag des früheren Bürgermeisters von Offenburg, Dieter Eckert. Eine Betrachtung dessen, was unter dem neuen Präsidenten Joe Biden auf Europa zukommt.

Beste Laune im Biden-Clan und auch in Europa. Doch die transatlantischen Beziehungen werden sich ändern, so oder so. Foto: The United States Senate - Office of Senator Kamala Harris / Wikimedia Commons / PD

(Von Dieter Eckert) – Wenn nicht noch irgendwo eine Bombe platzt oder ein Putsch inszeniert wird, heißt der Sieger der US-Presidentials Joe Biden. Die Reaktionen kreuz und quer durch Europa, lassen jenseits der erforderlichen Etikette Freude, wenigstens aber Erleichterung erkennen. Diese positiven Reaktionen und Gefühle dürfen aber Eines nicht vergessen lassen: Die Zeit mit Biden und Kamala Harris dürfte alles andere als bequem werden.

Joe Biden steht für einen Stil, den die alten Römer mit der Redewendung „suaviter in modo, fortiter in re“ umschrieben haben. Europa darf sich also darauf einstellen, dass der neue Mann im Weißen Haus zu einem verbindlichen, diplomatischen Gepflogenheiten entsprechenden Stil zurückkehren wird und Multilateralismus nicht als Teufelswerk, sondern als Chance betrachtet. Er selbst hat sich in seiner langen Laufbahn immer wieder mit Europa beschäftigt und in seiner Umgebung gibt es einige ausgewiesene Europa- und auch Deutschlandkenner. Allerdings muss der neue Präsident natürlich auch den Erwartungen seiner Wählerschaft entsprechen. Und das wiederum bedeutet, dass er die Interessen Amerikas sehr deutlich vertreten muss, vor allem, wenn ihm in den nächsten Jahren Donald Trump mit seiner Isolationisten-Truppe im Genick sitzt. Aber auch in den Kreisen demokratischer Wähler, und das wird bei uns gerne übersehen, ist Europa alles andere als das große Vorbild, als das man sich hier gerne betrachtet. Vielmehr ist eine zunehmend kritische Sicht des „alten Kontinents“ in den Vereinigten Staaten weit verbreitet

Für viele Amerikaner sind die Europäer und die Europäische Union zunächst mal schlicht ein zerstrittener Haufen. Diese Diagnose ist leider zutreffend und wird dadurch nicht besser oder schlechter, dass die amerikanische Gesellschaft selbst tief zerstritten ist. In der Logik faktenbasierter, nüchterner Außenpolitik, die in den USA herkömmlicherweise gepflegt wird, heißt das, dass die EU entweder als ein unzuverlässiger Kandidat behandelt wird oder dass man versucht, die einzelnen Partner gegeneinander auszuspielen. Vor allem für die Sicherheits-, aber auch für die Handelspolitik, in beiden Fällen nicht zuletzt die Haltung gegenüber China und Russland, lässt das nichts Gutes ahnen und die nach wie vor sehr schwache Position des Außenbeauftragten ändert daran nichts. Entweder die Europäische Union entscheidet sich, einheitlich und durch eine mit robustem Mandat ausgestattete Stimme zu sprechen oder sie riskiert, weiterhin als zerstrittener Haufen wahrgenommen und möglicherweise abgetan zu werden.

Verteidigungsausgaben sind in Teilen der EU, vor allem in Deutschland ziemlich unpopulär -  Donald Trump hat deshalb mit seinem ständigen Insistieren auf einen angemessenen finanziellen Beitrag zur NATO nicht nur eine Schwachstelle in der europäischen Verteidigungspolitik, sondern auch einen wunden Punkt in den Seelen vieler Deutscher getroffen. Den dahinterstehenden Konflikt in der Seele vieler Amerikaner hat mir eine inzwischen verstorbene Tante, die seit Anfang der 1950er Jahre in den USA lebte, bereits 1998 folgendermaßen erklärt: „In Amerika treffen Zinksärge mit toten Jungs von Kriegsschauplätzen ein, auf denen zumindest auch die Interessen der Europäer verteidigt werden. Glaubt ihr in Deutschland wirklich, die Väter und Mütter dieser Jungs finden es lustig, wenn zur selben Zeit auf Demonstrationen bei Euch das ‚Star Spangled Banner‘ verbrannt wird?“. In dieser Disparität kann es nur zu Missverständnissen kommen. Betrachtet man die Problematik hingegen nüchtern, führt an einem erhöhten Verteidigungsbeitrag der europäischen Nato-Mitglieder, allen voran Deutschlands nicht vorbei. Dasselbe gilt für Investitionen in die jeweiligen nationalen Streitkräfte und die Intensivierung supranationaler Führungs- und Kommandostrukturen. Auch unter einem Präsidenten Biden wird gelten, dass die Friedensdividende aufgebraucht ist und man über Fristen, Modalitäten und Gesichtswahrung wird reden können, nicht aber über substantielle, eigene Verteidigungsanstrengungen der Europäer.

Die wirtschaftliche Zukunft der USA liegt im pazifischen Raum – dieser Leitlinie folgt die amerikanische Politik spätestens seit Barack Obama. Neben der schieren Wirtschaftskraft der dortigen Staaten hängt das nicht zuletzt damit zusammen, dass man in vielen Feldern, nicht zuletzt was Innovationsförderung und Freihandel anlangt, im Grundsatz dieselbe Sprache spricht. Trotzdem ist und bleibt die Bedeutung der Vereinigten Staaten als Wirtschafts- und Handelspartner für die Staaten der Europäischen Union unbestritten. Die Frage ist nur, ob das so bleibt und wenn ja, ob wir eher ein Markt sind oder Märkte beliefern werden. Auch hier hilft eine ganz nüchterne Betrachtungsweise. Als Markt werden die vergleichsweise wohlhabenden Staaten der Europäischen Union noch lange Zeit interessant, weil lukrativ bleiben. Etwas völlig anderes ist die Frage, wie lange wir ein interessanter Partner für „joint ventures“ bleiben, insbesondere bei avancierten Technologien und ob wir bereit sind, wirtschaftliche und politische Partnerschaft zusammenzudenken – auch mit Blick auf die vielbeschworene Wertegemeinschaft. Auch hier ist ein Höchstmaß an Einigkeit gefordert, wenn wir auch künftig das volle ökonomische Potential der 26 gegenüber den USA zum Tragen bringen wollen.

Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass auch das künftige transatlantische Verhältnis keineswegs konfliktfrei sein wird und wir uns von manchen lieben Gewohnheiten werden verabschieden müssen. Wollen wir auf erneuerter Grundlage gedeihlich mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten, gilt es eine ganze Reihe von Baustellen zu bereinigen und der neuen Regierung nüchtern und vor allem einig gegenüberzutreten und sich zur Not von liebgewonnenen Gewissheiten zu verabschieden. Also: Keine falsche Bequemlichkeit bitte!

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