Keine Pferdeäpfel in Afrika

Auf dem G20-Gipfel wird die neue Partnerschaft der Industriestaaten mit Afrika vollzogen: „Compact with Africa“ heißt der Plan der deutschen G20-Präsidentschaft, mit dem die Voraussetzungen geschaffen werden sollen, private Investitionen in den Schwarzen Kontinent zu locken. Das Ziel: Arbeitsplätze schaffen und die Menschen davon abhalten, sich nach Europa aufzumachen. Wie realistisch ist dieser Plan? In zwei Hintergrundgesprächen mit Experten leuchtet der Eurojournalist seine Chancen und Gefahren aus. Das zweite Interview lesen Sie morgen ebenfalls hier.

Interview mit Mark Weston zur Frage, was der G20 in Afrika bewirken kann. Foto: Zero Books

(Von Michael Magercord) – Afrikas Wachstumsraten sind beeindruckend, aber die Armutsraten weisen trotzdem nicht nach unten. Die so genannte „Pferdeäpfel-Theorie“, wonach die Brosamen des rasant zunehmenden Wohlstandes der oberen Zehntausend schließlich die unteren Millionen ernähren, scheint sich auch in Afrika als pure Illusion zu entpuppen. Mark Weston, britischer Politikberater und Autor des Buches „The Ringtone and the Drum“ (Klingelton und Buschtrommel), konnte dafür in seinen jahrelangen Aufenthalten in unterschiedlichen Regionen Afrikas bislang keinerlei Anzeichen erkennen. Aber er sah einen neuen Akteur im postkolonialen Afrika, der durchaus „a difference“ macht.

Wie realistisch ist der Plan, Investitionen nach Afrika zu locken? Sind die Bedingungen schon reif dafür, etwa produzierendes Gewerbe nach Afrika zu verlagern? Und gäbe es einen Markt für deren Produkte?

Mark Weston: China investiert bereits sehr intensiv und bereitet den Weg für zukünftige Investitionen, indem die Chinesen den Zustand der Infrastruktur massiv aufbessern. Deren schlechter Zustand hatte bisher Investoren von dem Kontinent abgeschreckt. Wo immer man heute schaut, überall bauen Chinesen Straßen, Häfen und Eisenbahnstrecken. Afrika könnte etwa ein sehr billiger Produzent von Nahrungsmitteln werden, wo doch die Arbeitskräfte und der Boden reichlich und günstig zu haben sind. Aber der Aufwand, die Produkte auf den Markt zu bringen, machen jeden Kostenvorteil zunichte. Für das produzierende Gewerbe bleibt in den meisten Ländern die unzuverlässige Stromversorgung ein Problem. Bisher scheint der Agrarsektor der vielverspechendste Weg zu sein für Afrika – die Industrialisierung ist noch ein ferner Traum. Aber da der Faktor Arbeit in China immer teurer wird, wird Afrika einen Wettbewerbsvorteil erlangen, solange die Arbeitskosten so günstig bleiben. Es ist durchaus möglich, dass China mit der Verlagerung der Produktion nach Afrika beginnen wird, sobald sich die Infrastruktur verbessert hat. Und es gibt in Ländern wie Äthiopien erste Anzeichen dafür, dass der Prozess bereits begonnen hat.

Ist der neue Ansatz der Kooperation zwischen Europa und Afrika wirklich “neu”? Oder wird es doch nur wieder eines dieser Tauschgeschäfte nach dem altbekannten Muster sein: billigste Rohstoffe gegen ein wenig Entwicklungshilfe?

MW: Nein, das ist kein wirklich neuer Ansatz. Und dieser erneute Anlauf scheint eher eine Antwort auf das gestiegene Interesse Chinas an Afrika zu sein. China ist sehr an den Rohstoffen Afrikas interessiert, Europa ebenso. Erst wenn aber das neue Geschäftsmodell darin bestünde, dass einige der Hürden für den Import afrikanischer Güter in Europa beseitigt werden, wie etwa die Zölle oder Subventionen für jene Güter, die mit afrikanischen Produkten direkt konkurrieren, und zudem Reisebeschränkungen aufgehoben werden, dann wäre das wirklich neu und hätte das Potenzial, einen echten Neuanfang in den Beziehungen einzuläuten. Allerdings sieht es danach derzeit überhaupt nicht aus, denn die Agrarlobby und die Interessenvertreter anderer Industrien in Europa verfügen einfach über eine zu große politische Macht.

Wer könnte in Afrika überhaupt von einem verstärkten wirtschaftlichen Austausch mit Europa und der Welt profitieren? Alle Regionen gleichsam oder nur einige wenige Staaten? Die gesamte Bevölkerung oder nur die “happy few”?

MW: Es gibt bisher keinen Hinweis darauf, dass es in Afrika zu einem “trickle-down”-Effekt kommt. Die beeindruckenden Wachstumsraten des Bruttosozialproduktes von jährlich 6-7% haben sich nicht in einer Senkung der Armut niedergeschlagen. An den Früchten des Wachstums erfreut sich nur eine kleine Schicht von reichen Leuten, die meist gute Beziehungen zu den politischen Führern haben. Je mehr die junge Bevölkerung auf dem ganzen Kontinent rasant zunimmt und je mehr die modernen Kommunikationsmittel den jungen Leuten das Bewusstsein dafür schärfen, wie sehr sie von ihren Führern verschaukelt werden, desto größer wird das Risiko, dass die anwachsenden Ungleichheiten soziale Unruhen auslösen werden. Diese aber würden die Bedingungen für Investitionen nur weiter verschlechtern und die Instabilität verschärfen.

Wäre es überhaupt möglich, eine Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen den Industriestaaten und Afrika zu entwickeln? Stehen der nicht auch die enormen kulturellen Unterschiede im Wege?

MW: Es ist möglich, wie Südostasien gezeigt hat. Aber der geringe Bildungsstand in weiten Teilen Afrikas führt dazu, dass die westlichen Geschäftsleute und Verhandlungsführer immer einen Wissensvorsprung haben, den sie zum Nachteil der gewöhnlichen Afrikaner ausnutzen. Im Ergebnis bekommen die Afrikaner immer den schlechtesten Deal, aus dem auf der afrikanischen Seite nur jene Mächtigen, die seinen Abschluss erleichtern, ihren Nutzen ziehen.

Machen es die Chinesen nicht richtig? Sie investieren in ihre zukünftigen Interessen und schon jetzt verkaufen sie den Afrikaner einfache alltägliche Güter, die jeder Afrikaner wirklich braucht, sei es ein Stück Seife oder ein einfacher Sonnenkollektor?

MW: Einige sehen in den chinesischen Investitionen einen Segen, andere eine Bedrohung – für beide Einschätzungen lassen sich gute Argumente finden. Was auch immer die Chinesen beabsichtigen: wenn sie schließlich damit beginnen, arbeitsintensive Industrien in Afrika aufzubauen, kann das eine bedeutende positive Veränderung auf dem Kontinent bewirken, wo die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung grassiert, und wo das bei weitem größte Problem der wachsenden Gruppe junger Leute das Fehlen von Arbeitsplätzen darstellt.

Wäre es nicht besser für Afrika, genau das Gegenteil zu anzustreben: Die eigenen Märkte abschotten, eigene Güter des täglichen Bedarfs herstellen und nur noch lokale Waren konsumieren? Oder ist das einfach völlig unrealistisch, ein ferner Traum einiger Intellektueller – Afrikanern ebenso wie weißen Gutmenschen?

MW: Ausländische Billigwaren sind in Afrika sehr beliebt – niemand beschwert sich darüber, wenn er ein gutes T-Shirt von der Altkleidersammlung aus Europa für 30 Cent kaufen kann, anstatt in Lumpen herumlaufen zu müssen. Der Schlüssel zum Erfolg ist es, die Produktionsleiter hinaufzuklettern. Japan, Südkorea, Malaysia und Singapur, die Südostasiatischen Tigerstaaten – sie alle haben ihren Aufstieg damit begonnen, einfache und billige Güter für den Export herzustellen, wobei sie sich auf ihre günstigen Arbeitskosten und gut ausgebildeten Arbeitskräfte stützten. Obwohl Afrika nicht dieselben Bildungsstandards hat wie Asien, beginnt China damit, den Afrikanern zu helfen, auf die unterste Stufe dieser Leiter zu steigen, genauso wie Japan einstmals Korea dabei half. Wenn Afrika zunächst ein effizienterer Nahrungsmittelprodukteur würde, unterstützt durch die Beseitigung von Handelsschranken der G20-Staaten, und wenn es dann einen Schritt weiter geht und niederwertige, aber doch verarbeitete Güter und nicht nur Rohstoffe exportiert, dann könnte Afrika den Weg eingeschlagen, den die asiatischen Tiger so erfolgreich beschritten haben.

Weitere Informationen zu Mark Weston, Dokumente und Studien:
http://www.markweston.net/

Buchhinweis:
“The Ringtone and the Drum”, Mark Weston
Reisen in den ärmsten Ländern der Welt (Englisch)
http://www.zero-books.net/books/ringtone-and-drum-travels-worlds-poorest-countries

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