Keiner wird schlafen – Puccinis Turandot in der Rheinoper

Die letzte Oper vom Großmeister Giacomo Puccini ist auch die letzte Oper in dieser Saison in der Straßburger Rheinoper. Noch einmal ein Fest der opulenten Bühnenpracht im prachtvollen Saal des prächtigen Gebäudes am Broglieplatz.

Gut Lachen im Rachen des Drachen? Ob sich das doch so schöne, aber eben auch unersättliche Untier, das in Puccinis letzter Oper durch eine Prinzessin dargestellt wird, schließlich an seiner Beute verschlucken wird? Foto: Illustration von Laura Junger, OnR

(Michael Magercord) – Zum Henker nochmal! Wer in die Fluchweite der Prinzessin Turandot gerät, um den ist es schlecht bestellt. Den Kopf, den so mancher Prinz in der Aussicht, die ebenso schöne wie unnahbare Dame zu ehelichen, ohnehin schon verloren hatte, landet wenig später im Korb unter dem Schafott des Henkers. Denn drei Rätsel muss ein Bewerber lösen, um die Hand der unwilligen Prinzessin zu erlangen, scheitert er, war’s das.

Wieder einmal war es einem Freier nicht gelungen, die Rätsel zu erraten, zum Auftakt der Oper wird der Prinz von Persien zur Enthauptung gebracht – und das Volk von Peking, wo sich das grausige Dauerdrama bis zur letzten Konsequenz immer und immer wiederholt, schaut in der Erwartung auf die nächste Vorstellung erheitert zu.

Heutzutage sind wir ja eher nüchtern und es scheint unbegreiflich, dass sich überhaupt nochmals irgendwer finden sollte, der sich unter diesen Bedingungen auf das tödliche Spiel einließe. Aber die Opernbühne erlaubt uns ja auf ihre Weise einen Blick in ihre eigene und so manches Mal uns bereits ziemlich fremde Welt. In der findet sich natürlich eben doch noch so mancher Kandidat, und natürlich auch schon bald einer, dem es gelingen wird, die Rätsel zu lösen. Und natürlich wird es damit noch lange nicht sein Bewenden haben, denn der Prinzessin fällt noch was Neues ein. Allerdings wird sie dabei nun selbst vom gewieften Bewerber vor eine Aufgabe gestellt, die sie mit nicht ganz zulässigen Mitteln erfüllen will, um den aufdringlichen Kerl doch noch loszuwerden.

Wie wird das Drama schließlich ausgehen? So richtig wusste bei Beginn seiner Arbeit nicht einmal der Komponist, wie sich das Ende seiner Oper gestalten soll. Allerdings kam Puccini auch gar nicht mehr dazu, für den Abschluss zu sorgen. Bei einer Krebstherapie in Brüssel starb der Meister und sein nunmehr letztes Werk haben andere zu Ende geführt. Der Kollege Franco Alfano setzte die noch fehlenden Szenen in Musik, in der ein finaler Kuss der beiden sich letztlich eben doch noch herzlich zugetanen Protagonisten zum Klingen gebracht wurde. Der Dirigent Arturo Toscanini verkürzte vor der Uraufführung 1926 die zusätzlichen Melodiebögen erheblich, sein Ende sollte doch besser zeitgemäß dramatisch sein. Bald acht Jahrzehnte später machte sich Luciano Berio an ein neues Ende, das den aufgezeichneten Ideen Puccinis näher kommt. Und in der Aufführung der Rheinoper wird eine Version erklingen, die jetzt ganz und gar der ursprünglich angedachten Schlusslage entsprechen soll – und damit ein seinerzeit hochmodernes offenes Ende erlaubt, der ja auch der Regisseurin Emmanuelle Bastet einen größeren Spielraum für die Rätsel, die sie schließlich uns Zuschauern mit auf den Weg ins echte Leben geben möchte, belässt.

Auch musikalisch soll dem Wunsch des Komponisten entsprochen werden und die Schlüsselarie des Werkes am Ende noch einmal aufklingen: „Nessun dorma“, Niemand schläft, gilt heute als eine der Opernmelodien, die fast jeder mitpfeifen kann, auch wenn man sich das beim Opernbesuch besser verkneifen sollte. Dann lieber bei diesem Video, in dem mithilfe dieser Arie ein Postangestellter zum Gesangsstar aufsteigt, mitsingen.

Zumal wir mit dieser Melodie in die Sommerpause entlassen werden. Im Herbst steht eine neue Saison an, die wegen der immer klammer werdenden Kassen etwas abgespeckt ist, aber nichtsdestotrotz sowohl Altbekanntes – etwa Wagners „Lohengrin“ – und Neues – wie einen „Don Giovanni in der Hölle“ – der Entdeckung preisgibt. Noch liegen die Zahlen für die laufende Spielzeit ja nicht vor, aber im Opernjahr 2022 konnte Straßburg sogar mehr Zuschauer in ihren prachtvollen Saal locken als 2019, dem letzten „normalen“ Jahr vor Corona. Das ist umso beachtlicher, als die Häuser auf der anderen Rheinseite nach wie vor Rückgänge verzeichnen.

Ob es auch daran liegt, dass man hierzulande eine meist eben doch ganz gut gelungene Mischung aus Vertrautem und Gewagtem geboten kriegt und sich darauf verlassen kann, nicht allzu sehr von den Marotten selbstbezogener Bühnendiktatoren und -innen malträtiert zu werden? Oder tragen auch die Putten und Göttinnen an den Galerien und unter der Decke des Operngebäudes ihren Teil an der gelungenen Opernatmosphäre bei?

Turandot – Oper von Giacomo Puccini aus dem Jahr 1926.
Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach Carlo Gozzi
Eine Neuproduktion der Rheinoper Straßburg

Dirigent: Domingo Hindoyan
Regie: Emmanuelle Bastet
OPS, Chor und Kinderchor der OnR und Chor der Oper Dijon

Opéra Straßburg
FR 9. Juni, 20 Uhr
SO 11. Juni, 15 Uhr
DI 13. Juni, 20 Uhr
DO 15. Juni, 20 Uhr
SA 17. Juni, 20 Uhr
DI 20. Juni, 20 Uhr

La Filature Mülhausen
SO 2. Juli, 17 Uhr
DI 4. Juli, 20 Uhr

Tickets und Information: www.operanationaldurhin.eu

Weitere Veranstaltung in der Rheinoper:

Un air d Italie – Mittagskonzert des OPS
Streichquartett mit Werken von Mozart, Puccini, Wolf und Debussy

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste