Klassiker der Modernisierung – Ballett von William Forsythe in der Rheinoper
Das erste Ballett des Jahres der elsässischen Rheinoper OnR widmet sich einem Klassiker der Schönheit der geordneten Bewegung. Im Straßburger Nationaltheater TnS hingegen geht es um den Alltag im politischen Chaos. Vom Überleben im festgefügten Raum handeln beide.

(Michael Magercord) – Bevor über die Ballettaufführung oder Theaterstück sprechen werden, die auf uns zukommen werden, erfolgt eine Rückschau, die aber – nicht anders als in der Politik, ein Blick in die Geschichte – quasi als Vorschau auf das Kommende dienen kann.
Ach wie schön war es doch damals im Dezember letzten Jahres, als der „Nussknacker“ unter der schönen Ballettmusik von Peter Tschaikowsky mit der kleinen Klara die Mäuse unterm Weihnachtsbaum in Schach hielt. So viele schönen choreografischen Einfälle und Kostüme, wie etwa das vielarmige kunterbunte Spiralröhrenmonster, das klobig und gleichsam elegant über den ganzen Bühnenraum krakte… Da freut man sich schon auf das nächste Tanzereignis, zumal noch die Erinnerung an die hochklassige Choreografie von Hélène Blackburn zu Strawinskys „Noces“ am Anfang der Saison in uns wacht.
Und nun vor kaum einer Woche das Musikschauspiel „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen und Edvard Grieg. Seine konzertante und theatrale Version weist noch weiter in die Zukunft. Denn zum ersten Mal wurde ein kompletter Opernabend ausschließlich mit dem in Straßburg und Mülhausen ansässigen Personal gestaltet, ohne zusätzliche Kräfte anzuheuern: der Chor war der Hauschor der Rheinoper; die Solisten und Schauspieler wurden aus den Nachwuchsschmieden des Opernstudios und des Straßburger Nationaltheaters TNS rekrutiert; und die ortsansässige Straßburger Philharmonie unter ihrem Stammdirigenten Aziz Shokhakimov diente als Klangkörper.
Die Leistung der örtlichen Kräfte konnte sich hören und letztlich sogar auch sehen lassen, zumal kleine Effekte – wie der bewusste Einsatz von kompletter Stille – ihre große Wirkung in dem vom Orchester besetzten Bühnenraum entfalten konnte. Eine zauberhafte Vorstellung ohne modernistische Entzauberung. Wenn man ganz fies wäre, könnte man gar behaupten, dass gerade, weil keine absurde Inszenierung das Werk in irgendeine -ismus-Ecke drängte, die musikalische Seite besonders stark wirkte.
Aber so fies wollen wir ja nicht sein und der Interpretationskunst zugestehen, alten Werken neue Gewänder zu verpassen. Wenn auch so manches Mal die Pferde bei dem ein oder anderen Regietheaterregisseur und natürlich auch den -innen durchgehen mögen, so werden die älteren Opernklepper hierzulande, sprich auf der Straßburger Seite des Rheins, ja in der Regel noch im gut verträglichen Maß neu gesattelt – was erst im Januar mit dem weitgehend gelungenen Perspektivwechsel weg vom Hauptprotagonisten hin auf seine drei Geliebten bei der Inszenierung von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ bewiesen wurde.
Mit Peer Gynt hatte man für die sparsame Version ein Meisterwerk zur Hand, aber immerhin deutet der Umstand seiner sparsamen Darstellung auf Möglichkeiten für die Zukunft. Die Kassen der Opernhäuser bleiben klamm und werden gar noch klammer, da gilt es die Ausgaben zu reduzieren. Und außerdem wird das große Straßburger Haus ab der Saison 26/27 für mindestens drei Jahre renoviert. Die angedachten Ausweichquartiere bieten nur eingeschränkte technische und platzliche Ausstattungen, die gilt es dann so gut zu nutzen wie es geht, warum also nicht genauso wie mit „Peer Gynt“?
Ein Rätsel allerdings ist, warum nur drei Aufführungen erfolgt sind? Die waren natürlich allesamt ausverkauft und man hätte den Saal wohl mindestens noch ein weiteres Mal füllen können. Die Lösung ist so einfach wie traurig und offenbart gleichsam die Paradoxie des subventionierten Kulturbetriebs: Jede Aufführung eines Opernhauses ist ein Verlustgeschäft, jede zusätzlich könnte gar den Bankrott bedeuten.
Das war sie also, unsere Vorschau in Form der Rückschau. Nun steht ab Donnerstag nächster Woche das neue Ballett der Rheinoper an, wo drei ältere Werke eines Altmeisters des erneuerten klassischen Balletts auf die Bühne gebracht werden. Der gebürtige New Yorker und langjährige Frankfurter William Forsythe gilt als bühnenraumgreifender Befreier der Gliedmaßen der Tänzer, obgleich seine Choreografien sich streng an mathematischen Mustern ausrichten und vielleicht gerade, weil sie ein gerütteltes Maß der geordneten Bewegung im Raum beibehalten, ihre sinnliche Wirkung vollends entfalten. Der 75-jährige Forsythe hat sogar sich selbst der raumgreifenden Ordnung anvertraut, als er 2023 seinen Vorlass aus viertausend Videos und vierzig Regalmetern an Aufzeichnungen dem Archiv des „Zentrums für Kunst und Medien“ in Karlsruhe übergab.
Ab Dienstag übrigens kann man eine andere Art des Umgangs mit dem beengten Raum auf zweierlei Art im Nationaltheater von Straßburg nacherleben, und zwar bei dem Einmann-Stück „And here I am“ von Hassan Abdulrazzak. Sein Stück erzählt die Geschichte von Ahmed Tobasi, der Theaterdirektor in Djenin im Westjordanland war und heute Bühnenautor im norwegischen Exil ist. Laut Beschreibung soll in der guten Stunde der Versuch unternommen werden, die jugendliche Suche nach dem wahren Leben in dem beengten Raum eines Flüchtlingslagers „fern aller Klischees der aktuellen Gegenwart“ zu beschreiben. Wir dürfen gespannt sein, ob diese hohe und hehre Aufgabe auf einer kleinen Theaterbühne zu erfüllen sein wird. Doch wo sonst, wenn nicht dort, gäbe es in diesen aufgewühlten Zeiten eine Chance, dem über sieben Jahrzehnte eingeübten Militantismus beider Seiten mehr als eine Rückschau, die doch nur zu einer weiteren traurigen Vorschau würde, entgegenzusetzen – möge diese Chance wenigstens hier, fern vom eigentlichen Konfliktfeld, nicht vertan werden.
William Forsythe – drei Choreografien
Ballett der Rheinoper
„Quintett“, „Trio“ und „Enemy in the Figure“
Opéra Straßburg
DO 27. Februar, 20 Uhr
FR 28. Februar, 20 Uhr
SA 1. März, 20 Uhr
SO 2. März, 15 Uhr
Mülhausen La Filature
FR 14. März, 20 Uhr
SO 16. März, 15 Uhr
Tickets und Information gibt’s hier!
Folgende Veranstaltung der Rheinoper:
Lyrische Stunde – Koreanische Lieder
Ein besonderes Programm zur frühen Mittagsstunde: Vier Sänger des Chores der Rheinoper aus Korea bieten Lieder aus ihrem Heimatland – vom tradierten Volkslied bis ins Heute.
SA 8. März, 11 Uhr, Salle Bastide, Oper Straßburg
La Traviata – Oper von Giuseppe Verdi
Die folgende Opernaufführung ertönt, wenn es bereits Frühling ist.
Ab MO 24. März sieben Mal in Straßburg, Mitte und Ende April in Colmar und Mülhausen
And here I am
Theaterstück für einen Schauspieler (auf Französisch)
von Hassan Abdulrazzak
TnS Strasbourg – Salle Gignoux
Ab DI 25. Februar bis 7. März täglich um 20 Uhr,
außer SA 1. März um 18 Uhr
Sonntag, 2. März keine Aufführung.
Tickets und Information gibt’s hier!
Nächstes Stück im TnS:
Le Rendez-vous - von Katherina Volckmer
Eine junge Deutsche erzählt von ihrer Geschlechtsumwandlung
Von 11. bis 22. März im Salle Koltès
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