Können Grenzschließungen die Flüchtlingszahl reduzieren?

In ganz Europa gehen die Grenzen zu. Die „Balkan-Route“ ist inzwischen faktisch gesperrt, Österreich schottet sich gegen alles ab, was aus dem Süden kommt. Was für eine Heuchelei!

Und wenn sich Europa ganz mit solchen Zäunen wie hier in Melilla einzäunt - das Elend wird man trotzdem nicht ausblenden können. Foto: Angel Gutierrez Rubio / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die Tagesschau hat darüber berichtet – Mazedonien hat seine Grenze zu Griechenland geschlossen und lässt bereits keine Afghanen mehr weiter in Richtung Westeuropa reisen. Nachdem die „Visegrad“-Staaten ebenfalls ihre Grenze für Flüchtlinge geschlossen haben, Österreich die Kontrollen wieder eingeführt und die Anzahl der täglich entgegen genommenen Asylanträge auf 80 beschränkt hat (zum Vergleich – alleine am letzten Donnerstag kamen 4824 Flüchtlinge in Griechenland an…), freut sich halb Europa darüber, dass man endlich, endlich die Flüchtlingswelle in den Griff bekommt. Doch das ist ein Trugschluss – die einzigen, die sich über diese europäische Grenzschließung freuen können, sind diejenigen, die angeblich von der EU bekämpft werden – die kriminellen Schlepper. Alleine in Libyen sollen über 200.000 Menschen auf eine Gelegenheit warten, eine Nussschale in Richtung Europa besteigen zu können. Das Sterben im Mittelmeer geht also weiter.

So lange die Bombardierung des Nahen und Mittleren Ostens weitergeht, so lange die Zivilbevölkerung in Ländern wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan durchgeknallten Terrormilizen, durchgeknallten Staatschefs und westlichen und russischen Bombenteppichen ausgesetzt ist, so lange werden Menschen aus diesen Ländern versuchen, ihr Leben und das ihrer Familien zu retten, indem sie flüchten. Was irgendwie logisch ist, denn man kaum erwarten, dass jemand unter dem Bombenhagel ausharrt, weil er Verständnis dafür hat, dass sich diejenigen Länder, die diese Bomben werfen, so große Schwierigkeiten haben, sich darüber zu verständigen, wie sie mit der Situation umgehen sollen.

Dass es einen Zusammenhang mit Krieg, Bürgerkrieg und Bombardierungen und der Flüchtlingswelle gibt, ist offenkundig und logisch. Darauf hatte sogar Angela Merkel im Bundestag hingewiesen, als sie davon sprach, dass man zur Senkung der Flüchtlingszahlen wohl oder übel etwas gegen die Ursachen dieser Flüchtlingswelle unternehmen müsse. Und dafür sind Grenzschließungen ein denkbar ungeeignetes Mittel. Das einzige, was sie bewirken, ist nicht etwa, dass die Kriegsopfer enttäuscht weiter unter dem Bombenhagel ausharren, sondern dass sich die flüchtenden Menschen eben andere Fluchtwege suchen. Und an dieser Stelle beginnt eine seltsame Komplizenschaft zwischen der Europäischen Union und den kriminellen Schlepperbanden, die in Nordafrika glänzende Geschäfte machen, in erster Linie dank der EU, die sich nach wie vor weigert, den schon lange geforderten „sicheren Korridor“ einzurichten und damit die Preise der Schlepper weiter in exorbitante Höhen treibt.

Vollmundig zu erklären, man wolle den Schlepperbanden das Handwerk legen, sogar vom „Krieg gegen die Schlepper“ zu sprechen, ist nackter Zynismus. Die EU führt keinen Krieg gegen die Schlepper, sondern sorgt dafür, dass deren Geschäfte besser laufen als je zuvor. Wie gesagt, 200.000 Menschen warten an der lybischen Küste darauf, dass sie ein Schiff in Richtung des „gelobten Kontinents“ besteigen dürfen. Was einzig daran liegt, dass sie keine andere Möglichkeit haben, nach Europa zu kommen.

Durch die aufheizenden Politikeransagen ist mittlerweile selbst im Land der „Willkommenskultur“ die Atmosphäre vergiftet. Asylbewerberheime brennen, Flüchtlinge werden angegriffen, die Gewalt der Straße erreicht inzwischen stellenweise Pogromcharakter. Da kommen die Grenzschließungen als genau falsche Maßnahme zum genau falschen Zeitpunkt. Sie werden nicht dafür sorgen, dass sich weniger Flüchtlinge auf den Weg in die vermeintliche Sicherheit aufmachen, sondern sie werden höchstens dafür sorgen, dass noch mehr Menschen im Mittelmeer sterben.

Dass Europa als einzige Antwort auf die Problematik im Mittleren und Nahen Osten, an der auch Europa mit seinen wirtschaftlichen Interessen beteiligt ist, die Abschaffung des humanistischen Europas findet, ist jämmerlich. Das Problem in Europa wird immer deutlicher – es sind nicht die Europäerinnen und Europäer, die nicht das Format für ein geeintes, solidarisches und humanistisches Europa haben, sondern Partei-Apparatschiks, denen keine Krise zu schade ist, um nicht als Werkzeug im kleinkarierten Kalkül persönlicher Interessen ausgeschlachtet zu werden. Man kann es gar nicht oft genug sagen – geht zu den Wahlen und stimmt endlich nicht mehr für diejenigen, die all dieses Elend zu verantworten haben. Und bitte auch nicht für diejenigen Extremisten, die meinen, die Situation ausnutzen zu müssen, um wieder totalitäre Systeme einzuführen. Der einzige Weg, die Katastrophen des letzten Jahrhunderts nicht zu wiederholen, führt zwangsläufig über die Wahlurnen. Daran sollte man denken, bevor man wieder einmal nicht abstimmen geht.

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