Körper betont – Festival Musica 2019

Neuer Direktor, neue Ausrichtung? Bei Musica, dem Straßburger Festival für neue Musik, ist in diesem Jahr vieles neu. Doch auch die Zuschauer? Junges Publikum soll mit neuen Formen und Formaten erschlossen werden. Ob’s klappt? Und was tun mit dem alten?

Noch bis zum 5. Oktober gibt's Musik und Kultur beim Strassburger Festival "MUSICA" - Foto: Festival Musica

(Von Michael Magercord) – Ein neues Kapitel aufschlagen, ein Projekt in die Wege leiten, mit der Ambition zur Entgrenzung der Ästhetik – das allein klingt schon so anstrengend, wie ein Konzert der Neuen Musik manchmal sein kann. Dabei hat Stéphane Roth, der neue Direktor von Musica, natürlich das Gegenteil im Auge: Bei der Festivalausgabe 2019 soll den Hörern ein innovativer Zugang zur innovativen Musik eröffnet werden, auf dass eine Verbindung aufgebaut wird zwischen der Neuen Musik mit dem heutigen und – vor allem – zukünftigen Publikum.

Denn ja, das Publikum ist alt, junge Menschen würden sagen: überaltert. 63 Jahre haben Besucher eines klassischen Frontalkonzertes im Schnitt auf dem Buckel. Eindeutig zu viele für den 36 Jahre jungen Direktor, hat sich bei denen doch das Grüne hinter den Ohren schon ziemlich zerbröselt. Ob die sich noch für Musikpädagogik eignen? Die nämlich wird bei dieser Ausgabe geben. In speziellen Veranstaltungen werden Mutige und Willige an den Schatz der Neuen Musik herangeführt, an das nämlich, was zeitgenössische Komponisten ihren Zeitgenossen zu sagen haben. Und an der Straßburger Uni gibt drei akademische Séancen zur Theorie der Musik.

Und natürlich genügt das nicht. Das allein wäre ja Bildung, also etwas, das man heute gar nicht mehr so ausdrücken würde. Lieber durch berufene Münder was Gebildetes sagen lassen und auf Marcel Duchamp rekurrieren: Der hatte ja Alltagsgegenstände ins Museum gestellt, und sagte: Der Betrachter mache den Gegenstand durch seinen Akt des Hinschauens zum Kunstwerk. So macht nun das Zuhören die Musik, ist also quasi erst der Akt ihrer eigentlichen Kreation.

Das will geübt sein, am besten in einer „Akademie des experimentellen Zuhörens“, und schon wird man zwar nicht zum Musiker, aber zum Tongeber. Denn was dort schließlich als Musik erkannt wird, soll bei der Programmgestaltung zukünftiger Festivals berücksichtigt werden. In Zeiten, wo alle Welt über Mitbestimmung redet und Partizipation fordert, klingt das gut, genauso gut, wie die Ansage des neuen Direktors: „Ich will nicht akzeptieren, dass Neue Musik elitär bleibt“.

Ich gebe zu, ich bin so ein alter elitärer Sack. Obwohl, sooo alt auch wieder nicht, noch immer senke ich den Altersschnitt, wenn ich in ein Konzert gehe, aber alt genug, um die altertümliche Form den Frontalkonzertes auch schätzen gelernt zu haben. Besonders kreativ fühle ich mich allerdings nicht, wenn ich da so sitze und den Akt des Zuhörens vollziehe. Wie auch? Beim Akt des Verspeisens einer Pizza mutiere ich ja auch nicht gleich zum Pizzabäcker. Zumal wenn die dann gar nicht schmeckt, über wen könnte ich mich dann noch aufregen – über mich selbst etwa?

Na also, es hat auch was Gutes, wenn ich nicht alles selber mache. Deshalb darf man Zuhörern ruhig auch mal was vorsetzen, was ein wenig Anstrengung zu seiner Verdauung bedarf. Auch im Konzertsaal. Aber es stimmt natürlich: Viele junge Leute schreckt die Aussicht auf das reine Zuhören ab. Doch ehrlich, das hat sie so manchen von denen, die jetzt die Konzertsäle bevölkern, auch, als die noch jünger waren. Nun sollen die Jungen in den Konzertsaal gelockt werden, wenn sie noch jung sind. Das geht in visuellen Zeiten wie unseren am besten mit neuen Formaten: Bühnenshow, experimentelle Hörzellen und sowas – und der elitäre alte Sack wird’s auch noch lernen, daran was zu finden. So ist das mit dem lebenslangen Lernen eben.

Das macht Spaß, Hans und Hänschen im selben Klassenzimmer, sprich Konzertsaal, und wir lernen schon im Vorwort zur Festivalbroschüre, dass Musik nicht etwas Intellektuelles ist, sondern zuallererst was Körperliches. Um das dem Hörer klarzumachen, rekurriert man auf den berufenen Mund eines Intellektuellen, denn war es nicht Michel Foucault, für den der Körper eine mächtige und doch gleichsam fragile Utopie darstellte? Und sind Musiker nicht zuallererst Körper, die wild gestikulieren, wenn sie ihr Instrumente bearbeiten? Die wogenden Arme der Geiger am Bogen, der wiegende Corpus des Pianisten vor der Tastatur… ja, das Instrument ist bloß seine Prothese, mit der er seinen korpuskulären Schwingungen Ausdruck verleiht und sie – jetzt kommen wir ins Spiel – in den Dialog mit dem Zuhörer treten – „treten“ hier natürlich im geistigen Sinne… Zugegeben, dieser erbärmlicher Wortscherz klappt nur im Deutschen. Im französischen Original heißt es: „se tisserait un dialogue“, also so ungefähr: der Dialog entspinnt sich – und klar verstehen sie sich blendend, Musiker und Zuhörer, sind sie doch beide Kreative, siehe oben… Selbst Schuld, wenn du alter Sack da nur im Sessel hängst und bloß zuhörst.

Das Auftaktkonzert am Freitag hieß übrigens „My greatest hits“ und bestand – laut Programm – aus einem „Zapping“ in fluider Performance, das drei Stunden dauerte, wobei es wohl zu Momenten des Dialoges und der Interaktion kam, worin sich die ästhetische Erfahrung mit dem Zusammensein verband – ich gebe zu, ich war gar nicht da. Am Samstag folgte das Auftaktkonzert der klassischen Manier mit dem Orchestre National de Metz, und ab Dienstag geht es dann in die erste Alltagsfestivalwoche: Performances, Begegnungen, Bühnenshows, Filme mit akustischer Begeleitung, dazu Tanz, Videos und Vorträge – und dieser alte Sack freut sich doch wieder drauf, denn das wird sicher ganz toll, wie all die anderen Jahre zuvor. Und ein paar von diesen altersgerechten Frontalkonzerten gibt es auf dem bedeutesten Festival für Neue Musik in Frankreich und drüber hinaus ja auch noch…

Festival MUSICA

Noch bis 5. Oktober täglich etliche Veranstaltungen
Programm, Infos und Tickets unter: www.festivalmusica.fr

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