Konkrete Utopie 15/16 – Teil 1: Rheinoper

Die Utopie der Bühnenkünste wird konkret, wenn sich auch nur ein Zuschauer eine Karte für eine Vorstellung gekauft hat, sagt der Regisseur und Utopist Olivier Py. Welche Utopien und konkreten Möglichkeiten zu ihrer Verwirklichung bieten sich in dieser Saison in Oper, Theater und Konzertsaal in Straßburg?

Die "Opéra du Rhin" in Straßburg bietet ein brillantes Programm in der neuen Saison 2015/16. Foto: Claude Truong-Ngoc / Eurojournalist(e)

(Von Michael Magercord) – Im Gegensatz zum mitteleuropäischen Tradition, verfügen Opern in West- und Südeuropa nicht über ein festes Ensemble. Darsteller und Regisseure müssen für jede einzelne Aufführung neu verpflichtet werden. Das hat einen Vorteil und einen Nachteil. Der Nachteil zuerst: Wer eine bestimmte Oper sehen will, dem bietet sich nur ein Zeitfenster von ein, maximal zwei Wochen. Der Vorteil liegt hingegen in der große Spannweite der Ausdrucksmöglichkeiten, denn Regisseure, Sänger und Bühnenbildner sind immer wieder andere. Zusammenhalten zu einem Ganzen lässt sich das wiederum nur durch eine stringente Intendanz.

Seit Marc Clemeur ihr Direktor ist, folgt die Programmgestaltung der Opera National du Rhin in Straßburg einer klaren Regel: Eine komische Oper, ein selten aufgeführtes französisches Werk, dazu was Leichtes und etwas ganz Neues, dann noch ein Stück, das besonders die Zuschauer von anderen Rheinseite anlocken soll, und zum Finale eine klassische Großoper, die Lust auf die folgende Saison machen soll. So war es auch schon im letzten Jahr hier zu lesen und wird es vermutlich noch im nächsten sein, denn obwohl der Direktor Clemeur dann nicht mehr Direktor sein wird, bleibt er als künstlerischer Leiter dem Haus erhalten.

Und somit steht in dieser Saison am Anfang – einmal mehr – das Neuste: Am Samstag wird Penthesilea, die klassische Tragödie von Heinrich von Kleist, die im antiken Griechenland angesiedelt ist, mit allerneuster, teils elektronischer Musik präsentiert. In dieser Auftragsarbeit der Rheinoper und dem Königlichen Theater de la Monnaie in Brüssel des Komponisten Pascal Dusapin soll die Kleist’sche Gefühlswelt, die brutale und emotionale Sprache des Dichters endlich ihre Entsprechung in der Klangwelt des Musiktheaters finden. Eine Herausforderung der besonderen Art, der sich unter anderen die namhafte Sopranistin Natascha Petrinsky in der Hauptrolle stellen wird.

Und weil’s im alten Griechenland wenigstens auch noch richtig nett und üppig zugehen konnte, verbleibt die Oper aus der Kategorie „französisch aber selten“ mit der Penelope von Fauré gleich dort. Als Traum von Griechenland, exotisch und dem europäischen Bildungsbürger doch so vertraut, bildet es die Kulisse für ein temperamentvolles und gleichsam tragischen Singspiel in großer Besetzung. Und weil es so utopisch erscheint, führt wohl auch der Utopist Olivier Py Regie. Nach seiner letzten Inszenierung an der Rheinoper in diesem Frühling zu urteilen, darf sich der Zuschauer, der ja – laut Py – mit dem Kauf seiner Karte eine Utopie Wirklichkeit werden lässt, auf ein opulentes und doch stringentes Spektakel einstellen.

Dann ist es soweit, Weihnachten steht vor der Tür, Zeit für die große Oper: La Traviata, Verdis beliebtestes Werk, wird uns zum Fest der Liebe nochmals darauf aufmerksam machen, dass die Utopie der Liebe nicht nur wunderbar ist und so oft wie möglich Wirklichkeit werden sollte, sondern auch immer – zumindest wenn man sie so exzessiv betreibt, wie seine Violetta – zu ihrem reibungslosen Ablauf großes Organisationstalent erfordert. Zu großes wohl, denn alles wendet sich letztlich zum Guten, als dem verlorenen Mädchen – soviel sei auch schon vor den Heiligen Abend verraten – wird eine Heilige.

Utopisch war auch das Theaterstück von Karel Capek, das dieser Oper von Leos Janacek zugrunde liegt, und griechisch ist zumindest ihr Name: in der „Sache Makropoulos“ geht es um den Wert der Unsterblichkeit in einer vergänglichen Welt. Ist es wirklich erstrebenswert ewig jung zu sein, wenn alles andere um einen herum vergeht? Capek, in dessen Theaterstück aus den 20er Jahren – ins Deutsche von Kafka-Freund Max Brod übertragen – war diese Frage noch Anlass zum Lachen, ein Flirt mit dem Phantastischen, dem Komponisten aber war es ernst damit. Robert Carsen, Regisseur und Dauergast auf der Bühne der Rheinoper, hat dieses Darbietung bereits vor vier Jahren genauso hier inszeniert, eine Reprise also, die vielleicht auch den schrumpfenden Mitteln geschuldet ist, die aber bei diesem Schlüsselwerk der modernen Oper seine Berechtigung hat.

Mozart, dieser Utopist der heiteren Laster und des Zauberhaften, war ein Revoluzzer des Rokokko, und das in Serie. „Opera seria“ nennt man diese Kategorie des eingängigen, flotten Musiktheaters, das mit großen Arien erfreut. Mozart mit seinen 28 Jahren fügte in seinem Idomeneo nun noch einen Chor in dieses Genre ein und steigerte damit dessen Erzählkraft. Und da es in dieser Happy-End-Geschichte von Intrigen zwischen Menschen und Göttern aus dem – natürlich – griechischen Kreta viel zu erzählen gibt, darf man sich auf eine serielle Abfolge von beidem freuen: Arien und Chorgesang.

Und – ausgerechnet im Wonnemonat Mai – nun das: Da steht das große Werk für die Nachbarn von der anderen Rheinseite auf dem Spielplan, und ja – ganz utopiefrei, wie es zunächst scheint – ist dafür wieder einmal eine Oper von Richard Wagner vorgesehen, also tiefe teutsche Tragik, wie man denken müsste, aber nein, es kommt ganz anders: es ist zum Lachen! „Das Liebesverbot“, eine komische Oper von Wagner – darf es dann denn geben? Wagners Jugendsünde ist dieses selten intonierte Stück aus dem Jahre 1836, und es ist weder das tragische Griechenland noch der Nibelungenwald, wo das freie und ehrliche Gefühl über die Scheinheiligkeit triumphieren wird, sondern das burleske Sizilien.

Den Schlusspunkt setzen zwei Bekannte aus dieser Saison: Verdi und Robert Carsen. Don Carlos wird in einer neuen Produktion von dem kanadischen Regisseur in Szene gesetzt, und wie schon im letzten Jahr mit Tschaikowkis Pik Dame, soll dessen Inszenierung wieder einmal dafür sorgen, die Utopie der Oper in den kommenden Sommerferien zu vermissen, bis sie schließlich wie schon in diesem Herbst wieder konkrete Formen annimmt.

Vorschau auf die Premieren 2015/2016:

Dusapin
Penthesilea
Regie: Pierre Audi
26. September 2015

Fauré
Pénélope
Regie: Olivier Py
23. Oktober 2015

Verdi
La Traviata
Regie: Vincent Bussard
11. Dezember 2015

Wolf-Ferrari
La Belle au bois dormant
Regie: Marie-Eve Signeyrole
16. Dezember 2015

Janacek
Die Sache Makroloulos
Regie: Robert Carson
7. Februar 2016

Mozart
Idomeneo
Regie: Christophe Gayral
16. März 2016

Rossini
La cambiale di matrimonio
Regie: Antonio Fogliani
31. März 2016

Wagner
Das Liebesverbot
Regie: Mariame Clément
8. Mai 2016

Verdi
Don Carlo
Regie Robert Carson
17. Juni 2016

Weitere Informationen und Karten unter : www.operanationaldurhin.eu

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