Konsum-Revolution

Früher ging es bei Revolutionen um hehre Werte wie Freiheit, Abschaffung von Tyrannei oder den Frieden. Heute geht es vor allem darum, ungehindert konsumieren zu können.

Auch auf der Place de la Bastille waren die "Gilets jaunes". Pech gehabt - die Bastille war bereits 1789 gestürmt worden. Foto: Jean-Paul Corlin / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – „Das nächste Mal“, seufzten die Kollegen von slate.fr, einer großen französischen Online-Zeitung, „wird es vermutlich um den Preis für Klopapier oder das Kabelabonnement gehen…“ und dieses Gefühl konnte man am Samstag in Frankreich tatsächlich haben. Der groß organisierte „Aktionstag“, bei dem rund 280 000 Franzosen gegen die Erhöhung des Diesel- und Benzinpreises demonstrierten, indem sie an rund 2000 Orten den Verkehr zum Erliegen brachten, hatte vor allem eines zum Ziel: Einfach mal richtig auf den Putz zu hauen. Das Ergebnis dieses Protests: 1 Tote, über 400 Verletzte und zahlreiche Festnahmen. Dafür ist heute ist der Dieselpreis genau so hoch wie am Freitag und die Demonstranten haben vor allem eines erreicht: Sie haben einen tiefen Riss durch die französische Gesellschaft geschlagen. Die Extremisten links und rechts, die diesen „Aktionstag“ nach Kräften befeuert hatten, können sich die Hände reiben. Frankreich protestiert sich langsam in die Hände der Extremisten, die die einzigen sind, die von diesen Aktionen profitieren.

Im Grunde wussten viele Demonstranten, die sich selbst als die „Gilets jaunes“ (gelbe Warnwesten) bezeichnen, gar nicht so genau, warum sie eigentlich das Land lahmlegten. Es ging in erster Linie darum, gegen den Präsidenten Emmanuel Macron zu demonstrieren, den sie vor anderthalb Jahren erst gewählt hatten. Klar, der unerfahrene Macron hat bis heute nicht einen einzigen Fettnapf ausgelassen, der sich auf seinem Weg befand und seine inzwischen sprichwörtliche Arroganz ist dem politischen Klima in Frankreich auch nicht gerade förderlich. Aber dennoch haben die Proteste weder den Präsidenten beeindruckt, noch den Dieselpreis gesenkt, noch das Land befriedet. Frankreich träumt von einer Revolution, ohne so richtig zu wissen, warum. Doch das alles ist ein Trugschluss, denn das französische Volk 2018 hat mit dem französischen Volk 1789 nichts gemeinsam. Die „Französische Revolution 2.0“ fällt deshalb wohl aus.

Früher ging es bei Revolutionen um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, heute geht es um den Geldbeutel, Konsum und Geiz-ist-geil. Das war schon so bei der Revolution 1989 in der DDR, wo es auch zum großen Teil um den freien Zugang zu ALDI, Beate Uhse und Coca Cola ging. Dabei fällt es immer schwerer, Sympathien für diejenigen zu entwickeln, die versuchen, aus diesen Protesten politische Vorteile zu schlagen, sich aber noch nie für die Belange derjenigen eingesetzt haben, die heute aus verschiedenen Gründen auf die Straße gehen. Natürlich haben sowohl die Rechtsextremen als auch die Linksextremen ein echtes Interesse daran, dass sich die sozialen Spannungen verschärfen und Chaos ausbricht. Denn das ist eine Gemengelage, in der sich die Extremisten gerne als souveräne Ordnungs-Option darstellen und in der Regel auch Stimmen gewinnen. Dass nun auch das bürgerliche Lager seine revolutionäre Ader entdeckt, ist wenig glaubwürdig und fördert auch nur den Aufstieg der Extremisten zur macht.

Der Alptraum war zumindest am Sonntag immer noch nicht vorbei. An rund 150 Protestorten, besonders in der Gegend von Bordeaux, aber auch in der Normandie und der Bretagne und selbst im südlichen Elsass, gingen die Protestaktionen auch am Sonntag weiter und es kam zu zahlreichen hässlichen Szenen, bei denen Autofahrer gezwungen wurden, gelbe Warnwesten anzuziehen, um weiterfahren zu können. Volkszorn hat noch nie intelligent und konstruktiv gewirkt.

Und jetzt? Jetzt ist alles wie zuvor. Verschiedene Minister erklärten am Sonntag, dass sich die Regierung nicht beirren lassen wolle, die Demonstranten kündigten an, dass der Kampf nun erst richtig losgehen würde und es stehen unruhige Zeiten ins Haus. Im Grunde kann man nur an die Vernunft aller appellieren, dafür zu sorgen, dass diese Situation nicht aus dem Ruder läuft. Hier ist in erster Linie Präsident Macron gefordert, der mit den Franzosen ebenso viel Probleme hat wie sie mit ihm. Der Präsident muss endlich aufhören, seine Landsleute regelmäßig in Gruppen oder ihrer Gesamtheit zu beleidigen und auch seine Inszenierung als göttlich inspirierter Staatenlenker wird langsam peinlich – Macron muss auf den Boden der Realitäten zurückkehren und endlich anfangen, eine Sozialpolitik in Frankreich zu führen, die diese Bezeichnung verdient. Und auch die ehemaligen Volksparteien, die „Les Républicains“ und die „PS“ sollten lieber konstruktive Ideen entwickeln und an einem sozialen Umbau Frankreichs teilhaben, statt dafür zu sorgen, dass sie bei den nächsten Wahlen komplett ins Abseits geraten, nachdem sie alles daran gesetzt haben, ihre Wähler den Extremisten in die Arme zu treiben.

99 % der Franzosen haben sich an den Protesten nicht beteiligt. Vielleicht sollte man deren Wunsch nach sozialem Frieden auch ernst nehmen, auch, wenn sie nicht so laut schreien wie andere.

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