Kunst offenbart ihr Innersten: Offene Ateliers im Elsass
An den beiden kommenden Wochenenden lassen sich Künstler in Straßburg und Kehl in ihre Ateliers schauen – Einblick in die Stuben und Werkstätten, in denen jene Objekte entstehen, die den Betrachter in die Zukunft schauen lassen.
(Von Michael Magercord) – Bereits zum zwanzigsten Mal öffnen im Monat Mai die Künstler ihre Ateliers für interessierte Besucher. Denen wird einiges geboten: Aquarelle, Keramik, Zeichnungen und Radierungen, Illustration, Installation, Gemälde, Performance, Foto, Skulpturen, Videos…
So jedenfalls liest sich die Liste all der darstellenden Kunstformen auf der offiziellen Ankündigung des Vereins “Accélérateur de particules”. Denn der “Teilchenbeschleuniger” organisiert die Tage der offenen Ateliers im ganzen Elsass. In Straßburg und darüber hinaus stehen die Tore der Werkstätten offen, ein Blick hinter die Kulissen der zeitgenössischen Kunstproduktion ist dann nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht.
Der Konsum von Kunst und ihren Produkten ist heute nicht mehr unbedingt ein ästhetisches oder poetisches Erlebnis, ja oft nicht einmal ein künstlerisches. Das Wort Kunst kommt nicht mehr von Können, wenn damit noch die Beherrschung eines traditionellen künstlerischen Handwerkes gemeint wäre. Kunst – heißt es – ist ja sowieso immer nur die Form, in der ein Inhalt präsentiert wird. Und so mögen zwar die Themen, mit denen sich Menschen künstlerisch beschäftigen, sich über die Epochen hinweg ziemlich gleich geblieben sein, die Formen ihrer Behandlung jedoch entsprechen ihrer eigenen Zeit. Unser Zeitgenosse Künstler ist eben auch nur das: ein Zeitgenosse. Ausdruck und Stimmung seiner Werke können somit durchaus als Gradmesser des Zeitzustandes gelten, wobei sich oft in der Form ihrer Darstellungen mehr über unsere Zeit erfahren lässt, als an dem Dargestellten selbst.
Es gibt sogar Beobachter der Kunstszene, die soweit gehen zu behaupten, dass sich der Form des künstlerischen Ausdrucks einer Zeit Rückschlüsse auf aktuelle Bewegungen und damit auch auf Tendenzen für die Zukunft ablesen lassen. Vielleicht erscheint uns das heute noch ein wenig voreilig zu sein, aus der Kunst erfahren zu wollen, was auf uns noch so zukommt. Ob sich einem Betrachter, der sich nicht unbedingt zum Künstlertum berufen fühlt, der Blick hinter die Kulisse, also ins Atelier und die Werkstätten der Künstler, mehr offenbaren wird, als die Werke, die er zu sehen bekommt? Einen ersten Schritt auf dem langen Weg zur Erkenntnis aus den Werken der Kunst könnte aber die Frage an ihre Künstler sein: Was soll das eigentlich?
Eine abschließende Antwort auf diesen, im Angesicht der zeitgenössischen Kunst aller Jahrhunderte immer wieder aufkeimenden Zweifel an ihrer Sinnhaftigkeit, dürfte wohl der Schlüssel sein für eine gesicherte Technik zum Wahrsagerei der Zukunft anhand von Kunstwerken. Und soviel ist schon jetzt sicher: An den beiden kommenden Wochenenden wird sich die Frage nach eigentlichen Sollen des Gesehenen fast von selbst stellen. Sicher ist auch, dass die Antwort darauf sich wieder einmal nicht finden wird. Und trotzdem wird es sich wieder gelohnt haben, sich die Aussicht auf eine künstlerische Zukunftsprognose von unseren Zeitgenossen Künstlern mal wieder vage vor Augen geführt haben zu lassen. Ob uns der “Teilchenbeschleuniger” schließlich mit ihrer nun schon zum zwanzigsten Mal organisierten Öffnung der Ateliers der Künstler Werken aussetzt, die uns in die Zukunft katapultieren? Oder ob sie nur Zeugnisse eines kurzen Aufglimmens vor dem atomaren Zerfalls sind und schon bald keine Bedeutung mehr haben werden? Wir werden es sehen – oder eben auch nicht…
Am Anfang des Parcours durch die Werkstätten steht die legendäre Bastion 14, wo am Freitag ab 17.00 Uhr die Ateliers der meist noch jungen Zeitgenossen geöffnet sein werden. Bis 3 Uhr morgens sollte genug Zeit sein, in Ruhe von Katakombe zu Katakombe zu wandeln und die Werke auf sich wirken zu lassen – und sich damit welche Tendenz zeigen? Wird sie, wie so oft in den vergangenen Jahren, eher dunkel und deprimierend erscheinen? Doch wie duster auch immer die erste Begegnung mit der zeitgenössischen Kunst verlaufen wird, die Tage darauf sind dann die vielen anderen Ateliers von immerhin insgesamt vierhundert Künstlern geöffnet, darunter sind sicher auch etliche helle und weite.
Wer sich dann noch dafür interessiert, welchen Ausdruck die jüngsten unter den künstlerisch tätigen Zeitgenossen für ihre Anliegen finden, der sei auf eine Veranstaltung in der Europäischen Schule in Robertsau verwiesen. Die Schüler haben ihre Ausstellung unter der Ägide ihrer Kunstlehrerin Vanessa Lenzi konzipiert, die sich in ihrer eigenen Arbeit “Memory-Spiel” mit der Verwobenheit des persönlichen und historischen Gedächtnisses beschäftigt hatte. Fast schon folgerichtig trägt die Ausstellung ihrer Schüler einen griffigen Titel, der quasi das Programm für die beiden Kunstwochenenden sein könnte: Past-Present-Future.
Ateliers Ouverts – Offene Ateliers im Elsass, Straßburg und Kehl
18. – 19. und 25. – 26. Mai 2019, jeweils 14 – 20 Uhr
Künstler, Adressen und Stadtplan unter: http://www.ateliers-ouverts.net/
Veranstalter: www.accelerateurdeparticules.net
Vernissage FR 17. Mai – 18 bis 3 Uhr
Bastion 14 – Atelier de la ville de Strasbourg
1 rue du rempart
Exposition “Past-Present-Future”
Ecole Européenne de Strasbourg
21. – 29. Mai 2019
Vernissage-Finissage: DI 28. Mai 18 Uhr
Memory – Erinnerungsspiel – Jeu de Mémoire
von Vanessi Lenzi.
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